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Lyrik und Prosa von Gerhard Fritsch

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Der Geisterkrug. Gedichte. Von Gerhard Fritsch.“)ss.-.Seiten. Otto-Müller-Verlag, Salzburg. Preis 42 SV

Dies ist (nach „Zwischen Kirkenes und Bari“, „Lehm und Gestalt“, „Dieses Dunkel heißt Nacht“) der vierte Band mit Gedichten von Gerhard Fritsch. Ihm kommt prinzipielle Bedeutung zu.

Fritsch wurde zuerst mit Kriegsgedichten bekannt. Das Erlebnis. des Krieges, Front und Zusammenbruch“, 'die Rückmärsche auf den langen Straßen des Iten .Europas (hin war es so rasch gegangen ...) waren für ihn entscheidend. Sie ließen ihn zum Wort finden: zü knappen, harten, unerbittlichen Gedichten, ohne Sentiment und ohne Klagelitanei, aber:“ voll Welt und voll Poesie. Unvergeßlich ist das Gedicht von Europa, das der Schüler in sein Heft“zeith'ffete und das dann der Bordschiitze unter sich sah ,im;Zielfernrohr . . .

Das Erlebnis des Krieges war der Ausgangspunkt; dieses Erlebnis ist nun veraibeitet und überwunden, Westeuropa .hat. sich, saturiert, das Wirtschaftswunder blüht“, 'der Mensch wird mit anderen Problemen konfrontiert als- denen, sich seine nackte Existenz zu retten. Und da kommt nun unter dem knappen, harten, unerbittlichen Fritsch einer hervor, der in seinem Wesen Idylliker und froh ist, daß die schlimme Zeit vorüber ist und man wieder leben kann auf der Welt. Vielleicht muß das Erlebnis des Krieges jeden, der es heil übersteht, zum Idylliker machen: zu einem Menschen, der die einfachen und wesentlichen Dinge des Daseins zu lieben versteht.

(Denn das ist ja die Idylle und nicht etwa sattes spießbürgerliches Behagen I)

Gerhard Fritsch drückte diese Situation in seiner bisher bedeutendsten Arbeit, dem langen Gedicht „Dieses Dunkel heißt Nacht“, so aus: „Es ist vieles besser geworden und einfacher als früher / ein Freund sagte unlängst / du verspießerst...“ Fritsch sagt darauf: „Von mir aus“ und „Ich weiß, wie es ist / wenn man herumfährt / ohne Daheim“.

Ja, er ist nur noch selten der unerbittliche Dichter der Nachkriegslyrik, den wir lieben gelernt haben. Haben nun, und das ist die entscheidende Frage, seine neuen Gedichte, die nicht mehr von einem einzigen unerschöpflichen Thema geprägt sind, den gleichen literarischen Rang, die gleiche Aussagekraft, die gleiche Erlebnistiefe wie die früheren?

Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Zuerst scheint es: nein. Die Gedichte sind verbindlicher, und manches sagen sie bloß, um es dem Leser leicht zu machen. Nichts aber nimmt der wahre Leser übler als das.

Erst nach mehrmaligem Lesen entdeckt man bei vielen Gedichten dann Schichten, die einem zunächst verborgen blieben. Die in ihrer Schlichtheit so unauffällig dastehen, als wären sie selbstverständlich. Und man spürt ein Maß an Erfahrung, an Weisheit, die nur durch Erleben gewonnen werden kann, das ganz ungewöhnlich ist. Um dieser Echtheit des Erlebens und der Bescheidenheit, die daraus wächst, lieben wir diesen neuen Fritsch: auch wenn seine Erfahrung noch nicht immer den letzten, knappsten, dichtesten Ausdruck gefunden hat.

Die Gedichte von Gerhard Fritsch sind konsequent reimlos, aber rhythmisch akzentuiert, voll Melodie und von plastischer Bildkraft. Zu den schönsten gehören: „Dem Andenken der Stadt Duppau in Böhmen“, „In einem unterdrückten Land“, „Galizische Dämmerung“, „Winters“ (Auftakt zum Abschnitt: „Der Tod ist fortgezogen“), „Zwischen Abend und Nacht“, „Nicht nur im Vorfeld“ und die Schlußverse von „Als es Abend wurde: „Nur / an den Kontinenten der Engel / haben wir nichts / versehrt. / So zerfallen, wir getröstet / zu Staub“.

Es gibt wenige Autoren von Rang in der Generation Fritschs, die sich selbst so treu geblieben sind wie er. Die den Mut haben, das auszusagen, was sie empfinden, unabhängig davon, ob eine Metaphysik ä la Aichinger oder ein Nihilismus ä la Beckett oder Sagan in Mode ist. Es gibt wenige, die noch daran glauben, daß ein Dichter eine Botschaft haben muß, damit wir leben können hier auf der Erde, die betretbar ist trotz des vielen Blutes, das über sie geflossen. Gerhard Fritsch ist einer dieser wenigen.

Moos auf den Steinen. Roman von Gerhard Fritsch. Otto-Müller-Verlag, Salzburg. 307 Seiten.

Die Marchfeldschlösser sind in Mode gekommen. Ihre Romantik lockt immer mehr Besucher an, ihre zum Teil katastrophale Baufälligkeit bewegt die Kunstfreunde, und ihre verträumte Melancholie inspiriert die Dichter. Orth, Niederweiden, Marchegg, Schloßhof: österreichische Geschichte, österreichisches Schicksal zwischen Alpen und Karpaten. Es ist wohl nicht von ungefähr, daß ein junger österreichischer Autor, der bewußt oder unbewußt an Joseph Roth anknüpft, gerade diese Gegend zum Schauplatz seines ersten Romans machte; früher war Tarnopol der äußerste Osten Oesterreichs, heute ist es Marchegg, aber er hat trotz des Unterschieds von etwa 700 Kilometer noch immer einen besonderen Reiz Weitab von der Betriebsamkeit der Fremdenindustrie und der Wirtschaftswunder dämmert dort, wo Slawisches und Madjarisches in Mensch und Landschaft jäh fühlbar werden, zwisehen verfallenen Barockpalästen und verwuchernden Jagdgründen noch die „alte Zeit“ dahin wie in einem sonderbaren Naturschutzpark.

Gerhard Fritsch ist es gelungen, diese eigenartige Atmosphäre treffend wiederzugeben. Vor allem die Naturbilder sind von großer sprachlicher Schönheit und bemerkenswerter künstlerischer Ausdruckskraft; sie weisen auf die starke lyrische Begabung des Autors hin. Die Handlung selbst kann jedoch mit dieser eindrucksvollen Komponente des Buches nicht ganz Schritt halten. Vielleicht hat sich der Autor zuviel vorgenommen, indem er auf eine imposante romantische Kulisse ein nicht sehr geglücktes Zeitbild zu projizieren versuchte. Alles in allem jedoch eine der überzeugendsten Talentproben, die die literarische Nachkriegsgeneration bisher aufzuweisen hat. Hans M. Loew

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