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Licht im Verborgenen

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DENKZETTEL UND DANKSAGUNGEN. Aufsätze - Reden. Von Ludwig von Flckei Kösei-Verlag, München. 860 Selten. DM 28.—.

In diesen Blättern ist oft vom „Brenner“ und seinem Herausgeber geschrieben worden, und als „Die Furche“ sich anschickte, ihren 20jäh-rigen Geburtstag ein wenig zu feiern, sandte uns Ludwig von Ficker einen der schönsten und zugleich ehrenvollsten Grüße. Wir wurden damals, nachdem er uns jahrelang genau beobachtet hatte, von seiner

kundigen Hand vor einen Rönten-schiirm gestellt; alber das Auge, das auf uns ruhte, war nicht das des strengen Diagnostikers, sondern das eines überaus wohlwollenden und nachsichtigen älteren Freundes, der toi der Praxis übte, was er in einer seiner letzten Reden im April 1960 eis Achtzigjähriger ausgesprochen hat: „Wir Menschen, in Übermut wie in Niedergeschlagenheit Opfer, oft ganz ratlos gewordene, unserer Ausgelassenheit wie unserer Erschöpfungszustände auf den Tummelplätzen dieser Welt, sind nun einmal erschrecklich verspielte Kinder großherzig entbrannter göttlicher Schöpferansprüche und je mehr wir das begreifen und uns darnach richten, einander zu Geduld und wachsender Erkenntiichkeit gegeben.“

Ein so Entbrannter war Ludwig von Ficker — und ein Dienender: dienend und helfend seinen Dichterfreuinden, die heute jeder kennt, die aber damals arme, leidende Unbekannte waren. — Nicht minder verbunden war er einigen der bedeutendsten Denkern seiner Zeit, auch sie nicht minder Schwierige: Trakl, Rilke, Theodor Däubler, Else Las-ker-Schüler; Ferdinand Ebner, Theodor Haecker, Adolf Loos, Ludwig Wittgenstein, Karl Kraus und anderen. Und er selbst? Wir kennen nur die äußeren Komplikationen seines Lebens: als der „Brenner“, 1910 gegründet, nach kriegsibedingter Unterbrechung nur noch mit Freundeshilfe erscheinen konnte, als Ficker sein Dasein als Korrektor in einem Innsbrucker Verlag fristen mußte und anderes mehr. Die inneren Krisen und Bedrängnisse können wir nur ahnen, man muß sie „zwischen den Zeilen“ lesen ...

Als Freund und Helfer gehörte Ludwig von Ficker zu jenen, von denen Walter Benjamin im Gedanken an Nietzsches Freund Overbeck einmal schrieb: „Solche Männer, in denen man oft nur eine Art wohlmeinender Helfer, wenn nicht gar Interessenvertreter gesehen hat, sind unendlich viel mehr: Repräsentanten einer einsichtsvolleren Nachweit. Sooft sie auch die primitivste Sorge für jene übernehmen, deren Rang sie ein für allemal erkannt haben, niemals übertreten sie die Schranken, die sie als Stellvertreter eu wahren haben.“

Es ist recht und billig, daß nun auch ihm, dem Bewahrer eines so großen Erbes, ein Denkmal gesetzt wird, ein bescheidenes, und nach dem Tod: aufs Grab des am Karsamstag dieses Jahres auf dem Friedhof von Mühlau neben seinem Freund Trakl zur Ruhe Gebetteten. Ficker wußte noch von diesem Plan, den Prof. Franz Seyr, der Herausgeber der Schnitten Ebners, von Walter Methlagl, dem Betreuer des Brenner-Archivs, unterstützt, in so vorbildlich nobler Weise verwirklicht hat und für dessen einfachwürdige Ausstattung der Kösel-Verlag sorgte. Ficker selbst hat auch bei der Auswahl mitgewirkt, die überaus charakteristisch für ihn ist: Von den rund drei Dutzend Beiträgen, die hier gesammelt wurden, fallen nur zwei unter die Rubrik „Denkzettel“, alle anderen sind Würdigungen, Erinnerungen, Grabreden und Danksagungen], die sich, im letzten Teil des Buches, auf einige Ehrungen beziehen, die dem großen alten Mann zuteil wurden.

Kennzeichnend ist auch die „Ge-wichtsverteüiung“ in diesem Auswahlband: sechsmal wird das Lei-dsnsbüd Tmateis beschworen, vier

Beiträge sind aus den verschiedensten aktuellen Anlässen Karl Kraus gewidmet, dem von ihm so Wesensfremden und trotzdem so Hochgeschätzten. Was Ficker von Kraus grundlegend unterschied, war seine souverän-tolerante Haltung und ein guter Schuß humorvoller Selbstironie. Diese liebenswürdigen Züge verschwinden, sobald er von Karl Kraus spricht. So stark war die Faszination, die dieser auf Ficker als Menschen und Schriftsteller ausübte. Die übrigen Essays und Reden gelten Freunden aus dem Brenner-breis: dem Franziskanerpater Vinzenz Maria Gredler, dem jungverstorbenen Dichter Franz Janowitz, dem Maler Schnegg, dem Dichter Leitgeb, Karl Röck, dem ersten Herausgeber von Trakls Gedichten, und anderen. Von besonderem Gewicht ist ein Brief aus dem Jahr 1932 an Johannes Österreicher, damals Kaplan, in den dreißiger Jahren Leiter des Paulus-Werkes, der Stätte der Begegnung zwischen Juden und

Christen, der, als Prälat in den Vereinigten Staaten lebend, beim II. Vatikanischen Konzil maßgebend an der Ausarbeitung der „Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den niichtchristlichen Religionen“ beteiligt war.

Wenn man sich die Person und das Lebenswerk Fickers vergegenwärtigt, so scheint uns beides heute zum Verehrungswürdigsten und 'am meisten in die Zukunft Weisenden zu gehören, das diese erste Jahrhunderthälfte auf österreichischem Boden hervorgebracht hat. „Wenige wüßte ich“, schrieb Th. W. Adorno an den Verlag „in denen Gewesenes und Hoffnung so innig sich durchdrungen hätten; wer will, daß es anders werde, muß wollen, daß es seinesgleichen gebe.“ Es ist dies die Kennzeichnung des echten Konservativen. Aber ob unsere jungen Leute von heute dafür ein Organ haben?' Ob sie das Licht dieser reinen Flamme überhaupt sehen? Vielleicht müssen sie selbst erst älter werden, um das Exemplarische eines solchen Mannes und die Größe seiner Lebensleistung zu erkennen, wie sie sich in diesen Blättern widerspiegelt.

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