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Lisa's Reise von Gösau zu den Niagara-Fällen

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Eine Alpenblume, kitschig geschwungene Buchstaben auf Karbkarton und das Foto einer jungen Frau (der Autorin?), so präsentiert Marlene Streeruwitz dem Leser optisch ihre neue Minitrilogie. Die äußere Aufmachung, kann wohl kaum die latente Nähe zum Schundroman verbergen, obgleich die Autorin keine gewöhnliche Parodie bieten will.

Nach den „Verführungen" ist „Lisa's Liebe" bereits die zweite Prosapublikation der früher vorwiegend als Dramatikerin und Regisseurin arbeitenden Schriftstellerin. Sie ist relativ spät an die Öffentlichkeit getreten, hat sich aber bald den Nimbus verschafft, zu den wichtigen weiblichen , Stimmen Österreichs zu gehören. Ihr Blick klebt am Alltäglichen im Leben einer Frau, wie hier in „Lisa's Liebe", wenn sie sich auf die Unerträglichkeit endlos ähnlich gesponnener Lebensfäden im Ritual von Leben, Liebe, Frust konzentriert, in dem man es sich häuslich eingerichtet hat. Ausgeleuchtet wird in kühler Distanz ein Frauendasein, das lange Zeit in träger Lethargie vor sich hin vegetiert, doch irgendwann einmal der Normalität weiblicher Beschädigung entflieht. , Was scheinbar wie ein gewöhnlicher Arztroman beginnt, hat letzten Endes mit diesem Genre wenig zu tun, denn die Hauptakteurin fällt aus der trivialen Bolle - so plötzlich, wie sie sich in ihr einmal gefunden hat.

Lisa ist ungebunden, kinderlos und in ihrem Leben schon oft an verheiratete Männer geraten, für die sie die heimliche Geliebte abgibt. Doch Lisa liebt emotionslos, manchmal gegen - ihren Willen, einfach so. Schon seit langem schleicht sich Monotonie in ihr Leben ein, an der sie fast zu ersticken droht. Manchmal wünscht sie I sich sogar das Ende. Natürlich kein : wirkliches Ende. „Sie wünschte sich so eine Art „Winterschlaf", eine Flucht aus der dumpfen, sie umgebenden Welt. „Wie schwer es doch ist, normal zu sein!" An ihrem Ferienort Gösau erhofft sie briefliche Antwort auf ein seltsames Liebesgeständnis. Während dieser eintönigen Wartezeit rollen sich in Bückblenden markante Episoden aus ihrem Leben auf. Diese Erinnerungsarbeit gerät zum Be-wußtwerdungsprozeß. Und so stellt sich bei Lisa langsam der Wunsch nach einem „Gefühl für sich" ein. „Dieses Gefühl sollte mit niemandem anderen zu tun haben." Schon gar nichtmiteinem Mann.Lisakehrtvon ihrer New York-Reise vorerst nicht zurück, meldet sich in der Schule krank und löst ein Ticket zu den Niagara-Fällen.

Den ungewöhnlich aufbereiteten Stoff zeigt die Autorin in einem interessanten Mix aus Text- und Fotomaterial, quasi als literarisierte Umsetzung trivialer Muster und Illustrationen. Auf diese Weise entfaltet sie nüchtern und präzis ein unspektakuläres weibliches Szenario, das durch kommentierte und willkürlich hineinmontierte Zeitungsausschnitte, Todesanzeigen oder Werbeprospekte auffrisiert wird. Damit wird die Banalität des Lebens unterbrochen, ohne daß sie tatsächlich durchkreuzt wird. Das alternierend zwischen Lisa und dem Postboten hin und her gleitende Erzählen durchdringt mit stumpfer Gleichförmigkeit die ersten beiden Heftchen. Raffiniert spielt Streeruwitz mit der Monotonie eines simplen Stils. Kurz und prägnant steht auch Lisa's Name im Text, am Anfang jedes Kurzkapitels, am Anfang vieler Sätze. Überspitzt durch die optische Parallele bringt Streeruwitz das Triviale mit dem scheinbar Normalen gelungen zur Deckung, entlarvt Rollenstereotypie und weiblichen Konformismus behutsam am Beispiel dieser Frau aus dem Mittelstand. Daß die Beflexion weiblicher Sozialisation mitunter auch auf eine Metaebene gehievt wird, kommt in der kodierten Botschaft der Texte zum Ausdruck, die die Hauptfigur für einen Schreibkurs verfaßt.

Zum Schluß rückt erstmals das Individuum „Lisa" vor einem zart versponnenen Netz von Wünschen ins Bild. Doch Befreiung konkretisiert sich vorerst bloß in Form von Verweigerung. Das Verschwinden Lisa's von der Bildfläche ihrer bisherigen Welt bedeutet zunächst nur Ablegen der Opferrolle, zeigt sich also als offene Lösung in räumlicher Distanz. Ein erster Spagat zwischen Normalität und Wagnis tut sich auf, ein zaghafter Sprung über den Rand sozusagen. Die Station im „Land der Freiheit" treibt die Suche nach einem neuen Lebensentwurf voran, bedeutet aber noch keinen Meilenstein der Entwicklung, denn diese hätte aus der Sprachlosigkeit herausführen müssen!

LISA'S LIEBE Roman in drei Folgen Mit zahlreichen Abbildungen. Roman von Marlene Streeruwitz Verlag Suhrkamp, Frankfurt/M. 1997 3 Bände, zusammen 272 Seiten, brosch, öS 248,-

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