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Liebesbrief aus Wien

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Ith wölke gestern nch nach Purkersdorf, erreichte aber nicht mehr den Zug. Eine Weile war ich unschlüssig, ohne Ziel. Der Abend war plötzlich so leer. Dann ging ich die Mariahilfer Straße hinauf, und auf einmal trug mir jeder Schritt Wachheit und Frohsein zu. Die Bewegtheit der Straße empfand ich wie eine Lösung. Heiter, beglückend zogen Menschen, Bilder, Farben, Lichter. Immer tiefer, freudiger wanderte ich in die strömende Kühle, in die brüderliche Dunkelheit. Schneesterne stürzten vom Himmel, stolperten über meinen Hut, sprangen mir ins Gesicht. Bald trug ich einen schimmernden Talar. Rufender Winter war es, in dem ich schritt. Unzählige Bubenerinnerungen begannen sich zu regen und die große, fünf Jahre lange Seminarsehn-sudit: Jetzt, jetzt daheim zu sein, wenn Arbeitsruh und frühe Dunkelheit die Menschen eng gesellt, einen Liederabend hören, ein Theaterstück sehen und vielleicht, viel-leidit auch ein Mädchen, das freundlich zu mir ist. — Ich fühlte diese längst gelöschte Sehnsucht so ehrfürchtig und fast so neu

wie damals, nur schmerzte sie nicht. Denn in dem Augenblick, da sie mich getroffen hatte, war sie auch schon erfüllender Besitz.

Die ganze Zeit her warst Du doch schon neben mir gegangen, ich hatte so viel mit Dir gesprochen, mich so sehr mit' Dir gefreut, die Menschen alle, die abenddunkle Straße, die leise schwingenden Lichter, ihre blinkenden Spiegel und der lustige, unerschöpfliche Glitzerregen aus Silber und Eis, aus Kühle und Samt, alles das gefiel auch Dir so gut, und manchmal verfing sich ein besonders schöner Kristall in Deinen dunklen Brauen, blieb dort eine Weile und strahlte wie ein rechter, glückbringender, schmückender Stern. Du müßtest es sehen, damit pu wissen könntest, wie schön es war. *

Können wir in einer anderen Stadt so sehr aufgehen wie in dieser? Immer mußte ich mich — im Maß dazu bloß die geringste Zahl — mit ihrer Gewalt, ihrem Namen,

mit ihrem Gezeitenschlag verschmelzen, so sehr verbinden, daß kein Körnchen auf beiden Seiten ganz und eigenes Gesicht blieb, ja so, daß ich nicht wußte, wo ich zu Ende bin und dieses Starke, Große seinen Anfang nimmt. Selten hab ich in dieser Stadt einen Schritt getan, ohne mein Herz zu tragen wie eine Erwartung, wie die inständige Bitte, es möge mir doch Gnade widerfahren, die Gnade eines, lieben, gleichbedrängten Menschen, der auch sieht, wie schön, wie schicksalhaft dies alles ist: dieser Turm, dieser Platz, dieses Haus. — Die Gnade eines Menschen, den dieses Schauen und Empfinden ebenso beglückt wie mich und der mir diesen Reichtum tragen hilft; so schwer war es mir oft. Zuweilen blieb ich auf solchen Gängen stehen, unwillig, erregt, und sah mich fragend um: Ist denn niemand da?

*

Seltsam, wie gestern die Burg im winterlichen Himmel stand! Ihr Groß-, ihr Gewaltigsein, das Kaiserliche an ihr war mild gedämpft. Sanft rückte sie sich in die Tiefe. Fassaden, Firste, Säulen, Fenster, Nischen umreift, abgewandelt, abgetönt und doch vertraut im kleinsten, unscheinbarste;! Zug. Auf Rasen, auf Wegen mildblankes Weiß. Die Reiterdenkmale große, schwarze Schwerter. Rundum schneeblühendes Gezweig, darüber warm glimmende Lampen. Lichtgold hergrüßende Helle im Midiaelertor. In seinem Bogen das wundersame, eisendunkle Gitter. Es war, als hämmerte an der blühenden Silhouette noch der Meister. Behutsam, als zöge er Blumen. Du warst noch nie mit mir, und darum war es noch nie so schön wie gestern.

Es ist nicht gleich, wo der Tisch steht, an dem man trinkt. Der Melker Keller ist in die Stadt hereingelangtes Land, ein Stück Ursprung, ein Stück Anfang, Auerbachs Keller etwa für den, der es so will.

Ich war noch nicht unten, hörte ich schon meinen Bubennamen rufen, und Du mußt wissen, was dies für mich bedeutet. Daß ich mich eine ganze Kindheit seiner schämte, daß man ihn mir auch später noch lange verlästerte und verschwieg. Erst die Leute im Melker Keller ließen ihn gelten. Ihnen brauchte ich nicht bloß irgend jemand zu sein, ihnen war ich ich selber. Vor drei Jahren war ich das erstemal dort. Mit einem Tisch voll Mäddien, die sich die Stadt besehen hatten. Vor zwei Jahren mit der blonden Aufrührerin für alles Menschenrecht und ein 'weltgroßes Brudersein. Vor einem Jahr mit der schwarzen Klosterschülerin, die so viel seh wieg und so rührend treu den schönen, feinen Sitten war. Gestern, gestern war ich allein. Denn die wortfrohe Lustigkeit ist den Träumen-feind, und nun fehltest Du. Alles war gleichgeblieben: das alte, ehrwürdige Gemäuer, die reichen Büschel Nadelreis an Wänden und Bildern, die grünblanken Gläser, die lachenden, schwärmenden Leute, selbst die Kellner. Nur idi war als anderer gekommen. In heiterer Wehmut hörte ich den wirr schlagenden Strom, und ich glaubte, ich lächelte ein wenig. Ich lächelte vielleicht sogar hochmütig. So stolz bin ich auf Dich. Und gern hätt' ich mit Dir angestoßen.

Der Melker-Keller-Mann fuhr mich im Auto heim. Er ist mein Freund und nimmt gern Anteil an allen meinen Dingen. Doch immer wieder schlief das Gespräch, mußte er mich - mahnen, und allmählich wurde es ganz still. Nur der Motor surrte leise hin, und vor den Kühler, in das flimmernde Licht der Lampen, warfen die Räder immerfort Schnee. Warm, goldgelbweiß wallten die Strähne, die Wölklein wirbelten empor in hellichte Schwünge, fielen wieder zurück in die Nacht. Immerfort mußte ich hinsehen, das Bild war so schön und geheimnisvoll. Gibt es aber zu solcher Zeit überhaupt irgend etwas, das nicht schön, nicht geheimnisvoll wäre? Dann wollte ich aussteigen. Der Weg in der Nacht würde mir guttun. Ich konnte doch nicht sagen, warum ich auf der Straße, die nun kam, allein sein, nicht fahren, warum ich eben auf ihr gehen wollte. Aber mein Freund ist ein guter Kamerad. Nein, nein, er führe mich schon bis ans Ziel. Ein wenig enttäuscht sah ich hinaus. Der ansehnliche Raum verlosch in ein paar armseligen Sekunden. Was war doch sonst auf diesem Weg schon e i n Schritt, e i n Wort, e i n Gedanke?

Auf der Brücke stieg ich aus. ^Schnell wollte ich die Gasse hinunter. Doch ich mußte hinüberschauen, dorthin, wo ich Dir damals die gelben, roten Äpfel, die ich Dir hatte tragen müssen, vorsätzlich einzeln zurückgab, zurückgab in Deine Hände, die sich im blinkenden Mondregen leuchtend boten.

Siehst Du, auch dies war schön und sonderbar, dieses Seltsame, Seltene: Mondlicht und Regen! Als du den farbigen, schimmernden Apfelberg an Dich hieltest, mußte idi an Gottfried Kellers „Judith“ aus dem „Grünen Heinrich“ denken. So ähnlich erschien sie ihm am ersten Tag. Bloß das Mondregenspiel fehlte.

Als ich dies alles dachte und nochmals sah, spürte ich, wie schwer es in mir .war. Schwer von einer übergroßen Freude. Die ließ sich noch nicht nach Hause tragen.

Im Kaffeehaus war Musik. Ich mußte mandimal die Augen schließen. Einmal nahm ich das Blatt, das ich Dir zu Deinem Photo sdirieb, und las. Du kamst daraus auf mich zu, innig lächelnd. Dich bringend. Geige und Klavier sangen.

Und ihr Spiel, die vielen kleinen Silbersterne, die Burghofsilhouette, der Stimmenstrom im Keller, das Schneesprühen vor dem Auto, die leuchtenden Äpfel im Mondregen, alles das war e i n Lied. Es hatte Deinen Namen und kein Ende.

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