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Bilder erzählen Geschichten - welche Geschichten sie dem Lyriker said erzählten, erzählt dieser in seinem neuen Buch "Das Rot lächelt, das Blau schweigt", das Ende August erscheinen wird. Drei Texte als Vorabdruck und Vorgeschmack.

bevor ich falle, im zweiten monat des krieges, in der champagne, komme ich ihm entgegen, diesem johann sebastian bach, mit meiner komposition. ich muß ihm entgegenkommen und seinen ungelüfteten christlichen instinkten, eingesperrt in einer deutschen stube. mit meinem klaren scheitel, meinen tieftraurigen augen und meinen verfließenden farben, mit meinen gelösten bildern, gelöst von der deutschen ordnung, damit die farbe atmet, vibriert; damit sie endlich arbeitet. eine vorwärtsdrängende farbe, die konturen sucht. meine farbe liebt bäume und schaufenster, liebt das flanieren, das ziellose. sie liebt das licht, das zwecklose. sie will partout frei sein, frei schweben auf eine neue ebene zu. sie macht jagd nach liebe, nach unordnung. hat diese farbe angst vor dem unverstellten kitsch? sie sucht geradezu die verzerrung, sie will die verzerrung erfahren in der fülle der landschaft. landschaft, ein begriff für herrn bach? hat er die landschaft je begriffen? ich wollte johann sebastian bach ein neues licht schenken, ich suche die seele der dinge, ohne deren erscheinung untreu zu werden, die spannung zwischen den dingen in der natur. das leben ist unteilbar. unfaßbare ideen äußern sich in faßbaren formen. die sinne sind uns brücken, später noch flügel.

Ich würde mit diesem bach drachensteigen gehen an einem grünen see. ich würde ihn im blauen kaftan und rotem fez auf einen esel setzen, in einer düsteren landschaft - weitweg von dem satten deutschen grün. vielleicht hört er dann auf seinen esel und auf seinen gesang. ich würde ihn in einem park auf eine bank setzen, ohne jegliches accessoire. meinetwegen soll er dann beten. vielleicht giert er gar nach der entblößten schulter einer badenden. oder ich setze ihn in die mitte eines stillebens mit äpfeln, ohne engel und passionen. vielleicht könnten wir dann gemeinsam neue masken entwerfen für die zukunft. neue masken für den menschen, mit eigenem licht, mit eigener farbe.

als er hierherkam, trug er ein schild um den hals: dass er kein englisch spricht. damals erwartete man, dass kinder der emigranten die sprache durch gehör lernten. wir krochen unter sein hemd, um ihm ein wenig wärme zu geben.

er sagte, er suche nur ein gesicht. ein gesicht, das ihn betrachtet, in ihn eindringt, dort herumwühlt, wieder herauskommt und sich dann neben ihm ausbreitet.

dann setzten sich die figuren in bewegung, ohne eine klare richtung anzupeilen, bis sie sich von selbst auflösten. hernach suchte er kein gesicht mehr. er sagte, es gebe keine linien mehr, es bleibe einem nur die farbe. er könne schließlich nach gehör auch amorphe farbflecken erkennen; und er nannte uns zuweilen seine kostgänger.

er sagte, seine farben seien nur eine bühne, für akteure, die ohne scham und häme ihr gesicht entblößen. doch auch diese formen drängten zur auflösung, bis die akteure verstummten, wieder besiegte das fließende das ruhende.

schließlich formte er aus uns ein rudel, das er auf den gelangweilten, kaugummikauenden betrachter hetzte. wir sollen ihn auf sich selbst zurückwerfen, bis er sein schweigen nicht mehr erträgt. dann erst entsteht jener raum, den unser meister schon immer gesucht hatte.

wir wanden und wendeten uns unter seinen händen. er wolle uns von dem schmutz befreien, von jener patina des fortschritts. er sagte, farben schreien für gewöhnlich laut, wenn man von ihnen jene kraft abverlangt, die in ihnen schlummert. er könne aber mit dieser lautstärke umgehen und lasse sich von ihnen nichts vormachen. wenn wir auf ihn hörten, dann mache er uns unbesiegbar, ohne unseren natürlichen verfall zu verleugnen. dann erst verdienen wir jene freiheit, die er nur in farben denken kann.

sein selbstmord hat uns nicht überrascht, aber auch nicht zerstört. wir hatten ja unter seinen händen laufen gelernt.

den kaddish haben wir gesprochen, während seine brüder nur schwiegen. wir blieben dann für eine weile auf der madison avenue stehen und betrachteten die welt mit seinen augen.

ich bleibe hier, bis der himmel sich ergibt, das meer sich beruhigt, die wolken mit ihren gebrochenen linien dem abendstern weichen, und die farben sich meinem gebet anschließen. ich bete mich vor bis in das gemüt dieser landschaft, damit sie schließlich nichts anderes mehr ist als ein blickfeld.

hier ist raum genug, auch für einen neuen gott. der verklärte himmel über mir kann meinem glauben nichts anhaben. und ich werde wachsen, durch mein gebet. jeder strom wird das meer gewinnen, irgendwann. gott hat sich vielleicht im sand versteckt; dort muß ich ihn suchen. ich will ihn in seinem gehege finden.

ich kann nicht mehr zurück; kein weg führt von hier fort. und wohin auch? in die kargen städte, dünn besiedelt und jakobinisch? gott wird sich als vorhanden erweisen - für den suchenden. seine sendboten, ohne gewehr und fahne, mit einem eigenen licht, werden ihn erreichen. derweil krähen in den nebel wallfahren - auf der suche nach dem religiösen namen für freiheit.

was aber bleibt übrig, zwischen trost und kreuz? ich verwandle jedes innere in einen organisch gewachsenen außenraum. meine landschaften sind in mir geboren, dazu brauche ich nur ein herz. mein inneres auge, wach und genügsam, macht die empfundenen bilder sichtbar.

für jeden, der sehen will, selbst für den agnostiker.

dann erst kann ich, mit dem rücken zu gott, die natur suchen und ihr dienen, dieser launischen stellvertreterin gottes auf der erde. ich suche nicht austauschbare dinge, nur eine unbedingtheit, die mir die wahl abnimmt zwischen christenheit oder europa.

gott aber will nicht real werden; darum trachtet die natur in ihrer romantischen geometrie nach regelmäßigkeit und gestalt. ich muß das gitter aufstoßen.

licht und fleisch; ich begehre beides.

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