Litanei des Schmerzes

19451960198020002020

Die Slowenin Marusa Krese gibt dem menschlichen Leid im Krieg sprachgewaltig Ausdruck.

19451960198020002020

Die Slowenin Marusa Krese gibt dem menschlichen Leid im Krieg sprachgewaltig Ausdruck.

Werbung
Werbung
Werbung

Wie viele kriegerische Auseinandersetzungen hat es seit dem Zerfall Jugoslawiens gegeben? Im Kopf hat man die Bilder. Zu viele vielleicht. Eine dreifache Mutter, sprachmächtig, gibt dem Elend dieser Kriege Sprachgestalt.

Marusa Krese, 1947 in Ljubljana geboren, begann 1989 mit dem Schreiben von Gedichten. Auf "Heute" folgte "Bahnhöfe", worin sie vom Fortgehen aus der geschundenen Heimat sprach. Mit ihren Kindern suchte sie Zuflucht in Deutschland, London, San Francisco, sie reiste bis Australien und China. Als Zuhause blieb ihr nur die slowenische Muttersprache. Treffend nannte sie ihren dritten Lyrikband "Wort".

Das jüngste Buch trägt den Titel "Selbst das Testament ging verloren": 54 Gedichte, zweisprachig gedruckt, ins Deutsche übertragen von Klaus Detlef Olof. Die Bilder des Krieges, die in den Nachrichtensendungen vorüberflimmerten, riefen ungläubiges Staunen hervor, dass solche Grausamkeiten in Europa noch möglich sind. Europa müsste doch gelernt haben. Die Gedichte von Marusa Krese dringen in die Tiefe: "Das Leben ist, ich weiß nicht, wie ich sagen soll, ein langweiliges alltägliches Unrecht geworden. So ein kleines. Das Leben ist, wie soll ich sagen, eine unaufhörliche Strafe Gottes geworden. So eine kleine." In den Gedichten geht es um "Suche und Enttäuschung, Verlust und Einsamkeit, Schmerz und Vergeblichkeit, Wut und die verfluchten Illusionen" schreibt die Slawistin Ilma Rakusa im Nachwort.

Wohin geht das Leid eines Menschen, der nicht mehr friedlich schlafen kann? In sein Unbewusstes, seine Seele. Von dort holt es Marusa Krese zurück in die Sprache, um nicht wahnsinnig zu werden: "Ich komme zurück und warte, dass doch einer etwas sagt. Einfach so aus dem Herzen." Hier klingt eine Stimme wie in einem Lied. Sie flüchtet in ihren Gedichten ein zweites Mal. Keine konkrete Situation schildert sie. Ihre Gedichte sprechen vom Innenraum des Menschen, den die Angst verdunkelt: "Schlafen möchte ich, schlafen, bis ich mich ausgeweint habe, bis ich das Leben genug verflucht, mich genug gequält habe mit dem Unglück, von dem alle behaupten, es sei Glück. Schlafen möchte ich, schlafen, bis mir jemand Gute Nacht wünscht."

Die Frau, die alles verloren hat, sagt in einem Gedicht: "Ich bin stärker als der Krieg, als die Männer, die die Leben zerbrochen haben, als alle blutigen Leichname in dieser Stadt, als alle Verzweiflung und leere Hoffnung, als Hunger und Angst, als der Verlust der Wörter und die arroganten fremden Soldaten, als das verschmutzte Meer und die gesunkenen Schiffe."

Kraft gibt ihr die Aufgabe, für ihre Kinder da zu sein. Vom Mann, der sie gezeugt hat, ist nicht die Rede. "Ich schaue ihnen zu, wie sie schlafen. Meine Kinder. Ich schaue ihnen zu, um Kraft zu schöpfen. Ich schaue ihnen zu und frage mich, wie könnte ich sie jemals verlassen. Ich sehe diese ruhenden Gesichter, wische weg die Bilder aus der Stadt, die Gott nicht mehr mag. Noch einmal sehe ich in die Gesichter, die ich im Glück geboren habe, und schließe die Augen. Lass, Gott, lass es für immer sein, hier ist es kalt geworden, hier zwischen den Häusern ohne Dach."

Selbst das Testament ging verloren. Gedichte von Marusa Krese.

Edition Korrespondenzen, Wien 2001, 128 Seiten, geb., öS. 255,-/e 18,53

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung