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LILIEN AUS ALJUSTREL

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In fiebriger Glut breitet sich die lehmfarbene spanische Wüste vor uns aus. Uber die Pyrenäen, Biarritz, San Sebastian, rechts das Kantabrische, links das Kastilische Gebirge, durch Altkastilien führte die Straße. In diesem Jahr ist Ostern so früh, daß die Wiesen nur selten mit jungem krausem Gras bedeckt sind. Durch kleine Dörfer fährt man; winzige Schießscharten die Fenster, die Fassaden der Häuser sind abgebröckelt. Nirgends gibt es Blumen. Wo sind die schönen spanischen Mädchen? Die Straße windet sich dunkel zwischen den verfallenen Häusern hindurch, erdfarbene Gesichter unter schwarzen Kopftüchern drehen sich uns zu. Völlig nackte Kinder quellen aus den Türen, dunkle Augen füllen die kleinen Gesichter. Auf Dornenhecken hängt armselige Wäsche. Blaue Esel tragen Männer vorüber, vertrocknet hocken sie auf den winzigen Tieren, streifen den Boden mit holzbraunen Füßen. Sie wenden nicht einmal die Köpfe nach den vorbeizischenden Wagen, die rar sind, denn wer sucht nicht lieber die lockenden Küsten auf? Hier ist nicht der wilde Atlantik, hier ist nur der Himmel nahe, diese ungeheure bleiche Schale, die sich über die verlotterten Häuser wölbt. Zuweilen tauchen in der Ferne Spitzen und Kegel violetter Gebirge auf. Schwarze magere Schweine wälzen sich zusammen mit Kindern im dürren Gras.

Dunkel wie Rabengefieder windet sich die Straße durch die spanische Wüste. Riesige Kakteen strecken ihre dürren Arme aus, ihre runzeligen Bäuche sind wie die Bäuche verhungerter Kinder vorgewölbt. Hohe, schmale Häuser, verwelkt und verkommen, irgendwo auf steilen Wiesen, krümmen sich, vorgeneigt starren sie auf den dicken Autobus, der sich so verwegen gebärdet. Ganz selten stehen auf gelben Hügeln Zypressen, gebeugt, in unerbittlicher Einsamkeit.

Die Sonne erscheint weiß und wie geplatzt in dem hellen Himmel. Ermattet von der langen Fahrt, denken die Pilger vielleicht, Salamanca sei nur eine Fata Morgana gewesen. Hie und da bockt der alte Wagen, als schrecke er zurück vor dieser glanzlosen Weite.

Dann sind plötzlich smaragdene Hügel nahe, mildgrüne Pinienhaine. Portugal. Eishelle Flüsse schäumen in den Tiefen, es gibt Feigenbäume und die ersten Steineichen. Der Autobus erklettert ein Hochplateau. Gibt es das: einen Brunnen, aus dessen Rohr kaltes Wasser schießt? Verstreut stehen rosafarbene und blaue Häuser, die Luft ist nicht mehr sandigtrocken, weicher Wind kommt vom atlantischen Ozean.

Die Serra de Estrella erhebt sich, sanft hingeschwungen, in rosa Prunikgewänder gekleidet. Die spanische Wüste ist vergessen, der Fluß Mondega rauscht fröhlich und unbekümmert. Weiß schäumt er, seine Ufer sind von fremden, schwankenden Blumen bedeckt.

Hinter uns ist ödnis, in Verschlossenheit und Verlassenheit das Grab unseres Herrn, das überall ist in jenen Tagen vor Ostern. Es geht dem Leben, der Auferstehung entgegen! Die schaumhellen Gebirge berühren den Himmel, der noch nicht bereit ist, Gottes Sohn aufzunehmen.

Cdimtora, die kleine Universitätsstadt baut sich auf einem Hügel auf, voll unbeschwerter Heiterkeit. Hoch oben steht die weißglänzende Kathedrale, Beherrscherin der schmalen, steilen Gassen, der gelben, giftgrünen und himbeerfarbenen Häuser. Buben mit Sträußen von Lilien trappeln vorbei, sie sind dreckig und ungekämmt, aber ein Duft begleitet sie, aus einer anderen Welt kommend.

Wir fahren durch Korkeichenalleen, die Stämme sind bis hoch hinauf abgeschält, blutrot, nackt und großartig blicken sie herab auf das lächerlich fauchende Ungetüm, das uns nach Fatima und Aljustrel führt. In der Feme wellen sich zwei wildgrüne Bergkuppen, die langsam in ein Büßerlila versinken.

Wie gastlich nimmt uns das Kloster auf! Wände aus Majolika schimmern im Speisesaal, der Wein ist eisgekühlt, das Essen ausgezeichnet. Doch ehe es noch dunkelt, muß man die Cova da Iria aufsuchen, jene Mulde, in der drei Kindern die Muttergottes erschien, über einer Steineiche schwebend. Bauern rutschen kniend näher zu der kleinen Erscheinungskapelle, lange, schwarze Zipfelmützen hängen auf ihre derben, schafwollenen Gewänder, Mädchen mit olivbraunen Gesichtern berühren mit ihren Rosenkränzen die Mauer. Bis zu den übergroßen schwarzen Augen fallen weiße Spitzenschleier. Die Cova da Iria ist erfüllt von dem klagenden Geschrei kleiner Esel. Mit gekoppelten Beinen grasen sie.

In der Nacht zirpt der Wind ums Haus, er begehrt Einlaß.Im Schlafsaal, zwischen den niedrigen Couchen, schwanken reichgezogene weiße Leinenvorhänge auf großen Holzringen. Man ist allein. Der summende Bergwind vereint sich mit dem Wind, der vom Atlantik kommt, der stürmische Kraft hat und aussagt, daß der Leib des Herrn nicht mehr lang in seinem Grabe ruhen wird.

Der Morgen ist voll milder Bläue und zärtlich ist das Lüftchen, das einen betastet. „Onde e Aljustrel?“ frage ich ein Mädchen, das an der Klostermauer lehnt. Ein rauchgrauer Kittel bekleidet die Kleine. Sie nimmt strahlend die Münzen, die ich ihr gebe, und stiebitzt mir unglaublich schnell ein Taschentuch. Selig summend hüpft sie neben mir her. Hier begrenzen bunte Steinmauern die Straße, Eidechsen blitzen auf. Feigenbäume glänzen, wie mit öl beschmiert. Zarte Steineichen. Olivenbäume auf rotem Erdreich. Links und rechts stehen niedrige Häuser. Menschenleer ist die eigelbe Straße, die wenigsten wissen, daß hier das Dorf ist, in dem Jacinta, Francisco und Luzia aufwuchsen. Es ist lang her, daß Francisco und Jacinta starben, Luzia lebt im Carmel in Coimbra.

Ein Hirte steht in der Wiese in seinem steifen, gewebten Umhang aus Schafwolle, braune Lämmer rupfen das spärliche Gras. Kein Haus besitzt einen Kamin, der Rauch zieht durchs Gebälk ab. Die sehr alten Eltern Jacintas und Fran-ciscos sitzen auf einer Bank vor ihrem schmucklosen Häuschen. Brocken Portugiesisch helfen mir zu einer Annäherung. Die Würde großer Armut umgibt die beiden zarten Gestalten. Gern zeigten sie mir die schlichten Räume; nein, Kitsch hat sich hier keiner angesiedelt. Es gibt bunte, handgewebte Decken über die Betten gebreitet, Tongefäße stehen auf den Steinplatten der Küche, strohgeflochtene Stühle mit hohen Holzlehnen. Niedrig sind die Sitze, man kniet auf ihnen, um zu beten. Der alte Vater verwahrt in seiner langen Zipfelmütze Kautabak. Was für eine kostbare Armut, die beide umgibt, einhüllt!

Die Alpennelkenwurz wächst auf den Steinmauern, die Perückenflockenblume, Alpenreben schlingen sich um niederes Strauchwerk, lederbrauner Klee steht im hellen Gras. Und irgendwo schimmern sie wie Schnee: Lilien! Kreßrotes Habichtskraut gibt es in Fülle, rosa Hauswurz macht sich behaglich breit, das hellbraune pyrenäische Drachenmaul vereinigt sich mit bärtigen Glockenblumen. Der weiße Safran hat lieblichen Glanz.

Hinter dem kleinen Haus, in dem Luzia aufwuchs, ist die Zisterne, überwuchert von Pelargonien, die ihr zartes Schattenmuster auf die Steinblöcke werfen. Verkrümmte Feigenbäume stehen in dem abwärtsführenden Garten und noch immer, so wie damals, breitet sich selige Stille aus, und die feuriggrünen Bergkuppen blicken herab auf den Garten, die Zisterne, so wie einst im Jahr 1916, als den Kindern hier ein Engel erschien.

Zwischen kleinen Felspartien führen steile Pfade die Hänge des Cabeco empor zu einsamen Höhlen. Stumpf sind die aus dem roten Erdreich emporstrebenden Felsen, wie überdimensionale Fingerhüte. Wind kommt mit starken Gerüchen vom Atlantik her, Steineichenblätter zeigen ihre weißen Unterseiten. In Grasinseln stehen sie, die Lilien, kurzschäftig, schief im Wind, die goldenen Staubgefäße beben. Hier ist der Ort, an dem den Kindern zum dritten Male ein Engel erschien: ein Jüngling, der mit der Stirn den Boden berührte. Er reichte Luzia eine Hostie und gab den beiden Kleinen aus einem Kelch zu trinken. „Nehmt hin den Leib und das Blut Jesu Christi, die von den Menschen beleidigt werden.“

Von hier aus sieht man viele Dörfer, bräunliche Schafherden, zwischen den sich bunt hinschlängelnden Mauern. Hineingeduckt zwischen dem Gespinst der Feigen- und Steineichenhaine. Einige verlorene Häuschen, das ist Aljustrel,auch heute noch ein vergessenes Dorf, es liegt zu weit ab von Fatima, dessen Kirchturm wie ein Pfeil in den Himmel zeigt. Hirten mit ihren steifen Gewändern stehen beinahe bewegungslos, der Umhang aus gewalkter Schafwolle und die großen Hüte verleihen innen königliche Würde. Zuweilen entnehmen alte Männer ihren langen, schwarzen Zipfelmützen Tabak, denn es gibt Hirten, die jene gewellten Hüte nicht tragen. Kleine Buben auf staubbraunen Beinen hüpfen über die Mauern, spielen wohl auch Mundharmonika, so wie damals Francisco. Fröhlich schwingen sich diese Mauern durch das wellige Land, farbig in runden Linien begrenzen sie die frischen Weiden und rubinfarbenes Erdreich.

Auf den Steilhängen des Cabeco blühen sie, die Lilien, vielleicht auch dort drüben in den Volhinos — nichts ist so schneehell wie ihre steifen Blüten, nichts so rauhgolden wie ihre Staubgefäße. Ihr Duft trägt einen fort über die Hügel, die milde Süße benimmt einem den Atem. Auf steifen Stengeln bewegen sie sich hin und her, manche bilden Prozessionen, streben die Steilhänge empor, demütige Beter. Sie scheinen keine Gemeinschaft zu haben mit den dicken Pfingstrosen, die noch von der Lederhülle der Blätter umfangen sind.

Von hier aus erblickt man die Cova da Iria nicht, doch auf der Landstraße sieht man die kleinen, rauchfarbenen Esel wichtig dahintrippeln. Darauf hocken schwarze Gestalten, links und rechts Körbe mit Eßwaren. In der Nacht werden viele Feuer brennen an den Rändern der riesigen Mulde, und die kleinen Esel mit zusammengekoppelten Füßen klagen sanft, daß sie nicht frei sind, so wie damals der eine, der IHN tragen durfte. Wie Bienengesumme liegen die Gebete der Pilger in der Luft, die der Bergwind und der Wind vom Atlantik emporträgt.

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