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Licht als Tod

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Das Werk Hölderlins ist gewissermaßen von der Geschichte selbst gedeutet worden; die anderthalb Jahrhunderte, die seit seinem Zusammenbruch vergangen sind, haben viel zum Verständnis seiner Visionen beigetragen. Die Geschichte unseres Volkes, aber auch des Abendlandes und selbst der Kirche haben Fragen aufgeworfen, die vielleicht nur er beantworten kann. Zu den vielen Büchern, die es versucht haben, aus unseren Erfahrungen und Ahnungen den Weg zu Hölderlin zu bahnen, tritt nun die Deutung Erich Przywaras. Dieser berühmte deutsche Jesuit geht durchaus eigene Wege; die kaum mehr übersehbare Literatur über Hölderlin tritt völlig zurück — wenn sie auch sicher nicht übersehen worden ist; es ist ein Ringen mit dem Geist Hölderlins von Angesicht zu Angesicht in dem heißen Verlangen nach des Dichters letztem Wort. Den „Schlüssel“ findet Przywara — sich damit wohl von allen Auslegern unterscheidend — in einem fragmentarischen Hymnus der Frühzeit, der „Bücher der Zeiten“ überschrieben ist; in ihm findet der Deuter den „apokalyptisch-johanneischen“ Hölderlin, der, belastet mit Gesichten von „Länderverwüstung und Völkerverheerung“, in drei aufeinanderfolgenden Zeilen den Kreuzestod Jesu Christi, des Sohnes Gottes, des Lammes Kreuzestod, als das bestimmende Ereignis der Geschichte feiert. Von da an beginnt der unheimliche Vorgang, den Przywara als „Uber-hüllung“ bezeichnet: der johanneisch-apoka-lyptische Hölderlin sucht sein ursprüngliches Angewiesensein auf das Mysterium des Christentums zu überwinden in der Hingabe an hellenische Vorstellungen; auch der Preis der Natur, des Gottes der Jugend, des Schicksals, der Not dienen diesem Versuch Hölderlins, sich vom Anfang zu lösen. Aber das hellenische Ideal scheitert mit der Vorstellung vom Volk, wie sie Hölderlin in furchtbarer Einsamkeit ausgestaltete, in der Deutung Deutschlands im Bilde seiner Ströme, die das „unendliche glühende titanische Strömen der .heiligen Asia' sind“, mit der Bewahrung des Imperium Sacrum, in Gleichnissen des Lebens wie der Dichtung für das, was nach Przywaras Worten das Deutsche zutiefst ausmacht, nämlich „daß sein Leben jeweils aus der Tiefe des Todes kommt“, drohen wieder johanneische Elemente herein; das „Mariengeheimnis wird sichtbar“. Der Madonna, dem Vatikan sind Hymnen der letzten an der Grenze der Umnachtung verlaufenden Zeit gewidmet, bis sich in Hölderlin „das Rational-Westlich-Abendländische des Reformatorischen . . . überwindet in die erschreckende und beseligende Fülle des Katholischen“. Sicher ist es gewagt, in „stammelnden Fragmenten“, wie es die Anlage einer Hymne auf die Gottesmutter ist, in den „verwirrten Zeilen“ eines Gesanges auf den Vatikan, im prophetischen „Lallen“ des Gebrochenen letzte Aussagen, gar ein Bekenntnis zu sehen; eine Fülle von Papieren, die das Vorhandene ergänzen, bestätigen könnte, ist vernichtet worden. Aber Tatsache ist und bleibt es doch, daß Hölderlin — noch in der Nacht — dieses Thei u ergriffen hat, wenn auch das auf uns Gekommene schwerlich wird fruchtbar gemacht werden können im geistigen und geschichtlichen Dasein des deutschen Volkes. Es ist eine Tragik ohnegleichen, daß Hölderlin, wie es in diesem Buche heißt, „objektiver Prophet“ wurde in der Zeit, da seine Sprache sich zu verwirren begann. Kaum können wir hpffen, daß die Ausleger sich auf eine tragende, verpflichtende Ausdeutung seiner letzten Gesichte und Prophetien einigen werden; leugnen aber läßt es sich nicht, daß der Dichter in der hereinbrechenden Nacht das Licht erblickt hat und daß dieses Licht — Christus in seiner Einzigkeit — nach des Dichters Geständnis „Tod“ war.

Przywaras Buch zeichnet sich dadurch aus, daß es auf das strengste ablehnt, im Vermächtnis Hölderlins ein persönliches Problem zu sehen, daß er Erklärungen der Psychologie und Psychiatrie durchaus verwirft; Hölderlins geistige Entfaltung ist für ihn nicht allein der Prototyp dessen, „was sich in der deutschen Klassik überhaupt vollzieht“. Hölderlin ist für ihn der „Ort urabendländischen Geschehens: nämlich des Konflikts zwischen dem eigentlich Christlichen des Abendlandes und seiner hellenisch-römischen Vollendungs- und Ordnungsform“. Damit wird der Dichter in die größte Perspektive unserer Erfahrungen gestellt: es war der „Drang zum Umfangen des gesamten Lebens in seiner letzten Tiefe, der die Umnachtung herbeiführte“; ehe sie hereinbrach, war es Hölderlin noch vergönnt, das Äußerste, den „kosmischen Christus des Prologs des Johannesevangeliums“, in der Hymne auf Patmos anzudeuten. Aber die Nacht, in der seine Stimme untergeht, „ist Osternacht in den Ostermorgen“. Seine Umnachtung ist nur die anthropologische Erscheinungsform der Umnachtung eines zerrütteten Abendland des“. Das Licht war Tod für den Einsamem aber dieser Tod schenkte ihm Worte, die über den Tod hinausführen.

Noch einmal: wir glauben nicht, daß eine jeds Deutung sich behaupten wird. Aber es ist Erich Przywara gelungen, Ästhetik und Psychologie völlig beiseite zu lassen und den Dichter als Träger der abendländischen Tragik überhaupt und als ihren Uberwinder zu sehen Und es ist kein Zweifel, daß er damit Hölderlin sehr nahegekommen ist. Das Buch stellt bisher wenig Beachtetes kühn in die Mitte der Betrachtung; es könnte zum entscheidenden Anstoß einer neuen Auslegung Hölderlins, eines bisher noch kaum versuchten Ringens um seine Gestalt und seine Stellung in der Geschichte werden. Reinhold Schneider

Worte über Wörter. Von Mechtilde L i c b,-n o w s k y. Bergland-Verlag, Wien. 320 Seiten.

Dieses Buch enthält die Beute l iner lebenslangen Jagd auf Sprachfehler. Alle Beispiele, welche die Autorin anführt, sind Büchern, Zeitschriften oder Zeitungen entnommen, wurden also nicht nur gesehrieben, sondern auch gedruckt. Das ist das Beschämende dieser „Blütenlese“. Die Namen der Sprachverderber werden nicht genannt, aber der literaturkundige Leser wird in Gedanken manchen berühmten Namen neben das Zitat setzen können. In ihrer Gesamtheit freilich werden die Sprachsünder nicht geschont; damit erweist sich Mechtilde von Lichnowsky als Nachfolgerin ihres strengen Lehrers Karl Kraus, dessen Andenken das Buch gewidmet ist. Auf die Frage: Warum schreibst du schlecht? müsse der Schuldige antworten: Weil ich senil bin und mein Leben lang vulgär war; weil ich minderjährig bin und unbelehrbar; weil ich halbgebildet bin — und eingebildet. Denn jedes Wort ist der Name eines Begriffes. Ist der Gedanke klar, so werde es auch die Sprache sein, die ihn ausdrückt. Die meisten Sprachfehler werden mit Hilfe der Grammatik und der Syntax entlarvt. Die Ethymologie wird selten — wie uns scheinen will: zu selten — herangezogen. Um so mehr beruft sich die Autorin auf ihr lebendiges und untrügliches Sprachgefühl. Kaum jemand wird das Buch ohne Schuldgefühl aus der Hand legen. Doch ist das Anliegen der Autorin vor allem ein pädagogisch-didaktisches: „Wenn ein einziger junger Mensch, ehe er zum erstenmal schreibt, um gedruckt zu werden, etwas mehr als bisher über die Dinge der Sprache nachdenkt, die ich in diesem Buch zusammenstelle, und wenn er, Gedrucktes lesend, nunmehr imstande ist, Spreu von Weizen zu unterscheiden, weil es mir gelungen sein sollte, seine Liebe zur Sprache zu wecken, eine Liebe, die wie jede wahre Liebe sehend und selig macht und nicht blind: dann wäre mein Ziel erreicht.“

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