Julian Schuttings neuer Roman umkreist eine Liebe in einzigartigen Sprachvariationen.
Ein mit wenigen Strichen gezeichnetes Fenster, durch das der Mond zu sehen ist: Selten wird ein Umschlag dem Inhalt eines Buches so gerecht wie bei Julian Schuttings neuem Roman Zu jeder Tageszeit, in dem die Liebenden in Nachbarschaft wohnen und einander durch ihre Fensterblicke Tag und Nacht nahe sind. Und auch der Mond ist präsent: als Requisit der Liebesdichtung seit Goethe und als real erlebte Natur wie die vielen Orte und Wege, auf denen Wien - vor allem an seinen Rändern - durchwandert wird. Gleichzeitig werden die Liebesbotschaften Handy, Anrufbeantworter und Auto anvertraut: eine sehr heutige Liebesgeschichte.
Tagebuch einer Liebe
Es ist "ein Tage- und Briefbuch der Liebe, das in sich einschließt Nachtbriefen und Tagbildern entstiegene Gedichte", das Schutting hier geschrieben hat und dessen Texte zwischen Dezember 2002 und Dezember 2003 datiert sind; nur wenige stammen von 2005, und ganz am Schluss steht die rationale Abwehr, die Bangigkeit, die der Eruption dieser Liebe vorausging. Deutlich sind die autobiografischen Bezüge, und Schutting unterstreicht sie dadurch, dass der Geliebte mehrmals als Julian angesprochen wird.
"so erfüllt sein von dir, daß einen das Glück darüber all den anderen Passanten zuwendig macht und man das, versonnene Lächeln' vor sich hin schauender Jünglinge richtig versteht" - die Überraschung von Sätzen wie diesem liegt nicht so sehr darin, dass der Autor sie in seinem 70. Lebensjahr veröffentlicht, sondern wie er die allzu bekannten Gefühle in Sätze fasst.
In Satzkaskaden, die nicht nur durch ihr konsequent klein geschriebenes Anfangswort und ihre oft unkonventionelle Wortfolge als Schutting-Sätze erkennbar sind, sondern auch alle Möglichkeiten der deutschen Syntax ausloten, vor keiner Partizipialkonstruktion und keinem noch so komplizierten Konjunktiv zurückschrecken und eine oft abenteuerliche Länge erreichen. Dazwischen kommt es immer wieder zu kalkulierten Brüchen, wenn umgangssprachliche Ausdrücke ganz ungeniert in den hohen Ton eingeschmuggelt werden.
Das Du in allen Dingen
Faszinierend ist, wie sich dem Liebenden jede Beobachtung symbolisch auflädt: "Da schwebt auf dem Uferwasser des Sees ein edles Blatt (Salweide?), und ein wenig unter ihm, zu seiner Linken, zieht wie ein Fisch sein Schatten mit - der wär ich gern, wärest du dieses Blatt!" Und gleichzeitig geschieht in Schuttings bewusster Spracharbeit immer wieder auch das Gegenteil, die "Rückholung einer Metapher ins Konkrete", wenn etwa in der Augustinerkirche die "Herzgruft" der Habsburger wörtlich genommen wird: "aus der meinen hast du mich herausgeholt, durch dich losgeworden die Mumifizierung des nämlichen Herzens und also auch das stoische Lebensgefühl, mein noch gewesen vor wenigen Wochen."
Artistische Konstruktion und ein spontaner Fluss, der sich - vor allem in den lyrisch geprägten Teilen - zu hymnischen Tönen verdichten kann, prägen Schuttings Sätze auch in diesem Buch. Sie erzwingen ein langsames Lesetempo und ziehen dennoch hinein in dieses sprachlich präsent gesetzte "Liebesfeuer und Liebesverlangen" - Schuttings großes Thema, das nicht nur Titel wie die 1982 erschienenen Liebesgedichte oder den Liebesroman von 1983 prägt, sondern auch den Lyrikband Traumreden (1987) oder die Aufhellungen (1990). In seinem 70. Lebensjahr hat er eine autobiografische Offenheit und eine neue Konzentration seiner sprachlichen Mittel auf das Thema Liebe riskiert.
Glühende Sehnsucht
Es ist eine asketische Liebe, die sich hier Bahn bricht, ein platonischer Verzicht auf körperliche Erfüllung, der eine umso glühendere Sehnsucht weckt, die mystischer Nähe (und Distanz!) zum Göttlichen oft sehr ähnlich ist. "und noch immer vermag mich zu erschüttern das der sogenannten Wandlung folgende Einbekenntnis:, Mysterium fidei' - verwandt dem Glaubensbekenntnis der Liebe", ist schon im Band Nachtseitiges zu lesen. Und es ist eine Liebe, die sich jeder Routine verweigert, sondern das Einzigartige des Augenblicks bewahren will; sie weiß um das "Licht der grellen Wahrheit, was alles niemals sein soll, damit verblieben sei in unserer ersten Stunde". In ihrer schmerzlichen Abwesenheit ist die Geliebte näher als in einer Anwesenheit, die zur Selbstverständlichkeit verkommt: "Tut nichts, daß du nicht mitgekommen bist - warum nicht ein paar Tage mit dir allein zu sein!"
Unverwechselbare Sprache
Es ist immer wieder erstaunlich, wie konsequent sich Schutting der konventionellen Sprache verweigert und Konstruktionen entwickelt, die es ihm erlauben, Gegenwärtiges in seinen Möglichkeiten weiterzudenken und reale Dinge in unvertraute und überraschende Zusammenhänge zu stellen. Und welches Thema wäre dafür geeigneter als die Liebe mit ihren ungestümen Sehnsüchten, tödlichen Durststrecken und ebenso glückseligen wie verstörenden Wahrnehmungen.
ZU JEDER TAGESZEIT
Roman von Julian Schutting
Jung und Jung Verlag, Salzburg und Wien 2007, 291 Seiten, geb., € 25,-
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!