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Lorbeer und Ölbaum

19451960198020002020

In dem Zeitraum von 1945 bis 195S hat Johann Gunert, der schon 1936 mit seinen ersten Publikationen in Zeitschriften begann, sich 1938 bis 1945 freiwilliges Schweigen auferlegte, fünf Gedichtbände vorgelegt: „Irdische Litanei“ (1945), „Das Leben des Malers Vincent van Gogh. Eine Dichtung in siebzig Ereignissen“ (1949), „Uberall auf unserer Erde“ (1952), „Aller Gesang dient dem Leben“ (1956) und „Inschrift tragend und Gebild“ (1958), die bereits 1962 alle vergriffen waren. Um einen Teil von ihnen der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen, wählte Viktor Suchy für die Stiasny-Bücherei die schönsten Gedichte aus und konnte sie auch durch einige noch nicht veröffentlichte ergänzen. Der Band erschien 1962 unter dem Titel „Kassandra lacht“. Im gleichen Jahr erschien auch eine veränderte Auflage von „Aller Gesang dient dem Leben“.

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In dem Zeitraum von 1945 bis 195S hat Johann Gunert, der schon 1936 mit seinen ersten Publikationen in Zeitschriften begann, sich 1938 bis 1945 freiwilliges Schweigen auferlegte, fünf Gedichtbände vorgelegt: „Irdische Litanei“ (1945), „Das Leben des Malers Vincent van Gogh. Eine Dichtung in siebzig Ereignissen“ (1949), „Uberall auf unserer Erde“ (1952), „Aller Gesang dient dem Leben“ (1956) und „Inschrift tragend und Gebild“ (1958), die bereits 1962 alle vergriffen waren. Um einen Teil von ihnen der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen, wählte Viktor Suchy für die Stiasny-Bücherei die schönsten Gedichte aus und konnte sie auch durch einige noch nicht veröffentlichte ergänzen. Der Band erschien 1962 unter dem Titel „Kassandra lacht“. Im gleichen Jahr erschien auch eine veränderte Auflage von „Aller Gesang dient dem Leben“.

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Praktisch hat der Dichter fast ein Jahrzehnt geschwiegen. In dieser Zeit haben viele seiner Gedichte auf dem Ubersetzurigswege zu anderen Völkern gefunden. Nun legt Gunert in der von Rudolf Felmayer herausgegebenen Reihe im Bergland-Verlag einen neuen Band vor, dessen Titel: „Es geschehen Zeichen“ schon ein Gedicht trug, das den Band „Uberall auf unsrer Erde“ eröffnete. Damals wie heute kreist der Dichter um das Thema der Menschlichkeit in all ihrer Gefährdung und Bedrohtheit, und noch immer gelten seine Zeilen von 1952:

„Ich schau', ich fühl' das Grauen und

bin überwältigt, und aufgerufen ist der Mensch in

mir, der ich noch bin!“ Die Gedichte dieses Bandes zeigen ihren Dichter — dem Irdischen verhaftet, sein Gesang will noch immer dem Leben dienen — auf der Spirale seiner Weiter- und Höherentwick-lungd.einen,neuen JBlick,ai|f die. alte Problematik unseres Lebens eröffnet, mit der wir ringen, seit* wir die Frucht vom Baume der Erkenntnis aßen. Der Dichter weiß sich auch jenen sprachlichen und formalen Traditionen verbunden, die bis in die dreißiger Jahre, ja bis zum Ende des zweiten Weltkrieges gültig und verbindlich waren. Damit scheint er für jene, die dem Sprachexperiment verpflichtet sind und nach neuen Formen und Inhalten suchen, rettungslos dem Alten, Überholten anheimgegeben, denn für ihn ist Vernunft noch Sprache — im Sinne Johann Georg Hamanns — und der Reim ist ihm noch immer „das Ufer, wo sie landen, sind zwei Gedanken einverstanden“ (Karl Kraus). Er beherrscht das ganze Instrumentarium lyrischer Technik von gereimter wie ungereimter Strophe und freirhythmischer Gestaltung. Seine großen Gesänge, von denen auch dieser Band einige neue enthält, beweisen den langen Atem, über den er verfügt. Er mißtraut der Sprache noch nicht in einem solchen Maße, daß sie ihm selbst thematisch werden müßte wie vielen Jungen. Wenn er über den Menschen nachdenkt und sein Los in dieser Zeit beklagt, dann reflektiert er nicht die jeweilig herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern er stellt den Menschen in seiner Not und in seinem Glück dar, den Menschen, der noch so geschaffen ist, daß er „überall auf unsrer Erde“ die Zeichen geschehen sieht, die auf etwas in uns selbst und über uns hinaus weisen. In diesem Sinne hat sich der religiöse Zug des Dichters, den wir schon in seinem letzten Band hervortreten sahen, noch weiter verstärkt. Und es heißt keineswegs die Verhältnisse der „Konsumgesellschaft“, in der wir alle leben, mit ihrem „Warencharakter“ bloß reproduzieren, wenn viele Gedichte die Welt nur darzustellen scheinen, wie sie ist. Die realistische Welt trägt auch für Gunert Chiffern-Charakter, nur will er dessen Hermetik nicht noch verstärken, sondern den Leser hinweisen und lehren, die „Zeichen“ richtig zu deuten und zu lesen. Das haben zu ihrer Zeit schon die Psal-misten getan, die von sehr realen Verhältnissen ausgegangen sind, auch wenn sie ihre Veränderungen forderten, fordern mußten. So gehört das „Märzlied“ zu den schönsten Variationen auf ein altes Psalmenwort:

Der März, das ist die Zeit, das neue

Gras zu säen, wie alles, was der neuen Saat bedarf,

denn einer geht, das Alte rasch

hinwegzumähen, weil aufgeschrieben steht: Das Fleisch ist wie das Gras.

Jedoch es soll sich weiterhin

verbreiten dies Fleisch, an dem noch keiner je

genas,

und möge er auch lang im Vollen äsen.

Denn immerdar wird sein der große

Satz zu lesen, daß alles Heisch vergänglich sei

wie Gras.

Wie sehr der Dichter an sich und seiner Sprache arbeitet, zeigen uns jene 15 Gedichte, die er aus früheren Bänden wieder in diesen Band aufgenommen hat — sie machen ein Siebentel seines Gesamtbestandes aus —, aber davon nur zwei in unveränderter Form! Alle anderen wurden im Strophenbau, im Wortmaterial verändert und oft nur durch einen kleinen Kunstgriff- verbessert. Es wäre für einen Germanisten eine reizvolle Arbeit, diesen Veränderungen, Kürzungen, usw. nachzugehen und sie entsprechend auf ihren ästhetischen und formalen Gehalt zu interpretieren. Wir möchten hier nur an der Gegenüberstellung der früheren und gegenwärtigen Fassung des Gedichtes „Das Stärkere“ die Technik Gunerts illustrieren:

Das Stärkere

Fassung von 1962

in: „Kassandra lacht“:

Fassung von 1968

in: „Es geschehen Zeichen“:

Lorbeer, mythischer, blühender heilig den Göttern gewesen, Hellas unsterblichen Dichtern und dem Seher Virgil schmückend die Stirn, die erhabne, und der Späteren manchem, Wildnis der Zeit ist um ihn. Mehr noch, als da er zugleich auch goldnes Geflecht mußte sein um das Haupt der Cäsaren, Signum der tödlichen Macht und das Geklirr des Triumphs. Stärker als die Gewaltigen blieben des Geistes Erwählte, denn der Gewalt bedürfen sie nicht! Ihre Hand hält den Ölzweig und der Blattkranz, der schlichte, ihnen wird er umgrünen die Stirn, dann noch, wenn Lorbeer und

Ölbaum vom Atomstaub bedeckt, des Laubes beraubt und verdorrt.

Lorbeer, mythisch erblühender,

heilig den Göttern gewesen,

Hellas unsterblicheSi'MhMm“* am

und dem Seher Vergil

schmückend die Stirn, die erhabne,

und der Späteren manchem,

Wildnis der Zeit ist um ihn.

Daß er als goldnes Geflecht

mußte am Haupt des Cäsaren

Zeichen sein tödlicher Macht

und das Geklirr des Triumphs,

wirkte dämonisch der Neid.

Aber stärker als die Gewaltigen

bleiben des Geistes Erwählte,

denn der Gewalt bedürfen sie nicht!

Ihre Hand hält den Ölzweig,

und der Blattkranz, der schlichte,

ihnen wird er umgrünen die Stirn,

dann noch, wenn Lorbeer und

Ölbaum vom Atomstaub bedeckt, des Laubes beraubt und verdorrt.

Wir haben schon in den beiden letzten Bänden des Dichters die musikalische Gelöstheit seiner Sprache überall dort feststellen können, wo er nicht mit der Zeit ins Gericht geht. Das trifft auch auf viele Gedichte des vorliegenden Bandes zu, durch den zwar auch noch da und dort das irre Lachen Kassandras gellt, der aber doch mehr und mehr einer abgeklärten Lebensweisheit, die ihr Wissen den mythischen Botschaften ebenso verdankt wie den Offenbarungen von Natur und Übernatur, die sich eben darin äußern, daß „Zeichen geschehen“. Die souveräne Beherrschung von Stoff und Form, ja von verschiedenen sprachlichen Welten äußert sich dann in einem scheinbar so leichten Gebilde wie

CHAT NOIR

Madame, o tres belle Madame, Hüterin des Dunkels, chat noir! Wo schaute ich in Ihre

Veilchenaugen, strahlend unter samtig schwarzem

Haar?

Ersah ich Sie nicht erst vor Stunden, im kleinen Parke des Montmartre auf einem Bilde konterfeit, vielleicht auch wann in

Montparnasse? Nun kommen Sie wie aus der

anderen Welt und kreuzen meine müden Schritte.

Sie lachen nicht, Sie blicken mich nur an,

und Ihre großen Augen leuchten bezaubernd wie Bouquets von

Veilchen. O dieses Wissen, da ich mich

erinnre, wo lang zuvor ich Sie schon so

gesehn

auf meinen Wanderungen durch die Zeit! —

Mon Dieu! Was sind denn fünf

Millennien für Sie und für Madame la mort, die mich durch Sie betören will, da lächelnd ich Ihr Haupt berühre,

chat noir! Fünftausend Jahre sind ein Nichts

Kenner der Literatur haben schon im ersten Jahrzehnt nach 1945 festgestellt, daß unsere , sogenannte „Avantgarde“ eigentlich eine „Arrieregarde“ sei, denn ihre Traditionen reichen auch schon bis in das Jähr 1890 zurück, von den völlig veränderten soziologischen Voraussetzungen ganz zu schweigen! — Möge dem Leser der neue Band ein „Zeichen“ sein dafür, daß in einer pluralistischen Gesellschaft der „Pluralismus“ der Stile Buch um Buch, Werk um Werk aequo loco zur Diskussion stellt und, daß „im alten Haus der Sprache wohnen“ manchmal redlicher sein kann als so mancher wetterwendisch-modische Geist

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