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Digital In Arbeit

Liebe auf elektronisch?

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Ehe soll nicht Zufall sein, Amors Pfeil darf nicht treffen, wenn man nicht zueinander paßt. Der Computer hilft, die Partnerwahl glücklicher zu gestalten. Die Krankheiten unserer kühlen Zeit in Stahl und Beton, Vereinsamung und Koritaktarmut, sollen vom Elektronengehirn bekämpft werden. Diese Aufgabe versucht ein bundesdeutsches Ehevermittlungsinstitut zu bewältigen, das sich stolz das größte der Welt nennt und das für Westdeutsche unternimmt, was etwa Selectron in der Schweiz anstrebt: Partnerwahl auf unsentimental-wissenschaftlicher Grundlage.

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Ehe soll nicht Zufall sein, Amors Pfeil darf nicht treffen, wenn man nicht zueinander paßt. Der Computer hilft, die Partnerwahl glücklicher zu gestalten. Die Krankheiten unserer kühlen Zeit in Stahl und Beton, Vereinsamung und Koritaktarmut, sollen vom Elektronengehirn bekämpft werden. Diese Aufgabe versucht ein bundesdeutsches Ehevermittlungsinstitut zu bewältigen, das sich stolz das größte der Welt nennt und das für Westdeutsche unternimmt, was etwa Selectron in der Schweiz anstrebt: Partnerwahl auf unsentimental-wissenschaftlicher Grundlage.

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„Mein Name ist Hase, und ich weiß von gar nichts..so lautet ein alter Kinderbuchsatz. Sein Name ist Haase, und er weiß van sehr viel. Viel von 33.000 Menschen, die den Partner suchen. Den Partner fürs Leben. Herr Haase ist Mitglied des Managements. 37 Jahre Durchschnittsalter. Man arbeitet rationell, auf allen Gebieten up to date. Mit dem Computer. Man ist das größte, modernste Eh evermittlungs insti tut der Welt. Man leibt in Richtung Jahr 2000. „Ham’se nich, ham’se nich ‘ne Braut für mich?” Der Schlager gehört verplüschter Vergangenheit an. Kühl-freundliche Atmosphäre. Palisander und norddeutsche Gediegenheit. Distanzierte Umsorgung. Büro- räuime im Umbau für eine noch erfolgreichere Zukunft. Geplanter Anbau. Das ist die Altmann GmbH, in Hamburg. Herr Haase empfängt, Herr Paula, Diplomvolkswirt und Geschäftsführer, ist leider verhindert.

Das Institut mit der größten Partnerauswahl hat nicht nur 33.000 Willige zu bieten — sein Umsatz betrug 1968 auch 33 Millionen Deutsche Mark. Alle Achtung. Mehr der Zahlen: 600 Mitarbeiter werden in Cupidos Diensten beschäftigt, in Hamburg — und im Außendienst auf die ganze Bundesrepublik verteilt. Einsame Herzen aus dem Ausland sind gleichfalls registriert. Und in Schweden hat man bereits in erfolgreicher Eheanbahnung eine Tochtergesellschaft gezeugt. In jeder Woche werden über 7Ö00 Kontakte zwischen Partnersuchenden hergestellt, jeden Monat gelangen 2000 neue Mitglieder in den großen Kreis der Betreuung, jedem Mitglied werden drei Jahre lang 99 Vorschläge jährlich versprochen. Und über allem schwebt der Computer. Er ist der Kopf, das Herz, sozusagen die Seele des Unternehmens.

Ihm, dem Computer, ist aber nicht nur ein modernes Management zur Seite gestellt. Mit ihm funktionieren wissenschaftliche Berater; Professor Hans W. Jürgens etwa, Bevölke- rungswissenschaftler und Anthropologe an der Universität Kiel, Professor Lüscher, der den Färbtest für den Fragebogen des Instituts ausarbeitete. Es sind festangestellte Psychologen und Soziologen zur Hand, die den Computer füttern, Verbesserungen ausarbeiten,, die reellen Chancen der Partnervermittlung durch Lochkarte noch reeller gestalten.

Professor Jürgens verficht denn auch mit Statistik-Florett die Sache mit dem Elektronengehirn. Nach seinen Aussagen trifft jeder von uns unter normalen Umständen zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr nur höchstens sechs Menschen, die als Heiratskandidaten in Frage kommen. Der Computer, siehe oben, bietet mehr und außerdem nach dem Kalkül der Vernunft. Wer paßt zu wem — nach psychologischen Erkenntnissen? Das wird von ihm auf unbeirrbarem Wege in Sekundenschnelle ausgespuckt, und das ist auch der Grundgedanke des Unternehmens. Wer nicht zusammenpaßt, sollte nicht auf den Eheweg geschickt werden. In Berlin werden jährlich von 10.000 Ehepaaren 102 geschieden, in Hamburg sind es 87, in Bremen 57. In Amerika endet die Hälfte aller Teenager-Ehen innerhalb von fünf Jahren vor dem Scheidungsrichter. „Gleiche oder zumindest ähnliche Veranlagungen und Interessen sind für das Glück einer Ehe sehr wichtig”, sagt Professor Jürgens. Daran hält sich der Computer. Er buchte im vergangenen Jahr gute Erfolge mit seiner Praxis: 8200 Dauerkontakte; davon setzten sich 2500 Paare den Verlobungsring, 2200 den Ehering auf. In Prozenten gerechnet heißt das: 56. Eine noch umfassendere Zahl: jede 14. Ehe in der Bundesrepublik wurde „vermittelt”. An dieser Tatsache klebt nicht mehr die Lächerlichkeit herkömmlicher Eheanbahnungsstuben, an ihr klebt vielmehr der Fortschritt. Die Sachlichkeit hat auch die Liebe in ihren Bann gezogen. Die Auflösung der traditionellen „Großfamilie” zieht die Vereinsamung nach sich.

Besonders umfangreich, so kann das Institut vermelden, sei der Prozentsatz der Jugendlichen unter ihren „Mitgliedern”. Kontaktschwierigkeiten, Einsamkeit, Hemmungen — die Psychologen wissen das zu deuten. Wer einen vorgeschlagenen Partner trifft, zum erstenmal, der weiß bereits viel über ihn, nicht nur Namen, Alter, Größe, Aussehen — er hat auch über seine Neigungen, sein Innenleben Auskunft erhalten. Der psychologische Test, zusammengesetzt aus Fragebogen und Lüsciher- Farben, hat einiges geoffenbart. Verständlich, daß es sich dabei um Durchschnittswerte handelt; mit Extravaganzen müssen die Menschen vorerst noch selbst fertigwerden.

Hier nun taucht mit Berechtigung die Frage auf nach dem System. Die Frage nämlich: Wie komme ich an den Mann durch Altmann?

Wer möchte der Versuchung widerstehen! Man will selber wissen: Wer paßt zu einem? Wie sieht jener Partner aus, den der Computer einem zugedankt? Der erste Vorschlag (mit Bild) von — wenn man will — 300 weiteren?

288 Auskünfte kann er dem Computer geben; graphologischer Test, Färbtest.

„Er ist noch unvollkommen, der Fragebogen muß erweitert werden, verbessert”, erklärt Herr Haase. Der wissenschaftliche Beirat arbeitet bereits daran.

Aber laßt uns blättern in künftigem Glück. Da wird — natürlich — gefragt nach Namen, Alter, Wohnort, Familienstand (etwa geschieden?), Konfession (etwa Atheist?); nach Staatsangehörigkeit, Hautfarbe, Aussehen (Augen, Haare — Glatze eingeschlossen), Gesundheitszustand; nach Leiden und Beruf, nach Kindern und Einkommen. Auch letzteres ist wichtig. Nicht nur für die Rechnungsstellung, die zwischen 500 und 2500 Mark betragen kann (Ratenzahlung möglich), auch für die Partnerwahl darf dieser Punkt nicht übergangen werden. Denn Professor Jürgens hält es etwa für schädlich, wenn die Frau mehr verdient als ihr Mann. Nach herkömmlicher Ansicht zerstört sie das Bild, das der Mann von sich hat: das Bild des Familienernährers und Herrn des Hauses.

Da wird gefragt nach Lebensversicherung und eigenem Auto, nach Mängeln, die der Partner haben darf; Körperbehinderung vielleicht. Darf er Kinder bereits haben oder gar Ausländer sein? Bevor die eigenen Interessen erforscht weiden, will der Computer (mit Ausrufungszeichen) wissen, ob man einen besonderen Hang zum Alkohol verspürt.

Mitmenschen, seid ehrlich, betrügt euch nicht! Ihr belügt nicht nur das Elektronengehirn; dem Partner, für cĮen ihr als ideal gewertet werdet, müßt ihr ohne Schuld in erwartungsvolle Augen schauen können. Der Mut erstreckt sich nicht allein auf Alkohol. Man muß noch vielerlei sagen über die Interessen, die man hat — oder nicht hat, über Beruf und Hobbies. Woran einem denn läge; an Sport, Familienleben, Politik, an Tanzen, Flirten oder Gesprächen? Was liest man? Geht man in die Kirche? Und so weiter und so weiter.

„Wenn der Mensch sich etwas vornimmt, so ist ihm mehr möglich, als man glaubt.” So heißt der lebensbejahende Satz der graphologischen Tests des durch und durch lebensbejahenden Unternehmens. Nur, wie gesagt, der Personalbogen soll noch verbessert werden, soll noch mehr Aufschluß geben über subjektive Einschätzungen. Wenn zwei das gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe.

Wie kommen die Ehesuchenden an die Personalbogen, wie kommt Altmann zu seinen Kunden, wie kommen die Kunden zu ihm?

Herr Haase kann helfen: „Durch Anzeigen, durch Beilagen in Zeitungen.” Ein erster kleiner Fragebogen plus Test ist ihnen meist beigegeben. Wer interessiert ist, einsam, mit Schwierigkeiten belastet bei der Suche nach dem anderen Menschen, schickt ihn ein. Nach einiger Zeit meldet sich ein Altmann-Mitarbeiter; er berät, hilft mit bei der Ausfüllung des großen Personalbogens, hilft auch mitbestimmen, ob jener Kandidat vielleicht zu den 30 Prozent der aussichtslosen (oder unseriösen) Fälle zählt, die von vornherein abgelehnt werden. Das Motto heißt: Reelle Chancen! Und so soll es bleiben.

Für die anderen glücklichen 70 Prozent beginnt der „rollende Einsatz für Ihr Glück”, wie Michael Paula es so treffend im Vorwort der Broschüre sagt, die den neuen Mitgliedern Anleitung gibt für die Abwicklung des rationell durchgearbeiteten Programms in punkto Liebe lebenslang. Hier scheint alles bedacht, vom aufgesetzten Kontaktbrief (nicht zu pathetisch, nicht zu unpersönlich) über die Anforde- runigsformulare ziu neuen Partner- Vorschlägen bis zur vorgedruckten Mitteilung, daß eine Verlobung, eine Hochzeit die Bemühungen krönte …

Zwei Wochen wartete ich voller Neugier. Dann endlich kam die Antwort. „Sehr geehrtes Mitglied! Alle Merkmale, die geprüft und verglichen wurden, deuten darauf hin, daß der unten beschriebene Partner gut zu Ihnen passen würde …” Er wurde unter 31.923 ausgewählt.

„Ich heiße mit Vornamen Peter”, beginnt es da, ,/und bin geboren am … Ich besitze die Schweizer Staatsangehörigkeit; bin im Ausland auf- gewachsen und wohne jetzt in Zürich. Ich bin von Beruf Lehrer und verdiene entsprechend. Ich bin evangelisch. Ich bin ledig (…) Ich bin 169 cm groß, von Gestalt mittel und habe braune Augen und braune Haare. Mein Gesundheitszustand ist sehr gut.

Ich bin vorwiegend geistig interessiert, besonders an Kunst und Geisteswissenschaft. Meine Hobbys sind das Musizieren und die Beschäftigung im technischen Bereich. Der Geselligkeit bin ich zugeneigt. Besonderes Vergnügen machen mir Brettspiele und angeregte Gespräche. Vor allem ersehne ich ein harmonisches Familienleben.

Der psychologische Test hat ergeben: Ich bin von vorsichtig abwägender Natur, also kein Drauf gängertyp. Aber unter beständigen Widerständen zu leben, ermüdet mich, und jede Mißachtung selbstverständlicher menschlicher Ansprüche empfinde ich als demütigend. Dabei bin ich durchaus kontaktbereit und anpassungsfähig, wenn auch sehr gefühlvoll und zurückhaltend. Aber mein Wunsch nach erholsamer Geborgenheit und rücksichtsvoller Ruhe, was nun einmal nach meiner Meinung zu einer harmonischen Ehe gehört, ist für einen feinfühlenden Menschen sicher verständlich.”

Für mich verständlich? Sehen wir nach in meinem psychologischen Test. Da findet sich, unter anderem: „Ich bin ein einigermaßen sensibler Mensch…” Ist dir damit gedient, Peter? Oder brauchen wir doch noch Amors Pfeil oder wenigstens der Hexen Liebestrank?

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