6676923-1961_26_20.jpg
Digital In Arbeit

Linz ist einen Aufenthalt wert

Werbung
Werbung
Werbung

Linz ander Donau — Fremde, die hier aussteigen, reisen zumeist „geschaftlich”, haben Eisen und Stahl, Turbinen, Brucken, Schiffe, Stickstoff, Kunstdunger, Medikamente, Gias, Textilien und Textilmaschinen, Lizenzen, Um- satze, Provisionen und Zahlen im Kopf, denn die einst „an der LandstraBe” geruhsam trau- mende Stadt hat — aus Trummerschutt auf- steigend — nach 1945 einen kraftvollen, fiir ganz Osterreich bedeutsamen wirtschaftlichen Aufschwung genommen. Hier wird ein guter Teil dessen erarbeitet und verdient, was anderswo fur osterreichische Kultur ausgegeben wird. Wer also Osterreichs Kultur sucht, pflegt nach drei Minuten Aufenthalt weiterzufahren; viel- leicht von der Erinnerung gewarnt, dafi Metternich dem als Herzog von Otranto in bour- bonische Ungnade gefallenen, fur ganz Europa gefahrlichen politischen Subjekt Josef Fouche kein sichereres „St. Helena auf dem Lande” an- weisen lassen konnte als Linz. Wer mag in einem solchen Verbannungsort freiwillig ver- weilen, von dem der Wiener Vormarzdichter Eduard von Bauernfeld fatalerweise noch be- merkt hat, daB der Name sich ausgerechnet auf „Provinz” reimt?

Vorurteile scheinen unsterblich zu sein. Den- noch wufiten Reisende zu alien Zeiten den machtigen Bogen des Donaustroms, der die Stadt formlich umarmt, das griine Gehiigel, die liebliche Schonheit der Natur, in die sie ge- bettet ist, den kostlichen Akkord ihrer barocken Tiirme zu riihmen, sofern der Weg, den schon die Nibelungen gezogen waren, sie zufallig nach Linz gefuhrt hatte. „Die Gegend nahe bey dieser Stadt von der Wasserseite ist ungemein an- genehm. Zu beyden Seiten ist die Donau wieder mit Bergen eingeschlossen, auf welchen Baume stehen, und an den FiiBen derselben gehen die HeerstraBen. Das SchloB kann man ziemlich weit von feme sehen, und die Hauser und Kloster, welche zum Theil auf den hoch- sten Spitzen der Berge stehen, machen einen schonen Anblick.” So berichtete, nach einer alten Ubersetzung, 1773 der Englander Carl Burney; und 1798 verherrlichte Ernst Moritz Arndt die Stadt in Tdnen, die vielleicht schon ein wenig an Adalbert Stiffer gemahnen: „Die Strahlen der sinkenden Sonne begossen alle Gegenstande mit dem holden Dammerlichte, worin die Fantasie so gern mit ihren gold- besaumten Flugeln spielt. Still floB und silbern die Donau, mit Kahnen und Boten beladen, und vom Getose der Menge umhallt, die Stadt vor- bey. Jenseits schimmerte Uferlinz langs der Brfcte bio. _und .man sieht weit hinaus ein an- muthiges Bild des siifien Friedens, Ruben, Korn- felder und Baume, unter welchen das hoch- thronende Bestelberg (gemeint ist der Postling- berg) sich dem Auge des Sehers als ein schoner Ruhepunkt zeigt. Gegen Westen am disseitigen Lifer bey der Stadt sind steile Berge, woran sich wie an ewig sichern Gewdlben, unten langs der Donau, kleine Hauserchen gelehnt haben, und die weiter hinauf Garten, Gartenhauser und bluhende kleine Thaler zeigen. Aber un- beschreiblich ist die Aussicht nach Siiden und Osten. Die Stadt breitet sich selbst wie ein schoner Garten Gottes nach Siiden hin aus, und reiche und fruchtbare Fluren mit schonen Dor- fern und ferneren Waldern laufen amphithea- tralisch hinter ihr fort, und weither dammern die salzburgischen Schneeberge mit ihren leuchtenden Gipfeln und erregen ein Gefiihl des Aufflugs in die Unendlichkeit, das zu einem milderen Gefuhle verschmolz, als meine Augen der dampfenden Donau folgten, die, mit Ge- busch umkranzt, ihr schones Haupt dem sinkenden Sonnenstrahl zum Vergolden darbot. — Frohlich eilte ich heim, und sah im teutschen Dreher unten im Saale die schonen Linzerinnen einige Stunden walzen, weihte die letzte leben- dige halbe Stunde dem Strom, und sank in die Arme des Schlafs.”

Wahrhaftig, solche Begeisterung vermag Linz auch heute noch auszulosen; und darurn ist es mehrere Ubernachtungen, will sagen, einen lan- geren Aufenthalt wert. Nicht allein wegen der Geschaftigkeit, sondern wegen der auserwahlten landschaftlichen Lage und der Kulturerzeugnisse dieser Stadt.

Wir brauchen hier nicht von Vor- und Fruhgeschichte zu reden, in der Linz als Siedlung am Schnittpunkt des einzigen von Westen nach Osten fuhrenden groBen europaischen Stromes mit der von Norden nach Suden fuhrenden BernsteinstraBe und einer womoglich noch wichtigeren SalzstraBe seine kaum noch zu ermessende Bedeutung besafi. Dem Reisenden gilt vor allem, was er mit eigenen Augen ge- wahrt. Da mag ihm nicht nur Lentias keltische und romische „Visitenkarte” im Landesmuseum genugen, sondern mehr noch wird ihn die im Vorfeld der bereits 799 genannten Burg zu fin- dende Martinskirche fesseln, die auf eine romische Anlage aus dem 1. nachchristlichen Jahrhundert zuruckgeht, von Karl dem GroBen seinem Kardinal Rodland verliehen wurde und der einzige noch aufrecht stehende, geschlossene Bau Osterreichs aus der Zeit vor 900 ist. Die in ihrer Baugestalt aus dem 15. und 16. Jahrhundert stammende stolze Burg mit dem Friedrichtstor von 1841 ist heute ein aus- gedehnter Altan, der zum Verweilen und zum Betrachten des Donautales wie der Stadt ein- ladt. Wenn vom Postlingberg aus die Stadt in ihrer ganzen Breite und bei gunstigem Wetter mit dem eindrucksvoll abschlieBenden Alpen- panorama erscheint, so gibt sie sich vom SchloB aus intimer, in erlesenem Barock. Die Stadt, in der Johannes Kepler von 1612 bis 1626 lehrte, sein Hauptwerk „Harmonice mundi”, die Welt- harmonie, vollendete und aus den Gesetzen des Himmels und der Bewegung der Planeten die Harmonie der Schopfung erfuhr, wartet mit mancherlei edlen tlberraschungen auf: 1493 starb Kaiser Friedrich III. in Linz, und sein Herz wurde hinter einer Marmortafel neben dem Altar der Stadtpfarrkirche beigesetzt. In diesem Alten Dom wirkte Anton Bruckner von 1855 bis 1868 als Organist, und gegenuber vom Gotteshaus, am Gebaude Pfarrplatz 4, erinnert eine Tafel daran, daB hier Goethes Suleika, Marianne vori Willemer, geboren wurde. Das ausgehende 15. und das beginnende 16. Jahrhundert war eine besonders fruchtbare Zeit fiir die Hauptstadt des Landes ob der Enns, das den Hauptstadten der iibrigen osterreichischen Erblander ohne Zweifel ebenbiirtig war; und je heftiger die Tiirken Wien bedrangten, desto be- deutender wurde Linz als politisches und als Handelszentrum des Reiches. Selbst Friedrichs Sohn, Kaiser Maximilian L, der letzte Ritter, der Wien 1490 militarisch wieder gesichert hatte, hielt sich lieber’ in der Linzer als in der Wiener Burg auf, weil ihm Wien an der Ost- grenze seines Reiches zu abgelegen war. Auch nach dem Tode Maximilians, der 1519 im be- nachbarten Weis verschieden war, erlebte Linz noch einen Hohepunkt fiirstlicher Glanzent- faltung, als am 26. Mai 1521 Erzherzog Ferdinand und Konigin Anna von Ungarn in seinen Mauern dreitagig Hochzeit feierten. Damals geschah es, daB beim festlichen Turnier Herr Sebastian von Losenstein, aus heimischem Ge- schlecht, an das Altstadt 2, das Losensteinsche Freihaus, noch heute erinnert, einen iiber- mutigen spanisch-habsburgischen Ritter unsanft auf dem Linzer Hauptplatz landen liefi. Seither wissen die Linzer, daB es manchmal 1:0 fur sie ausgeht, wenn andere gar zu uberheblich Linz auf Provinz reimen. (Eine trauliche Gewohnheit, die selbst in unseren Tagen noch geubt wird — und ware es auch nur auf dem Turnierfeld der bildenden Kunst.)

Doch genug der kriegerischen Reminiszenzen, da Linz soviel Angenehmeres zu spenden vermag. Wohl wurde 1626 der Bauernfuhrer Stefan Fadinger auf der Promenade vorm Landhaus todlich verwundet, aber die zeitgenossischen Linzer hoffen, daB sich diese aus Glaubens- tiefen gespeiste soziale Spannung seither oft genug entladen hat. Linz ist gegenwartig eine Stadt freundlichen Friedens. Sein 13.000 Quadratmeter groBer Stadtplatz ist ein lichter Saal wie der GroBe Platz in Venedig, und selbst be- vor ihn die 1723 vollendete Dreifaltigkeits- saule kronte, die als Dank gegen die Uberwindung der Pest aufgerichtet worden ist, war er einer der schonsten und geraumigsten Platze im Heiligen Romischen Reich Deutscher Nation. Sogar in unseren Tagen, da er von Autos „be- volkert” ist, spurt man das Aufierordentliche seines architektonischen Wesens noch immer.

Wer zum Schonen strebt, findet zu Linz in der Stadt sobaid kein Ende. Nicht umsonst haben die Barockmeister Johann Lukas von Hildebrand, Jakob Prandtauer, Johann Michael Prunner, der „Khunstreiche Paumeister zu Liintz”, und Johann Haslinger hier gebaut. Kupfergriin und golden leuchten die Barock- tiirme der Innenstadt, umkranzt von klar gestal- teten Hochhausern unserer Gegenwart. An die achtzig werden es nachstes Jahr sein. Sie alle miteinander sind dieTurme von Linz! Wer in Renaissance schwelgen will, wendet sich dem Landhause zu; wer die Kunst des 19. Jahr- hunderts und der Gegenwart sucht, gehe in die Neue Galerie der Stadt Linz, die beispielsweise die erste grofie Kokoschka-Ausstellung und die erste umfassende Klee-Ausstellung Osterreichs nach 1945 verwirklichen konnte.

Linz — hort man gewohnheitsmaBig — sei so- zusagen eine Stadt ohne Humus, innerhalb Osterreichs eine Art ..Wilder Westen” mit viel ordinarer Arbeit samt Qualm, Gestank, Larm und Nebel. Welch ein Irrtum! Linz verleugnet weder seine industrielle Gegenwart noch seine kulturelle Vergangenheit. Es ist ganz gewiB einen langeren Aufenthalt wert — gleichgiiltig,

ob der Fremde. (Osterreicher inbegriffen) an Kultur und Natur oder am aktuellen Geschaft interessiert ist!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung