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Lumumba und die Fallschirmjäger

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„Die Kirche begrüßt mit großer Hoffnung die Ankündigung der Unabhängigkeit für den Kongo und Ruanda-Urundi.“ Damit befürworteten vor einem Jahr die 44 Apostolischen Vikare und Präfekten der beiden Länder die Ankündigung der Unabhängigkeit Belgisch-Kongos. Diese Worte von der „großen Hoffnung“ waren durchaus ehrlich gemeint; seit 1956 hatte die katholische Kirche ja immer wieder darauf hingewiesen, daß der Afrikaner das Recht habe, selbst seine Geschicke in die Hand zu nehmen. Heute aber mutet uns die „große Hoffnung“ wie eine bittere Ironie an.

Gewiß, man hatte sich vorbereitet. Johannes XXIII. hatte bereits am 10. November 1959 in Belgisch-Kongo und dem angeschlossenen Mandatsgebiet von Ruanda-Urundi die Hierarchie errichtet. Der Kongo hatte bereits vor dem 30. Juni fünf einheimische Bischöfe und an die 600 einheimische Priesfer, neben denen gut 500 schwarze Brüder und mehr als 1000 schwarze Schwestern standen. Diese Zahlen besagen in einem Land, das noch vor ein paar Monaten ganze sieben Akademiker aufzuweisen hatte, immerhin einiges. Die Kirche hatte zudem im Kongo mit 20.000 Volksschulen, 66 höheren Schulen, 137 Lehrerseminarien und fast 500 Fachschulen ein phantastisches Schulsystem errichtet. 1955 eröffnete die katholische Universität Löwen vor Leopoldville das „Lovanium“ mit seinem Gebäudekomplex von sieben Kilometern Durchmesser. Aber trotz allem fehlt — eine Folge des belgischen Kolonialsystems — die katholische Intelligenz. Es fehlen — nicht zum erstenmal — die Laien gerade in der Stunde, in der ihre Anwesenheit am notwendigsten wäre...

So konnten sich trotz der 40 Prozent Katholiken im Kongo Männer wie Lumumba an die Spitze spielen, für die die Kirche die reaktionäre Macht schlechthin darstellt, die Macht, „die jahrelang die Entwicklung hintertrieben und die politische Betätigung sabotiert hat, und zwar aus Angst davor, daß die Leute eines Tages Fragen stellw würden*:“Von daher werben dies Ereignisse' -der letzten Monate verständlich. -mr.nM -rip *fl<\<iqn ncfff

„BEDIENT EUCH ALLER MITTEL!“ Lumumba, der „Mann mit den zwei Gesichtern“, wie ihn seine Landsleute nennen, kennt den Kongo besser, als mancher wohlmeinende Fachmann dies zunächst vermutete. Er wußte bereits vor dem 30. Juni sehr genau, was seinem neuen Staat bevorstand. Als Vertreter einer linksorientierten, diktatorischen Zentralgewalt (Lumumba ist Freund Sekou Toures und Modibo Keitas!) sah er von vornherein die Schwierigkeiten, die seinem Kurs in dem riesigen Gebiet mit seinen 500 größeren und kleineren Negerstämmen und seinen 200 verschiedenen Sprachen bevorstehen würden. War es bis zum 30. Juni die Abhängigkeit von der belgischen Magistratur, die die Negerstämme 75 Jahre lang zusammenhielt, so sollte es fortan der Haß gegen ebendieselbe Magistratur sein und damit gegen alles, was „weiß“ ist. Daß die „Mission“ in diesem Zusammenhang — .zunächst nur gelegentlich — mitgenannt wurde, ist verständlich.

Zwar forderte Lumumba bis zum 30. Juni alle Missionäre wiederholt auf, auch in den kommenden Monaten und Jahren dem Lande die Treue zu halten, in Wirklichkeit aber dachten er und die ..Genossen“ von der MNC bereits ganz anders. So betonte er zum Beispiel in einem Geheimschreiben an seine Freunde unter anderem: „Der größte Feind unserer Bemühungen ist der Klerus. Er hat ein eigentliches Monopol auf die Leute. Wir müssen ihn mit Hilfe Rußlands lahmlegen. Wir müssen ihm unsere Achtung versagen und ihm Schwierigkeiten bereiten, wo wir nur können. Bedient euch aller, auch falscher Mittel, um ihn vom Volke und seinen Anhängern zu trennen. Nur so könnt ihr deren Weltanschauung ändern und ihnen die unsere aufzwingen. Reizt die Menge auf! So kann sie sich leichter gegen den Klerus erheben!“

„Reizt die Menge auf!“ Dieses Leitmotiv aller kleinen und großen Demagogen fand auch in den Städten und Wäldern am Kongo lauttönendes Echo. Was folgte, ist bekannt. Trotzdem blieben die Missionäre zunächst auf ihrem Posten. Gewiß war auch unter ihnen der eine oder andere, der sich durch ein gewisses Auftreten nicht gerade die Herzen seiner „Schäflein“ erobert hat. Aber es blieben, im ganzen gesehen, doch Ausnahmen. Der einfache Neger konnte zunächst auch nach dem 30. Juni zwischen „Missionär“ und „Belgier“ unterscheiden.

Dann kamen die Meutereien in der Force Public; der von Lumumba so gefürchtete alte Stammeshaß feierte seine Orgien. Jeder Missionär, der abseits vom politischen Treiben irgendwo Frieden stiften wollte, wurde als „Volksfeind“ gebrandmarkt. Die Soldateska vergriff sich an weißen und schwarzen Schwestern, so daß sogar marokkanische UNO-Truppen ihnen empfahlen, nach Leopoldville zu fliehen. Missionsstationen wurden zerstört, und der Generalkonsul der Vereinigten Staaten in Leopoldville forderte alle protestantischen Missionäre au£ das Land zu verlassen. Er stellte da|p5Lsog%rril|rtk'<ii}ia?ber &#9632;zufo^trffcgungibAjtohäi einige katholische Missionäre, vor allem Missionshelfer, mußten nach Angola oder in den ehemals französischen Kongo fliehen. Manche kehrten auch nach Europa zurück.

All das wäre bei den turbulenten Zuständen im Kongo eigentlich nur Randerscheinung. Schlimmer, ist, daß sich die Regierung Lumumba „klug“ in das Kesseltreiben einschaltete. So wartete Radio Leopoldville bereits im Juli mit der Neuigkeit auf, Weihbischof Malula und andere Prälaten hätten im Verein mit der katholischen Universität von Leopoldville ein Komplott gegen Lumumbas Leben geplant. Der Schlag war gut gezielt. Er sollte den Mann unmöglich machen, der momentan vielleicht auf die Katholiken den größten Einfluß hat. Exzellenz Malula hat seine ganze Priesterlaufbahn ja in Afrika gemacht, ohne Studium in Rom. Er ist einer jener dynamischen Männer der jüngeren Generation, die sich in der „Conscience Afri-cain“ zusammengefunden haben, um bereits im Juli 1956 das erste politische Manifest zu lancieren, das auf die Unabhängigkeit anspielte. So war er. wenn man es so nennen will, ein Konkurrent Lumumbas. freilich maßvoller, besonnener und ungleich gebildeter als der ehemalige Postsekretär.

Der Weihbischof ließ diese Sache denn auch nicht auf sich beruhen. In einem scharfen Brief, den der „Courrier d'Afrique“ veröffentlichte, forderte er energisch das Recht der freien Meinungsäußerung und wandte sich gegen die Verfälschung der Wahrheit durch Regierungen. ..die ihrem Volke nicht einmal die elementaren Freiheiten zugestehen, die es soeben erlangt hat“. Lumumba revanchierte sich natürlich und ließ den Chefredakteur dieser bedeutendsten Tageszeitung des Kongo wiederholt verhaften. Nebenbei hatte er es auch auf den Fernschreiber des Blattes abgesehen ...

... DAS „VOLLE LEBEN“ Immerhin, dieses erste Manöver hatte nicht den gewünschten Erfolg. Man mußte weitergehen. So beschuldigte Radio Leopoldville seit August Erzbischof Sealais von Leopoldville, er habe in seiner Residenz und in Klöstern und Missionsstationen belgische Fallschirmjäger in Zivil versteckt. Peinliche Hausdurchsuchungen folgten — bei denen man sich auch intensiv für den Inhalt des Eisschrankes interessierte ... und am 22. September explodierte schließlich sogar die erste Bombe im Empfangssalon des Erz-bischofs, ohne freilich größeren Schaden anzurichten. Proteste von kirchlicher Seite blieben nicht aus, aber der Verdacht biß sich fest. Sogar am Rande des Urwalds und in Buschdörfern forderte man Missionäre auf, durch „Messelesen“ zu beweisen, daß sie keine belgischen Fallschirmjäger in der Soutane seien, und manchem von ihnen lief doch ein kalter Schauer über seine alte Pfadfinderhaut, wenn er bei nächtlichen Kanufahrten huschende Gestalten im Ufergebüsch spürte oder das Geheul randalierender Banden zu ihm herüberdröhnte, die stürmisch nach Beweisen seiner „Echtheit“ begehrten.

Schließlich fühlte sich der Ministerpräsident in seiner Rolle des starken Mannes so wohl, daß er zum bewährten Mittel aller Diktatoren griff und kurzerhand verhaften ließ. Daß dabei die nicht gerade disziplinierte Force Public, die seit zwei Monaten keinen Sold mehr erhält und sich daher „selbst versorgen“ muß, in ihren Methoden keineswegs wählerisch war, läßt sich denken. Neben neuangekommenen Missionären, etwa aus Deutschland, die kurzerhand mitgenommen wurden, verschleppte und mißhandelte man auch Exzellenz Jan van Cau-welaert, denjBischQ^y^Inon^q.^nieb^c

er einen Geheimsender betrieben habe, und Bischof Joseph Nkolongo aus der Provinz Kasai, der energisch gegen das Massaker protestierte, das Lumumbas Truppen unter der Zivilbevölkerung anrichteten. Beide Bischöfe sind inzwischen wieder frei, aber bei ihrer Verhaftung fiel immerhin der Satz: „Kommunisten dulden weder Bischöfe noch Priester im Kongo ...“

Gegenwärtig befaßt sich die Konferenz aller kongolesischen Bischöfe mit der Lage, die im wahrsten Sinne des Wortes „undurchsichtig“ ist. Lumumba, der seinen Thron festzementiert wähnte, tauchte inzwischen in der Versenkung des politischen Alibis unter, das Militär regiert. Die Kirche hat eine Atempause bekommen und wird, wie man in Leopoldville betont, „unver- j drossen ihre religiöse und soziale Arbeit fortsetzen“. Die ersten Missionäre, die vor Wochen unter dem Druck der Verhältnisse den Kongo verlassen mußten, sind inzwischen über Brazza-ville zurückgekehrt. Die Schulen öffnen sich wieder.

Urteilen wir darum über den Afrikaner nicht zu scharf! Wir haben ihn jahrzehntelang für uns arbeiten lassen. Gewiß, wir haben ihn ausgebildet, aber nur so weit, daß er uns nicht gefährlich werden konnte. Verhängnisvoller Irrtum! Im übrigen hat man ihn seiner Wege gehen lassen. Es gab im Kongo eine tatsächliche Rassentrennung. Beweis dafür: das Fehlen der Mischlinge!

Heute sucht der echte Afrikaner seinen Weg bereits abseits von Amerika und Europa, und vielleicht findet er, ihn sogar einmal wieder, diesen Weg zur alten Weisheit, zum Wissen um die „Lebenskraft“. Der Afrikaner begehrt noch das volle Leben, das starke Leben, den starken Gott, nach dem er sich sehnt. Übersehen wir das, so werden wir aus den Schwarzen, die sich bereit zeigen, ihre Weisheit zu verleugnen, nett gekleidete, gut genährte, ordentlich wohnende Okzidentalisierte gemacht haben, Menschen mit leerer, unerfüllter Seele, die unseren Untergang bedeuten können.

Werden Europa und Amerika bei ihren Sanierungsplänen an das alte afrikanische Sprichwort denken: „Du kannst Reichtum, Wohlstand, eine zahlreiche Nachkommenschaft haben, und doch faßt dich eines Tages das Heimweh und du sitzest da, den Kopf in die Hand gestützt, und du weißt nicht, warum!“?

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