Liebe im Schatten des Todes

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Erica Fischer sammelte Lebens- und Liebesgeschichten von Holocaust-Überlebenden.

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Erica Fischer sammelte Lebens- und Liebesgeschichten von Holocaust-Überlebenden.

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Jüdische Liebesgeschichten wollte Erica Fischer schreiben, "erzählt von Menschen mehrerer Generationen, zusammengetragen in verschiedenen Ländern. Denn in der Liebe, vermutete ich, lernen die Menschen sich selbst neu kennen". Dies schreibt die Autorin im Vorwort zu ihrem jüngsten Buch, "Die Liebe der Lena Goldnadel". Insgesamt zehn Geschichten hat Erica Fischer auf Reisen in Israel, der Türkei, mehreren europäischen Staaten und den USA in langen Gesprächen mit Jüdinnen und Juden in Erfahrung gebracht und niedergeschrieben.

Stets geht es um Liebe und um lesbische wie heterosexuelle Beziehungen, und stets macht die zwischenmenschliche Bindung eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen, jüdischen Identität, vor allem aber mit der Vergangenheit erforderlich, die, als selbst erlebte oder von Eltern und Großeltern tradierte, unumgänglich vom Holocaust bestimmt ist.

Ruta ist im Ghetto geboren, trotz der offiziellen Verordnung, wonach "Geburten im Ghetto bei Todesstrafe verboten" sind. Irgendwie hat sie schon als Säugling begriffen, dass sie, wollte sie ihre Familie nicht in Lebensgefahr bringen, mucksmäuschenstill sein musste in ihrem Versteck, einer Schachtel mit Luftlöchern unter dem Bett. Hanna hingegen kam mit 19 Jahren nach Auschwitz, war bei der Befreiung 20 Jahre alt und wog 33 Kilogramm. Lena, Tochter polnischer Emigranten in Paris, findet während der deutschen Besetzung Unterschlupf in einem Nonnenkloster und entdeckt dort ihre Zuneigung zum weiblichen Geschlecht.

Naomi hat von der Mutter einen Widerwillen gegen alles Deutsche eingeimpft bekommen. "Einsatzgruppen, Heil Hitler, Umschlagplatz. Das sind die deutschen Wörter, die sie kennt." Doch was passiert, wenn Naomi, deren Eltern mit vorrückendem Alter immer orthodoxer werden, sich in den Deutschen Robert verliebt und ihn zu heiraten gedenkt? Wie geht Lenas Familie mit dem "Unglück" einer lesbischen Tochter um? Wie bewältigt Ruta ihre allerersten Lebenserfahrungen als verstecktes Kind in ihrer Ehe? Wie kommt Hanna, die Auschwitz zu einer überzeugten Jüdin gemacht hat, mit einem jüdischen Ehemann zurecht, der sich ein Leben lang beharrlich weigert, Jude zu sein? Dies sind nur vier aus einer ganzen Reihe von Fragen, mit denen sich das vorliegende Buch auseinandersetzt. Nie theoretisch und abstrakt, sondern in der Unmittelbarkeit der Lebensschilderungen.

Bisweilen schaltet sich Fischer selbst ein, indem sie Einblick in das Zustandekommen der Geschichten gewährt. Meist bleibt sie als Autorin im Hintergrund, gegenwärtig nur durch die Art, wie sie ihre Aufzeichnungen wiedergibt. Knappest sind viele Sätze, ohne Schnörkel und ohne Pathos. Gerade damit gelingt es Erica Fischer, das unendlich komplexe Thema der Liebes- und Lebenswege von Individuen berührend und eindringlich zu vermitteln.

Die Liebe der Lena Goldnadel Jüdische Geschichten von Erica Fischer Rowohlt-Verlag, Berlin 2000, 288 Seiten, geb., öS 283,-/e 20,60

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