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LOBPREIS DES IRDISCHEN

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So nimm meinen Lobpreis gnädig an, auch wenn er nur von einer ganz Geringen kommt und eben nicht mehr sein kann, als wenn einem Säugling schon das Wort zur Verfügung stünde und er sein süßes Liegen zwischen den Brüsten seiner Mutter preisen würde. Du aber, o Schöpfer, weißt auch um die Deutung des Säuglings, um das Wunder der drei Monate alten Kindlein, denen noch kein Wort gegeben, die aber in ihrem Jubeljauchzen höchsten Ausdruck der Freude finden, so daß wir nur staunen können und fragen: Woher kommen diese Kindlein?

Wir Erwachsenen, die wir das Wort sprechen und lesen können ... wir zerbröseln und verlieren es. Doch wir können uns wieder finden, können uns wieder aufrichten wie Ährenhalme nach einen Sturm, wenn er uns nicht entwurzelt hat, wir uns nicht „verrückt“ haben aus Seinem: Gottes Blick.

Seht ihr die Berghänge mit ihren Oasen von dunklen Bäumen auf goldenem Mattengrund: hohe Tannen und Lärchen. Seht ihr sie ihre Zweige schwingen im Wind? Und ich höre. Ist es der Wind, sind es die Bäume, die in brausendem Chor ihre Stimmen erheben?

Still ist es wieder geworden, und ich gehe vor mich hin und sehe die kleinen Becher, Glocken und Sternblümchen hier am Weg ... und wir schauen uns an und sind uns so einig in der guten Zeitweile ... War es vielleicht einstmals ähnlich im Paradies? ... Vielleicht ... da fällt mein Blick auf das Haus des Bauern in der Landschaft. Nein, das hat es im Paradies noch nicht gegeben. Das gibt es nur im Irdischen. Das Haus — ich nenne es Gehäuse —, es scheint mir wie ein Gebet der Einwurzelung für eine Ewigkeit der Lebenszeit, und es ist noch gebaut im Maß einer Zeit, die in der Wucht ihrer Mauern Ausdruck war für Schutz und Behütung, für ein Abschließen nach außen, nicht wie heutige Bauten der Großstädte, in denen Menschen in Häusern aus Glas, wie Gurken, von der Sonne reichlich versorgt, in hohen Häuserschachteln mit Fenstern wohnen.

Ich aber bin noch im Gegenwärtigen und wurzle in der Vergangenheit. So sehe ich den Bauern die Pferde führend — wie lange noch? — sehe diese prächtigen Tiere mit den hellblonden Mähnen, sehe, wie sie zur Mittagszeit in ihren Stall geführt werden, aber — ob der Bauer sie noch so liebt wie er seinen Traktor bewundert? Nun, wie es auch sei, ich liebe sie an seiner Statt, folge ihnen mit meinem Blick und kann nicht anders als zutiefst berührt sein von diesem so fernen, so edlen Tier.

Und die Kühe, das Rind? Eigentlich müßte jetzt mein großer Lobpreis beginnen, wenn es eben das geliebte Pferd nicht gäbe. Wohl gehe ich nie an den Kühen vorbei, ohne „Dank, Dank euch“ zu sagen, denn: sie geben uns alles, was sie haben: ihre Milch, ihre Kälber, ihre Arbeit. Erinnert ihr euch, die ihr manchmal die Kühe lagernd, widerkäuend in den Wiesen gesehen — und wie saht ihr sie? Da erlebte ich sie köstlich, diese guten Tiere; da lagen sie — und ihr Haupt bedeutend und groß wie ein Berg, dafür aber das, was ihre wahre Bedeutung — die schenkenden Euter —, bescheiden am Boden versteckt. Gleichen sie da nicht Kindern, die auch nicht um ihre Gabe, das Bezaubernkönnen, wissen?

Ja die Kühe! Ich gehe ihnen nach und sehe, wie sie den Wiesenplatz jetzt verlassen; sicher werden sie jetzt zum Mel-

ken geführt, eine Arbeit, die Empfindlichkeit fordert, denn die Milch, sie tropft nicht von allein in das untergestellte Gefäß.

Und da bin ich auch schon im Stall, sehe dem Melken zu und sehe, wie die guten Kühe sich einen kleinen Bissen aus der Raufe gönnen und ungehindert, eben wie Tiere, ihre Notdurft verrichten, und alles ist mir so recht, auch der Geruch ist so, wie er sein muß, wie er von Natur dem Tier zukommt. Ja, wieviel leichter ist es, das Tier zu lobpreisen als den Menschen, denn sie sind der Natur nicht entgegengestellt. Mit uns Menschen ist es anders.

Ich verlasse den Stall, ergeh und schau mich um im Flur, und bin unwillkürlich auf der Suche nach einem kleinen Stall für die Menschen, die in diesem Gehäuse daheim sind. Aber ich finde das nicht, was ich suche. Ach ja, es ist ja draußen, hinten im Hof, im Freien, niemand störend, ganz für sich allein ist man da ... als ob man im Walde wäre und der Erde gibt, was sie dankbar annimmt. Ja ... Lobpreis dieser Einrichtung früherer Zeiten, im offenen Land der Bauern. Aber jetzt muß ich lachen, in was hab' ich mich da verirrt? ... Hätte das nicht gedacht, daß mein Lobpreis auch dem kleinen Ab-ortel draußen im Hof gelten würde.

Jetzt aber will ich mir den anderen Teil des Hauses besehet!; dieses Haus, das so schön mit seinen weißen Mauern uns entgegenleuchtet und einen oberen Stock aus Holz trägt, das grau vor Alter ist: das ergraute Haus. Und wie breit setzt das Schindeldach an, und geht an einer Seite bis zum Boden hinab, Oben und Unten verbindend.

O dachgeschütztes Haus, o ernstes Leben in solch einem Gehäuse! Ich öffne die Tür zur Stube und stehe still ... Welch ein Licht ist eingefangen, gehortet, in diesen tiefen Fensternischen der Stube und breitet sich aus, so keusch. Ja, dieses von den tiefen Mauern eingelassene Licht, es ist so kostbar, daß ich verstehen könnte, daß das Kruzifix in der Ecke der Stube dieses Licht ausstrahlt. Hier vereint sich alles und hilft zueinander, in diesen besonderen Maßen des Gehäuses.

So erkenne ich in diesen Häusern ein Vertrauen auf ein Währendes, schon hier im Irdischen ... Wer würde sich schon ein Haus bauen, sich verlieben in die notwendige Einteilung der Wohnräume für sich und das Tier, wenn er in der Mitte seines Lebens, zeugend und gebärend, nicht im Währenden sich fühlen würde? Und dieses im Währenden sich Zuhausefühlen und davon im Lebendigen und Dinglichen aussagen können: das ist, was mich ergreift und was ich mit Staunen an dem „Gehäuse“ sehe. Wenn auch diese Simplen im Wort es noch nicht aussagen können, so ist in ihrem Häuserbau vom Jauchzen der drei Monate alten Kindlein doch etwas wiedererstanden.

Dieses Jauchzen war auch in mir wieder erstanden. Von diesem Ereignis auszusagen, liegt mir sehr am Herzen. Bevor ich mich aber an diese Aussage heranwage, möchte ich etwas über unser Vorstellungsvermögen mit Hilfe der Phantasie bemerken.

Wir, die wir uns als Unheilige, Profane empfinden, haben so manches von dem wunderbaren Zustand des Schwebens der Heiligen vernommen und haben mit Hilfe der Phantasie versucht, diesen Gnadenzustand zu begreifen. Ob wir aber in Wahrheit dem nahekommen können ... durch die Phantasie? Sich hineindenken mit Hilfe der Phantasie in unsere Nächsten, ist etwas anderes als sich eindenken in Heilige, da ist mehr als — Phantasie vonnöten. So entfernt ich Armselige, Geringe, auch von Heiligkeit sein mag, war mir doch gegönnt, in den Zustand des Schwebens, wenn auch nicht als Heilige, aber — als Tänzerin, einzublicken.

Zweimal in meinem Leben, in verschiedener Weise, habe ich diese Überhöhung meines Selbst erfahren, und jedesmal ist dem eine Zeit des Tiefgangs im Erleiden vorausgegangen.

Wie kann ich es aussagen? Ja, ich wanderte in dieser mir vertrauten Landschaft, so wie ich andere Male auch ihre Wege gegangen, aber jetzt war ich erst wahrhaft in sie eingeboren, und alles, was Täglichkeit, was Erlebnis der Vergangenheit war, wich von mir, und jeder Baum war mein Bruder, ich spürte in mir die Begleitung zum Zittern der Blätter, und meine Augen sahen durch das im ansteigenden Licht der Sonne transparent gewordene Gestein der Berge. Der würzige Duftatem der Natur war das Aushauchen meines Atems. Und ich jubeljauchzte wie das drei Monate alte Kindlein. Und wie ich so dahinging, das war eben nur — Schweben zu nennen.

Wenn ich in meiner Jugend mich bemühte, das Schweben im Tanz auszudrücken, so blieb es eben — Bemühung. Hier aber schwebte ich ohne Bemühung, war alles nur ein Lächeln und Staunen. Staunen und Lächeln. Lob, Preis und Dank der Gnadenweile, die mir verliehen war — und die nur im Opfer meiner selbst eine Entsprechung fände.

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