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Löwenzahngesdiidite

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Zwei kleine Mädchen, blond und braun, in farbmüden, flüchtig zusammengenähten Alltagskleidern, sitzen in einer Sandgrube. Wir zwei Buben tragen ihnen Schürze um Schürze voll Mülibatzen zu, und jede flicht daraus zwei glühende Bänder, ein kurzes und ein langes. Voll hellem Eifer und mit warmen Wangen sind sie über das kunstvolle Geflecht geneigt und setzen sorgsam, fest, gewandt und flink Blume neben Blume. Heute noch siehst du aus ihren kleinen, begeisterten Händen die vollen, goldenen Strähne fließen, siehst du auf der Rückseite das schöne Flechtmuster zahlreich gebüscheiter hellblanker Röhrlein. Jetzt haben die zwei Flechteeinnen die kleinen Bänder zu Kränzen gebunden, springen hinauf in den Rasen, setzen sich die Kränze ins Haar, und die langen, großen Ketten hängen sie sich um den Hals. Strahlende Krönlein glitzern von Scheiteln und Schöpfen, und an den aus- gebleichten Kleidln schimmert es tief hinab. Fast wie zu Großem geschmückt stehen die Mädchen hn grünen Lenz.

Keinem von uns kam es damals in den Sinn, daß der Name Mülibatzen zu dem Schönen, Schimmernden, das uns so viel Freude schenkte, seines Klanges wegen in einem Mißverhältnis stehen könnte. Nein, der Name schien uns völlig richtig und gerecht, denn eine Batzen ist etwas schmiegsam Rundes, wie eben diese Blütenscheibe, und aus den gebrochenen Stengeln träufelt Milch. Es war selbstverständlich, daß die Blume so hieß. Nirgends in der Welt konnte sie anders heißen.

Am nächsten Tag sagte die Lehrerin, daß wir von jetzt ab in der Schule auch von den Blumen lernen müßten, und du stauntest auf das höchste, als die erste, die drankam, keine andere als die Mülibatzen war. Und wie seltsam es dabei nur herging: die Lehrerin zerriß die mitgebrachte Blume, riß die Blätter von den Wurzeln, die Köpfe von den Stengeln, ja auch die Köpfe selbst zerriß sie und sprach über alles das eine ganze liebe Stunde lang. Über das kleinste Eckchen, ja fast über jedes Härchen sprach sie, und zum Schluß wollte sie gar noch die Mülibatzen aufzeichnen. Aber das brachte sie nicht zusammen. Doch das schönste kam erst noch. In der Sandgrube hattest du geglaubt, dieser vielstrahlige Schimmer wäre bloß zum Freuen, zum Schmücken da. Jetzt aber mußtest du darüber eine ganze Seite auswendig lernen.

Noch etwas hatte sich abgespielt. Als die Lehrerin die Blume vom Tisch herunterzeigte, sagte sie, dies sei der Löwenzahn. Daraufhin sahen wir sie alle verblüfft an. Nur die hinten in den ganz letzten Bänken, die schon das zweitemal in der Klasse waren, die lachten hochnäsig zu uns vor. Jetzt sah auch die Lehrerin prahlerisch drein und zwinkerte denen hinten — sonst ihre liebe Not — einverständlich zu, als wären sie auf einmal ihre besten Kameraden. Und dann sah sie wieder auf uns, und das mit einem Blick, als müßte sie eben mit solch heilloser Einfalt nachsichtiges Erbarmen haben. Dazu sagte sie, und es klang verächtlich und hochmütig: „Ja, ich weiß, ihr sagt anders” — wie plötzlich angeekelt verzog sich ihr Mund, sie wollte offenbar an dieses häßliche Wort nicht einmal denken —, „in der Schule aber sagen wir Löwenzahn.”

Gott sei Dank, konntest du diese ungute Stunde bald vergessen, denn es war Krieg geworden, und den führten deine Eltern wie alle Leute ohne Feld und Vieh. Meine große Schwester hatte Künigln eingestellt, und ich mußte grasen gehen. Es war ein ehrenwertes, leutgerechtes, ein bubenwürdiges Geschäft! Wie ein Rechtschaffener, ein Erprobter zog ich aus, das weiße Grastuch lässig umgehängt, die Sichel in der kleinen Faust, in Gesdhau und Gang selbstsichere Erwachsenheit. Aus allen Steinen, zwischen allen Rillen hervor hacktest du die Mülibatzen, auf allen Rainen, Feldwegen und Gstetten fandest du sie. Ewig schade, daß sie nicht so schnell und zahlreich wuchs wie ihr alle zusammen es gewünscht hättet. Es dauerte immer ein paar sonnheiße Stunden, bis du einen festen, schönen Binkel beisammen hattest. Dann aber wallte hinter jedem Stallgitter ein lockrig federnder, saftgrüner Blätterhauf, den immerhungrigen Künigln hoch über Fell und Löffel plusternd. So war eure Herzensfreundschaft nun zweifach besiegelt, und es konnte sie nicht im geringsten trüben, als du auch in der Bürgerschule vom Löwenzahn lerntest und er später, im Seminar, vollends im ehrbaren Licht der Wissenschaft erschien. Ja, es machte euch auch nichts aus, daß ihn nun bald die Kinder unter deiner eigenen Anführerschaft in die Schule bringen mußten und du selbst jetzt die gezackten Blättersterne mit den reichen Blütenscheiben hinbreiten ließest auf die grellgrünen Bänke, als schmücktet ihr kleine Wiesenbänder. Aber die Goldschöpfe begehrten nicht auf, als nun auch du das zarte Geheimnis ihrer blanken Blättergründe auseinanderfalten, darüber erzählen und zeichnen mußtest. Ja, du durftest sie auch zum Nahdenken und Merken als Hausaufgabe geben — sie wehrten sich niht. So kam mir die beharrlihe Meinung, in deinen Löwenzahnstunden müsse etwas mittönen, das du als Shulkind hattest niht erhorhen können. War dies rihtig, dann konnten diese vertrauten, frohen Klänge nur aus jener Sandgrube kommen, von den kleinen beglückten Kronenträgerinnen und von allen Rainen und Wegen, auf denen du einst grasen gegangen warst, das weiße Binkeltuh grün und grau von Saft und Erde, die Sihel blank in der Schneide und stahlshwarzblau im Blatt.

Dann einmal shlossest du mit der Naturgeschichte einen lebenslangen Pakt. Ihr wolltet euh künftig achtungsvoll meiden. Seitdem liefen viele Jahre landaus, und die Löwenzahnfreundshaft sank still ins Vergessen.

Einmal im Krieg, im Urlaub, sitzt du beim Barbierer. Da kommt ein kleiner Bub in die Stube, einen glühenden Buschen in der Hand.

„Ja, du hast ja da “

Du erschrickst. Den Namen eines Jugenderlebnisses, ein Sprahbild deiner Heimathattest du vergessen. Du hattest wohl nie geglaubt, daß dies möglich sein könnte. Du empfandest jähe Angst. Wieviel einst gleich vertrautes, gleich kostbares Wortgut wür- - dest du im oft weitentrückten Lebensgang ebenso verloren haben!

„Wie sagt man bei uns schon wieder zu Löwenzahn?” fragst du verlegen.

„Mülibatzn”, sagt die Frau, „na ja, Mülibatzn”, rechtfertigt, entschuldigt sie sich.

Sie könnte doch mit diesem vermeintlich ungeschlachten Ausdruck dein Mißfallen erregen.

„Bei uns daheim” — sie ist von auswärts — „da sagt man Maisteigerl!” Deutlich hört man, wie aus diesem Nachsatz ein höheres Wertbewußtsein klingt. Ja, ihre Heimatleute drüberm Berg, die wüßten eben, wie man sich besser, weltfähiger ausdrücke.

Nach dem Urlaub legtet ihr in Mittelfranken über keupergerötete Äcker eine Fernsprechleitung/Obwohl man das Gewicht des Kabels auf dem Rücken merklich spürte und nach Kräften zu laufen war, blieb dein Blick auf dem Boden haften. Der -sprang vor Durst und Sandigkeit in Tausende kleiner Schöllchen, alle zwei, drei Finger weit klafften Spalten. Doch war er auf und auf mit Löwenzahn überzogen. Wie tiefgelappte, vielfüßige Seesterne auf trockenem, rotbraunem Grund, so klebten die zähen, schöngezackten grünen Fächer auf Wegen und Steigen, in Furchen und Gruben. Hei, was wäre das einem Küniglgraser für ein gelobtes Land gewesen!

Da war dir die ganze Löwenzahngeschichte plötzlich wieder so gegenwärtig, als hätten sich alle ihre vielen Teile zusammen abgespielt. Und darum fragtest du auf dem Heimweg ein kleines Mädchen, das an euch vorüber mußte:

„Du, wie sagt man zu dieser Blume?” „Ringelstödt”, verwunderte sie sich.

Ja, es ist richtig, wenn man den Stengel aufspaltet, ingelt er sich ein. Wir machen einen Sdilüssel, sagtet ihr dazu als Kinder. Doch du konntest diese Überlegung kaum zu Ende führen.

„Bei uns heißen sie Maiblumen — Maischöpf — Kuhblume — Milchstöcke.” Nebenmann, Vorder- und Hintermänner waren in heftiges Eifern geraten. Du schlichtetest den unschuldigen Streit und nahmst dir vor, jeden künftigen Kameraden auch darum zu fragen. Schon ein paar Tage danach erbradite das Schwabenland ein Zeugnis höchster poetischer Kraft. Seine Wortschöpfung sprüht, ist dramatisiertes Glühen: „Sonnenwirbel”.

Die Freude über den prachtvollen sprachschöpferischen Fund noch im Herzen, übtest du Flugmelden. Du standest hinter einem grauen, verdrossenen Holzzaun, draußen lag ein weiter, leuchtender Acker. Silbernes Seidengeflock, samtenes Marienglas, Löwenzahnkugel neben -kugel. Immer wieder mußtest du das scharfe Glas aus der friedvollen Luft in das feierliche Unkraut niedersenken, das so mächtig war, daß sich auch nicht ein einziges Stämmchen Klee hatte nach oben zwingen können. Unerschöpflich zogen die hellen Samenhüllen an dem Glas vorüber. Schimmernde Bälle, unzählige. Kloben, makellos gewölbt der kleinste wie der größte. Jede Speiche haargenau gesetzt, voll feinstem Schnitt und weiser Stärke, bunte Sonnenlichter in den zarten Pelzen, silbrigweiße, wolliggedämpfte, goldene, sanftrote, violette. Jeder Flaum ein schöner, heimlicher Stern, flirrender, lachender Maienrauhreif. Endlos war dieser Wolkenschaum, dieses in feierlichen Farben blinkende Gelock, jede Kugel durchsichtig, unirdisch und doch raumtief mit eingemalten blauen Schatten wie ein richtiger fester Körper.

Was das alles dem Bauer galt, erwogst du in dieser Stunde kaum. Arglos ließest du didi von deinem treuen, alten Freund beschenken, einen schönsten, allerschönsten Soldatensonntag empfingst du von ihm. Am nächsten Tag brachte dir die Post einen Band Weinheber-Gedichte. Zwischen Pfählen, Brettern, Teerplatten im Augenblick nicht eingestimmt, blätterst du wahllos. Plötzlich hältst du inne:

Deine Samenkugel ist das schönste Wolkenbild der Welt!

O hätten dich die Höhn geboren.

Fern den Menschen und zuerst im Jahre!

Es weinten über dich die Seelenvollen

Und die Kärrner zählten deine tausend Blütcnblätter,

Sohn des Volks!”

Da war das kettenhafte Begebnis, durch drei Lebensalter fortgewachsen, kunstvoll eingesammelt in einen kleinen, wunderhellen, herrlichen Kristall. Und aus solch höchster Verklärung der — nach Weltleutmeinung — ungeschliffenen Pulkautaler Mülibatzen blitzten zwei adelig rächende Stiche, selbstherrlich und spielfroh wie ein lächelnd überlegenes Florett.

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