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Licht und Zwielicht in der Komödie

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In der Insel wird, einer Tradition dieses Hauses zufolge, „O s t e r n“ von S t r i n d-b e r g gespielt. Wir sahen dieses Stück vor Jahren im hohen Norden: noch echter,'beklemmender, auswegloser, mörderischer gespielt — eine schrille, überspannte Saite; Welt ohne Glauben, ohne Gnade, ohne Ffoffnung. Tragödie nordischen Bürgertums — der Einsam-Einzelne bricht im Krater seiner Selbstsucht zusammen, da eine mächtige Hand die Kulissen der „Ehre“, der Würde, des bürgerlichen Ansehens von ihm zieht und ihn allein läßt: In der Wüste seiner Furcht und seines Argwohns, seines Hasses und Neides. Elis Heyst, cand. phil., glaubt sich von Gott und Welt verraten. Sidierlidi, er hat sdiwere Schidcsalsschläge hinnehmen müssen — der Vater sitzt schuldig im Gefängnis, ein Freund hat ihn betrogen, doch: diese Tatsachen sind ihm nur ein Vorwand, um lieblos, unbarmherzig Mutter, Braut, Schwester zu tyrannisieren. Der Nächste wie der Fernste sind ihm feind, weit er selbst sich nicht als den großen Feind seines eigenen Lebens erkennen will. Eine trostlose Welt — diese, seine Welt des „Rechthabens“, des störrischwilden Eigenwillens: in ihr zerbricht die Liebe der Geliebten, welkt die Blume der Schwester, bricht das Herz der Mutter. Ein sdimales Happy-End — Herr Lindkvist, ein starker Freund-Feind, zerbricht den Trotz des eigensüchtigen Jünglings —, im nächsten Augenblick, wir spüren, ahnen es nur zu deutlich, werden die Wellen der Verzweiflung wieder zusammenschlagen über cand. phil. Heyst, über Strindberg, über diese Welt später Menschen die sich selbst vernichten, weil sie es nicht mehr wagen, in der dumpfen Enge ihrer bürgerlichen Stube ein Fenster für Gott zu öffnen, auf daß Luft, Licht, Wärme, Freude einstrahle in die Enge ihres Herzens ... eine einzige Haltung könnte sie retten, die des Psalms, der Liturgie: elevatio manuum mearum sacri-ficium vespertinum — „wie ein.Abendopfer sei vor Dir das Erheben meiner Hände“ .. Sie wagen es aber nicht mehr... Sie sind zu schwach, zu müde, zu beklommen.

Die Stephansspieler bringen als Oster-premiere ein Lustspiel des Rokoko: „Der Neffe als Onkel“ von Picard in der Übertragung von Sdiiller. Komödie der Verwechslungen — Franz von Dorsigny, der Neffe, spielt mit Unterstützung seines treuen Dieners Campagne die Rolle seines Onkels, des Oberst von Dorsigny, um dessen Tochter als Gemahlin zu gewinnen. Lustspiel des Rokoko — dies dürfte jedoch nicht dazu verführen, das Rokoko nur als Lustspiel zu nehmen: Marie Antoineite spielt, als Schäferin verkleidet, ländliche Spiele, frisch gewaschene Landschafe paradieren, mit bunten Bändern geziert, als höfische Schäfchen. Rousseaus „Neue Heloise“, sein Ruf „Zurück zur Natur“, wird zum schwärmenden Signal einer spätmüden, feudalen Welt, die sich wohl verwandeln will, nicht jedoch mehr wandeln kann. Sie weiß zutiefst um alte Schuld — und Schulden! — und sehnt sich nach neuen Masken und Kostümen —. der französische Adel versudit es also, im Spiel, sich zu wandeln, aus einer tausendjährigen Herrscherkaste großer Maße, aber auch großer Anmaßung, will er zu einer „freien“ „naturverbundenen“ Gesellschaft gleichgestellter Bürger werden. Im „Neffe als Onkel“ ist es der schlaue Diener Campggne, der die geistige Leitung der Wandlung übernimmt — in einer entscheidungsschweren Nacht 1789 entschließt sich der französische Adel, berauscht vom Klang der eigenen Worte, zum Verzicht auf seine alten Vorrechte, weil er zutiefst glaubt, daß dies immer noch sein Spiel ist... Vergebens Waren alle Warnungen eines Jahrhunderts gewesen, “vergebens auch die mahnenden Briefe Maria Theresias an ihre unglückliche Tochter. Symbol des Rokoko sind die in schwermütige Grazie getauchten Traumlandschaften und Traumgestalten Watteaus — ein Krüppel malte den höchsten, letzten und feinsten Glanz —, es ist, wie wenn er seine pastosen Farben dem Flügelstaub purpurner Nachtfalter entlehnt hätte ... Warum diese Bemerkungen über Marie Antoinette, Rousseau und Watteau zur Osterpremiere der Stephansspieler? Diese war ein“ großer, verdienter Erfolg der Regie, der Schauspieler des gesamten Ensembles. — Und doch: er könnte noch größer Sein, wenn einzelne Töne zarter, -einzelne Gestalten atmosphärischer die Luft des Ganzen beschwingter wäre — und wenn der eine Tropfen Wermuth — Wehmut, Schwermut — gemischt in den Trunk der Heiterkeit — nicht fehlen würde. Dazu sollte die Musik der Zwischenspiele — Mozart vor allem, gespielt von einem ungenannten Quartett in zeitgenössischen Kostümen — einen bedeutsamen Hinweis geben. Dieser Einfall der Regie zeigt, daß sie doch um das Geheimnis des Rokoko wußte: es ist so zart, daß es die Berührung der Hände kaum verträgt, ein scharfes Wort, eine schiefe Gebärde zerbrechen es

Froh und reich beschenkt verließen wir das Theater.

Weniger froh und weniger reich machten uns zWfci weitere Premieren der Osterwoche. Das Theater am Praterstern bringt Louis Verneuils „Karussel 1“, eine bemerkenswerte Leistung der Schauspieler, zumal der Hauptdarstellerin. Das Thema aber ist wenig erfreulich. Eine Pariser Kokotte hat einen reichen und einen armen Liebhaber; sie liebt den armen, so lange dieser arm ist, als sich die finanziellen Verhält-jiisse ver-kehren, wandelt sich auch ihre Liebe, der reiche Freund rückt zum Liebhaber auf und umgekehrt... Im Original sieht das Pariser Publikum eine feine Travestierung eines gewissen, ihm wohlvertrauten Milieus, in der Übertragung erlebt das Wiener Publikum nur sehr eindeutige Zweideutigkeiten. Damit aber stehen wir bereits vor dem „H aus in Monte-v i d e o“, mit dem Kurt Götz nach langen Jahren der Abwesenheit an die Stätte früherer großer Erfolge zurückgekehrt, nun die Wiener im Volkstheater beglückt. Wir müssen es aufrichtig gestehen: er beglückt sie tatsächlich, diese Wiener... ein großer Bühnenerfolg, das Publikum klatscht begeistert Beifall... Wir lasen zuerst das Programm und fanden da Herrn Professor Traugott, Hermann Nägler, Oberlehrer mit Frau Marianne und 11 Kindern, deren Namen — u. a. Parzival, Wotan, Freya, Frigga auf eine neuzeitliche, „Kulturpolitik“ betreibende Linie des Ganzen hinzudeuten schien. Mitnichten. Diese „moralische Komödie“, wie Götz sein Opus betitelt, in dem er alter Tradition folgend Regie urtd Hauptrolle persönlich übernommen hat. spielt nicht in den beiden Amerikas, zwischen den beiden letzten großen Kriegen, in einer Gegenwart also, sondern um 1880, 1890, vielleicht auch 1900. Der Herr Professor hat vor Zeiten eine 17jährige Schwester verstoßen, da sie ein Kind bekam. Nun soll seine Tochter Atlanta eben diese Schwester beerben, nur ist da eine Klausel im Testament, welche fordert, daß in der Familie des Professors sich dasselbe ereignen müsse, was einst Anlaß war zur Verstoßung der Erblasserin... Zum Schluß löst sich alles in Wohlgefallen auf, auf den Schluß aber kommt es gar nicht an. Sinn des Stückes? Götz kämpft gegen eine „bürgerliche Moral“, welche weder christlich ist (mit Recht trägt deshalb auch keines der elf Kinder des Herrn Professors einen christlichen Namen), noch auch europäisch — Europa und die Christenheit haben heute andere Sorgen als der deutsch-amerikanische Oberlehrer Nägler und der amerikanische Pastor dieses Stückes.

Aber Sie werden vielleicht einwenden, Herr Götz: „Laßt mir doch mein liebes, armes, entzückendes Lustspiel in Ruh. Sehen Sie, ich habe doch nichts anderes gemacht als meinen Einakter ,Die tote Tante' ein bißchen frisch auflackiert und aus einer deutschen Provinzstadt nach Amerika ^ verlegt. Die Zeiten haben sich doch gewandelt ... Wozu auch so große Begriffe wie' ,Europa', Christentum und ihre Sorgen ..., von all dem will ich doch gar nichts wissen“ ...

Sehen Sie Herr Götz, das ist es eben. Ihr Lustspiel weiß überhaupt nichts von uns, unserer Zeit, obwohl es in eben diesen Jahren unserer Not geschrieben wurde, obwohl es das Schicksal einer deutsch-amerikanischen Familie behandelt — Wotan, Frigga und Freya beten auf der Bühne zu Tisch: „Komm, Herr Jesus, sei unser Gast“ ... Wissen Sie, Herr Götz, daß in eben diesen Jahren Kinder deutscher Universitätsprofessoren „Tischgebete“ aufsagten, in denen an der Stelle Gottes Hitler stand? — Vom Schicksal deutscher Emigrantenfamilien in Amerika dürften Sie vermutlich mehr wissen als wir... Nein, nein, Sie machen es sich zu leicht — spielend-spielerisch rühren Sie fast in jeder Szene an schreiende Probleme unserer Zeit —: Auch Ihnen dürfte die Tatsache bekannt sein, daß tausende Familien heute in Europa und gerade auch hier in dieser Stadt Wien zugrunde gehen, zerbrechen, weil sie weder eine materielle, noch eine seelisdie Grundlage haben. Wir können dieser „moralischen Komödie“ weder das Prädikat des „Moralischen“, noch das der „Komödie“ zuerkennen: Moral setzt Gewissen — Wissen um die Nöte einer Zeit voraus, an die sich die befugte oder unbefugte Moralpredigt wendet und eine sehr zeitbedingte Komödie kann uns nur dann echte Freude, wahren Frohsinn vermitteln, wenn .sie um das Leid der Zeit weiß. Dies aber ist das Antlitz einer großen Stadt in einer Wodie, die im Bannkreis des Osterfestes steht: Matthäus- und Johannes-Passion, ein zwielichtiges Osterspiel, „Heiße Liebe“ im Film und auf der Straße, zwei schwankende Komödien, ein lichtes Spiel des Rokoko ...

Fremde, die aus vom Krieg Versehrten Städten Europas kommen, meinen, in Wien sei nicht sehr viel zerstört worden. Eingeborene schütteln jedoch den Kopf und erklären, es sei der Zerstörungen mehr als genug...

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