Lieber Poet als Politiker

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Es gilt, im deutschsprachigen Raum einen slowenischen Dichter zu entdecken, der exemplarisch für die zeitgenössische Lyrik ist: Niko Grafenauer.

Nur wenige Dichter können in unseren Breiten- und Literaturkreisen von sich behaupten, an der Geburt der Selbstständigkeit eines Staats mitgewirkt zu haben. Der slowenische Lyriker mit dem deutschen Familiennamen, Niko Grafenauer, gehört dazu. Als Chefredakteur der Intellektuellen- und Kulturzeitschrift "Nova Revija", die auch heute noch in Ljubljana unter seiner Federführung erscheint, hat er geistig die Ablösung Sloweniens vom größeren Jugoslawien vorbereitet. Seinerzeit brauchte man Mut, um einen solchen Gedanken zu fassen. Als Grafenauer und seine Freunde, vornehmlich Schriftsteller, wussten, was sie wollten, haben sie solange geschrieben, bis es Ende 1990 zur Volksabstimmung über die Verselbstständigung und Mitte 1991 zur Unabhängigkeitserklärung Sloweniens gekommen ist. Legendär ist in diesem Zusammenhang die programmatische Nummer 57 der "Nova Revija".

Niko Grafenauer habe ich im Mai 1987 in Kärnten kennen gelernt. Vom Dichter war ich spätestens seit dem Erscheinen seines Lyrikbands "Eingewebte spur" im Jahr 1984 zutiefst eingenommen. Nun erscheint dieses Buch in deutschsprachiger Übersetzung in der Edition Atelier in Wien. Es gilt daher, nachhaltig auf einen wichtigen europäischen Dichter aufmerksam zu machen.

Der Schriftsteller, Essayist, Kritiker und Übersetzer Niko Grafenauer wurde am 5. Dezember 1940 in Ljubljana geboren. Die Kindheit verbrachte er wegen des frühen Tods seiner Eltern in verschiedenen Orten Sloweniens. Er studierte in Ljubljana Vergleichende Literaturwissenschaft und -theorie. Im Jahr 1969 diplomierte er mit einer Arbeit über Rainer Maria Rilke. Er war Jahrzehnte Cheflektor im Verlag Mladinska knjiga, heute ist er Chefredakteur der erwähnten "Nova Revija" und der Monatszeitschrift "ampak".

Veröffentlicht hat er mehrere Lyrik- und Essaybände sowie zahlreiche beliebte Kinderbücher. Bekannt ist er ebenso als Übersetzer deutschsprachiger Schriftsteller. In das Slowenische übertragen hat er Bücher von Gottfried Benn, Paul Celan, Hans Magnus Enzensberger, Hugo von Hofmannsthal, Friedrich Hölderlin, Else Lasker- Schüler, Rainer Maria Rilke und anderen. Er gilt in Slowenien als der Celan- und Rilke-Spezialist - und hat sich in der Philosophie vor allem mit Platon, Hegel, Nietzsche, Kierkegaard, Sartre, Camus und Heidegger befasst.

Trotz vieler politischer Optionen ist Niko Grafenauer immer seiner Berufung treu geblieben. Nach den ersten freien Wahlen in Slowenien sind ihm mehrere Positionen angeboten worden, unter anderem jene des Kulturministers. Er hat aber, obwohl "politisch vorbelastet" - sein Verwandter Franc Grafenauer war nämlich Reichsratsabgeordneter der österreichisch-ungarischen Monarchie - nie nach öffentlichen Ämtern geschielt. Und doch ist er als ein am Wesen des slowenischen Staats interessierter Mensch präsent und gefragt: Welcher Dichter schafft es schon - wie Niko Grafenauer zum Beispiel am 7. November 2002 in der "Demokracija" - auf das Titelblatt eines politischen Magazins?

Niko Grafenauer ist ein Dichter, der seine Texte mit großer Inspiration baut. Es entsteht eine Vernetzung, die von (s)einer eigenen Philosophie getragen wird, so dass ein Gedicht den Weg zum anderen öffnet. Er ist ein Dichter, dem schrille Farben und Töne fremd sind. Seine Lyrik ist nicht jene der Sonne, sondern die des Monds und der Sterne und damit noch immer eine Lyrik der Helligkeit und Klarheit. Das Helle und das Dunkle stehen nebeneinander, ebenso Tag und Nacht, Leben und Tod. In Grafenauers Gedichten tritt neben den Thanatos der Eros. Seine Gedichte sind ein exemplarisches Beispiel zeitgenössischer erotischer Lyrik vom Feinen.

Dieser Lyriker weiß, dass Leben und Tod keinen gemeinsamen Nenner haben, dass sie kein Gleichgewicht finden, weil sie das Gegengewicht sind. In seinen Gedichten steht im Vordergrund immer das Sein, doch vor dem Hintergrund des Nichts. Niko Grafenauer insistiert in seiner lyrischen Philosophie auf der Existenz. Der Sinn aber liegt im Bekenntnis zur eigenen Herkunft und Tradition. Er bricht dabei slowenische Tabus und arbeitet historische Fragen auf. Es geht ihm nicht um Schuldzuweisung, sondern um die Unschuld der Opfer.

Mit der "Eingewebten spur", die vier Gedichtzyklen und eine Elegie umfasst, wird dem deutschsprachigen Leser um vieles mehr zugänglich als ein übersetztes Buch.

Eingewebte spur / Vtkana sled

Gedichte / Pesmi von Niko Grafenauer

Aus dem Slowenischen von Janko Ferk Edition Atelier, Wien 2003

140 Seiten, geb., e 18,00

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