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„Lohengrin” in der Staatsoper

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Die Neuinszenierung des „Lohengrin” in der Staatsoper (Theater an der Wien) hat die verschiedensten Beurteilungen erfahren. In einem Punkt sind sich alle Kritiker einig: die Inszenierung bedeutet einen Bruch mit der Tradition. Das Neue pflegt angegriffen zu werden, freilich ist das Neue auch nicht immer gut. Doch fordert das Ringen um neuen Stil und neue Gestaltungsprinzipien diskutierbare Beispiele; Beispiele, die zur Debatte anregen. Versuche müssen getätigt werden, denn sie sind kein geistiger Zusammenbruch, sondern Marksteine der Entwicklung. Ein solch unfertiger Markstein ist der „Lohengrin” unter der Regie von Stephan Beini (Bern).

Wagners Werk zeigt einen Zwiespalt zwischen äußerem Heldentum und innerer Weiche, welche im Spätwerk zum Pessimismus wird. Wotan und seine Helden sind in ihren Gedanken die den Weltuntergang Ersehnenden. Siegfried, der Held, und Brünhilde sind die eigentlichen Urheber der Götterdämmerung. Das Heldendrama, das sogar von Hitler geschätzt wurde, ist bei näherer Erkenntnis kein Heldendrama, sondern Sehnsucht nach dem Weltuntergang, das Drama der zum Tode verurteilten Welt (nach Schopenhauer). — Auch dem „Lohengrin” haften Vorboten der Wagnerschen Sym- bolistik an, freilich eng verbunden mit der Romantik einerseits und der großen französischen Oper anderseits.

Für den Regisseur des neuen „Lohengrin” ist dieser das Drama des Glaubens, der sittlichen Kraft, des Glaubens an das göttliche Wunder, das zu erreichen der bis zum Letzten Gläubige die Macht besitzt. Dieser Glaube wird durch den Einbruch des Alltäglichen (Elsa) zerstört. Glaubet und es wird euch gegeben werden! — Auf den Träger dieses Glaubens konzentriert sich die ganze Inszenierung. y Lohengrin ist nicht mehr das romantische Idealbild junger Mädchen und Burschen, nicht mehr der Tenor der großen französischen Oper, sondern der Träger des unbedingten Glaubens an Gottes Allmacht. Hieraus resultiert die Abkehr von der naturalistischen Darstellung, die Bein! gemeinsam mit Prof. Kautsky auch im Bühnenbild durchzuführen bestrebt war.

Neben dieser Möglichkeit der Konzentration auf einen Punkt hin steht die wissenschaftliche Erkenntnis der Kunstsynthese. Das Durchbrechen dieser Synthese (bei Wagner als Hauptelemente die Romantik und die große französische Oper) ist der Hauptgrund des Tadels an der Neuinszenierung. — Wirklichkeitsnahe und Romantik sind im „Lohengrin” eng vereinigt. Der Zauber von Lohengrins Erscheinung ist von Wagner durchaus inmitten einer realen Welt gedacht. Die Entzauberung Gottfrieds ist irrationales Geschehen in der Wirklichkeit, die Sym- bolistik das Band zwischen beiden. Ęei Beini wird die Brücke der Symbolistik gebaut, die Ufer fehlen. Eine Brüche von feiner Konstruktion; aber was hilft es?

Die Erscheinung Lohengrins ist keineswegs als leerer Bühneneffekt zu werten. Sie entspricht den einseitigen Tendenzen des Regisseurs. Es ist kein romantischer Zauber, kein triumphaler Auftritt, wie ihn die Musik ahnen ließe; es ist der Einbruch des lichten Glaubens in das Dunkel des Irdischen. Die Bühne verfinstert sich, Lohengrin wird sichtbar im Glanze des Grals. Eine glänzende Idee! Und doch bleibt der Satz von der Brücke ohne Ufer. — Der Vorwurf, daß die Cihöre zuwenig agil seien, könnte scheinbar berechtigt erhoben werden, doch ist die Musik das Primäre und ihrem Gelingen alles andere unterzuordnen. Eine Agilität der Choristen ist während der oft sehr komplizierten Chöre nicht zu verlangen. Wer die Proben mitgemacht hat, konnte sich überzeugen, daß der Regisseur sich so gut als möglich um den Chor bemüht hat, doch mußte er seine Ambitionen gegenüber der Meinung des Dirigenten, des Musikers, zurückstellen.

Die „Lohengrin”-Inszenierung ist keine entschiedene Tat; sie ist ein Versuch. Ein Versuch ist sie, der zum Denken anregt und sicher imstande ist, eine produktive Debatte heraufzubeschwören. Solche Versuche sind Bestandteile künstlerischer Entwicklung. In dieser Hinsicht ist Beinls Arbeit zu loben.

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