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Lot der Festspiel

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FESTSPIELINFLATION, FESTSPIELFIEBER, FESTSPIELSEUCHE... Jedes Nest hat schon sein eigenes Festival, keine Burgruine, kein Domplatz, kein Barocksaal ist mehr davor sicher, von einem findigen Festspielkomitee entdeckt und als Rahmen oder Kulisse für musikalischtheatralische Veranstaltungen mißbraucht zu werden. So kann man oft reden hören, so klagen manche Leute und rümpfen die Nase. — Wir unsererseits wollen mit der Meinung nicht hinter dem Berge halten und senza sordino verkünden, daß wir diese Sorgen und Bedenken nicht teilen. Wir wüßten — im Gegenteil! — noch einige hübsche Orte in Oesterreich, in Europa, wo man sehr reizvolle Aufführungen veranstalten könnte. Jedem Städtchen, jedem Oertchen sein Festspiel, warum eigentlich nicht? Für die Einheimischen ist's ein wirkliches Fest, das man ihnen einmal im Jahr wohl gönnen soll. Von nah und fern kommen Gäste, man empfindet sich, wenn auch nur für einige Tage, als Zentrum, der kulturelle Ehrgeiz wird angestachelt. Der Besucher aber bemerkt, daß andernorts auch Leute wohnen, die Musik und Theater, schöne Bilder und wohlgesetzte Reden zu bieten haben — und zu schätzen wissen. Und bei Festspielen kommen die Leute zusammen. Zu erfreulicherem Behuf als bei Tagungen und Fachkongressen, Schulungskursen und politischen Großveranstaltungen.

HIER VON KONKURRENZ ZU SPRECHEN, scheint uns recht abwegig. Die große Hierarchie der Festspielstädte wird ohnedies nicht gestört oder stellt sich binnen kurzem wieder her. Niemandem fällt es ein, Salzburg oder Bayreuth seinen Rang streitig zu machen. Wenn aber etwa die Verantwortlichen der beiden genannten Festspiele das Gefühl haben, daß sie konkurrenziert werden, um so besser. Wir sehen bereits die Folgen. Bayreuth ist nach dem Krieg viel aufgeschlossener und elastischer geworden. Daß man dort nicht nur für die Wagnerianer spielt, sondern durch die aufregenden Neuinszenierungen des Wagner-Enkels Wieland das attgeffleWw Interesse der Kunstwelt zu wecken vermochte, war nicht nur eine kühne Tat, sondern hat Bayreuth das Odium des Verstaubtseins genommen und den Wagner-Aufführungen eine sehr schätzenswerte artistische Note verliehen.

Das Programm von Salzburg, durch Mozart und „Jedermann“, Domkonzerte und Serenaden abgesteckt, bringt seit seiner Reaktivierung im Jahre 1947 jedesmal eine neue Oper, womöglich als „Welturaufführung“. Das ist für das Publikum auf jeden Fall sensationell (gleichgültig, ob im positiven oder negativen Sinn) — und bedeutet für die Kritiker der ganzen Welt oft die einzige wirkliche Attraktion. Daran sollte und wird man hoffentlich festhalten. Denn auf die Programme kommt es freilich bei den großen Festspielstädten an. Das angesichts der Kleinstadtfestivals — von denen noch die Rede sein wird — wohlwollend zugedrückte Auge der Kritik blickt hier sehr scharf.

BEI DIESER GELEGENHEIT auch ein Wort über die materiellen Hintergründe der Festspiele im allgemeinen. Festivals sind für die Veranstalter in der Regel enorme Verlustgeschäfte. Ihr Ertrag, durch Fremdenverkehr usw., kommt auf Umwegen andern zugute. Festspiele sind meist eine Angelegenheit der Werbung, der Reputation oder des persönlichen Ehrgeizes einiger Mäzene. Wir haben auch dagegen nichts einzuwenden, sondern finden es durchaus begrüßenswert, daß Leute und Unternehmungen, die viel Geld haben — zu denen wir auch den Staat und die Stadtgemeinden zählen —, dies für künstlerische Veranstaltungen ausgeben, anstatt für langweilige Denkmäler oder Magistratspaläste mit immer mehr Büros. Was die einzelnen Stars dabei freilich verdienen, gehört auf ein anderes, weniger erfreuliches Blatt. 25.000 S und mehr für ein einziges Auftreten, etwa eines Dirigentenfakirs, finden wir ein wenig unappetitlich, besonders wenn man diese Summe in Relation bringt zu den Honoraren der Chor- und Orchestermusiker, die meist zu niedrig sind, und ferner zum Preis des einzelnen Billetts, das für den Durchschnittsbürger zu hoch ist. — Soviel von den Nobelfestspielen.

ABER FESTSPIELE GIBT ES NICHT NUR IN DEN METROPOLEN, sondern zum Beispiel auch in einem kleinen Städtchen im badischen Schwarzwald. Ein kulturell ambitionierter Bürgermeister war der Initiator, eine Harmonikafabrik der Mäzen und einige junge Komponisten sowie die Bevölkerung von Kenzingen die Nutznießer. Unvergeßlich ist uns — und man verzeihe diese persönliche Reminiszenz — wie an einem Nachmittag, während im Rathaussaal die Eingeborenen, stolz und mit emporgezogenen Brauen einem dissonanzreichen modernen Streichquartett lauschten, auf der fahnengeschmückten Hauptstraße sich die Kühe des Ortes tummelten, auch sie im Feiertagsschmuck, mit bunten Bändern und Eichenlaub zwischen den Hörnern ... Man kann das grotesk finden, es ist aber auch nett und demonstriert den guten Willen ebenso, wie jene südfranzösische Dorfgemeinde, in die eine große Organisation Kritiker, Musiker und ausführende Künstler zu einer Tagung eingeladen hatte, und deren Bewohner die Gäste mit Transparenten und Spruchbändern empfingen, auf denen „Vive la critique!“ zu lesen war — eine Ehrung, die diesem verhaßten und übelbeleumundeten Be-rufsstand wohl noch nie und nirgends widerfahren ist. .. Daher wird man es verstehen, wenn der Kritiker die Festspiele verteidigt und ihr Lob singt.

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