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Licht im Dunkel der Großstadt

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Ohne weitere Zuwendungen der Stadt Wien steht ein Verein, der vor allem Obdachlose betreut, vor dem Zusperren.

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Ohne weitere Zuwendungen der Stadt Wien steht ein Verein, der vor allem Obdachlose betreut, vor dem Zusperren.

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Eine Parkbank, darunter vier, fünf Plastiksäcke, ein Mann in zerschlissenen grauen Hosen, einen gelblichen Trenchcoat um den Leib gewickelt, einen zerbeulten Hut über dem Gesicht. Ein kaum mehr wahrnehmbarer Rest Rotwein schimmert in der Doppelliterflasche am Kopfende. Eine fragwürdige Idylle, die da so mancher Sommertourist in seine Kamera einfangen will.

Szenenwechsel. Eine geräumige Kellerwohnung in der Roseggergasse im 16. Bezirk, genannt „Cafe Sozial”. Seit sechs Jahren kümmert sich hier eine Gruppe von engagierten Männern und Frauen gezielt um Obdachlose. „Im Augenblick ist es hier eher leer, aber wenn es deutliche Minusgrade draußen hat, sind wir hier immer voll. In Spitzenzeiten wohnen hier 60-80 Leute”, erklärt Peter Leeb, ein Mitarbeiter des Vereines, der sich „Effata” (griechisch „öffne dich”) nennt und hier aus christlicher Motivation begründet wurde.

„Zu uns kommen Gescheiterte jeder Richtung, Langzeitarbeitslose, Obdachlose oder Haftentlassene. Wir versuchen, die Lage dieser Leute zu verbessern und sie vor allem aus ihrer Apathie herauszubringen.” Jeder Bedürftige bekommt ein kostenloses Essen, ein Bett, ein frisches Handtuch, Gelegenheit zum Duschen und Wäschewaschen. Eine Bar, ein langer Holztisch, die Bücherregale an den

Wänden verschaffen dem Souterrainlokal eine heimelige Atmosphäre. „Schließlich lernen die Leute hier auch, daß sie kleine Pflichten erledigen, anderen das Essen servieren oder kleine Hausarbeiten erledigen.” ergänzt die Obfrau von „Effata”, Ger-trude Marold.

„Dies ist aber nur die erste Station”, erzählt sie weiter. Denn neben der unmittelbaren Versorgung von Obdachlosen bemüht sich der Verein auch um eine Langzeitbetreuung in geradezu beispielhafter Weise. So werden Privatwohnungen angemietet und adaptiert, in welchen „fortgeschrittene” Schützlinge unter Betreuung wohnen können, um auf diese Weise wieder in das soziale Leben integriert zu werden. „Damit soll der Kreislauf ,Keine Wohnung - keine Arbeit' und umgekehrt unterbrochen werden”, erläutert Marold. „Die Leute lernen, daß sie pünktlich ihre Rechnungen zahlen und regelmäßig in die Arbeit gehen müssen etcetera.”

Laut Angaben von „Effata” werden etwa zehn Prozent der vom Verein betreuten Menschen wieder voll resozialisiert. Für die, die Reintegration geschafft haben, bemüht sich der Verein in einem letzten Schritt um Gemeindewohnungen. „Ein paar kommen jedes Jahr so weit”, sagt die Obfrau stolz lächelnd.

Trotz des bewundernswerten Engagements steht der Verein im Augenblick vor finanziellen Schwierigkeiten. Bisher wurde das erforderliche Jahresbudget von achhundert- bis neunhunderttausend Schilling durch Spenden, Flohmärkte, Benefizkonzerte sowie einfach aus privater Tasche aufgebracht. In den letzten Jahren stellte die Stadt Wien über die „Aktion 8000” auch einen Sozialarbeiter zu Verfügung.

Wohl werden bei dieser Aktion zwei Drittel der Lohnkosten von der Stadt Wien getragen, ein Drittel muß der Verein aber selber aufbringen. Wogegen sich „Effata” erstmals sträubt: denn der Verein brauchte im Augenblick zwei Sozialarbeiter, um sich um die steigende Anzahl von Schützlingen kümmern zu können. Das wäre eine nicht bewältigbare finanzielle Belastung. Den Drittelbetrag von 360.000 Schilling im Jahr, den der Verein für die beiden Sozialarbeiter zahlen müßte, fordert „Effata” nun von der Stadt Wien. „Immerhin”, zeigt sich Marold verärgert, „ersparen wir der Stadt Wien pro Tag 4.000 Schilling, indem wir einen Patienten, der eigentlich einer psychiatrischen Anstalt zugewiesen ist, betreuen. Wir würden noch drei weitere solcher Fälle nehmen, wenn wir die Mittel dazu hätten.”

Laut „Effata” zeige sich die Stadt Wien zwar durchaus bereit, die Vereinsarbeit zu unterstützen; dadurch jedoch, daß alle Subventionen gestrichen sind, könnte die Angelegenheit der Bürokratie walze zum Opfer fallen. Womit niemandem geholfen wäre und eine bemerkenswerte Privatinitiative ihr Leben lassen müßte. Denn, so Marold, „so traurig es ist, aber wir müßten zusperrren”. Wo ein Teil der sommerlichen Stadtparkbewohner dann im Winter sein Haupt hinlegen könnte, ist eine andere Frage.

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