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Literatur kürzer als ein Haarschnitt

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Zu Ivebzeiten hatte er sich gegen jeden Nachruf gewehrt. Heute versucht ein Preis, sein literarisches Vermächtnis wieder ins Gedächtnis zu rufen. Die Beverenz ergeht an Anton Kuh (1890-1941), einen Zeitgeistliteraten und Bohemien um die Jahrhundertwende. Er selbst hat zumindest nie sehr viel vom Getue um seine Person gehalten. Denn wahrhaft überleben kann man, wie er einmal meinte, wohl nur als von Mann zu Mann gehende Legende. Als Kuh, der kritische Satiriker und brillante Bedner, noch in Wien lebte, kümmerte er sich herzlich wenig um die gefährlichen, schneidend scharfen politischen Töne der Zwischenkriegszeit, sein Plädoyer galt der Freiheit der Gedanken. Dank bissiger Zunge und Wortwitz waren seine Feuilletons in der damaligen Presse kaum zu übersehen. Diese journalistischen „Lappalien" erweisen sich als schonungsloser Seismograph der Zeit, vor dessen spitzer Feder kaum etwas gefeit war. Trotz Zensur lieferte er beträchtlichen politischen Zündstoff und brachte sich dadurch in große Gefahr. Schon vor dem Anschluß verließ er Wien und ging zunächst nach Berlin (wo im Vergleich zu Wien ein offeneres Kulturklima herrschte), und schließlich 1933 nach Paris und London, bevor er endgültig in die Vereinigten Staaten emigrierte. Selbst sein unveröffentlichter Nachlaß ist den Österreichern - hier einmal unverschuldet - entgangen: ein Brand vernichtete sämtliche Schriften und die begonnenen Memoiren.

An den oft vergessenen und zum Teil wenig bekannten jüdischen Autor soll nun - 56 Jahre nach seinem Tod - ein Preis erinnern, der auf Initiative des Kulturvereins Forum Spittelberg herausgebracht worden ist. Dieser Anton-Kuh-Preis für Kürzestgeschichten ist mit 30.000 Schilling dotiert und wird ab heuer jährlich vergeben. Damit wTird die Wiederbelebung einer alten österreichischen Tradition in Angriff genommen, um die sich die Kaffeehausliteraten Peter Altenberg und Anton Kuh besonders verdient gemacht haben. Schon Altenberg hat einmal festgestellt, daß die „Extrakte des Lebens" in den „kleinen Sachen" liegen. Dieser „Telegramm-Stil der Seele", wie ihn Altenberg nennt, will mit wenigen Worten Erlebnisse, I Landschaften und Menschen schildern eine Technik, die vor allem den literarischen Impressionismus geprägt hat. Diese Konzentration auf das Wesentliche, das Beduzieren und Aussparen bringt die Kürzestgeschichte schon fast in die Nähe von Aphorismus, Anekdote oder Parabel. Sie ist pointiert und sprachlich so stark komprimiert - „kürzer als ein Haarschnitt lang" -, daß man sogar von „Zwergprosa" oder „Bagatelle" spricht. Der geringe Umfang zwingt zum sicheren Wort und birgt viele Möglichkeiten für das sprachliche Experiment. Damals wie heute schielen Kürzestgeschichten auf zeitgeschichtliche Phänomene. Sie blitzen in ihnen fragmentarisch auf, zeigen sich als Miniatur einer Momentaufnahme. Doch in diesen flüchtigen Splittern steckt „oft mehr Brisanz" (Hilde Spiel) als in einem Roman.

Der Anton-Kuh-Preis wird im Rahmen der Festwochen am Spittelberg im Juni 1997 verliehen. Interessierte in Österreich lebende Autoren und Autorinnen mögen ihre Kürzestgeschichten bis zum 31. März 1997 unter dem Kennwort „Anton-Kuh-Preis" an den Kulturverein Forum Spittelberg schicken. Die eingesandten Texte müssen unveröffentlicht sein und dürfen den Umfang von 60 Zeilen ä 60 Anschläge nicht überschreiten.

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