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MACHT UND GEIST

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Wer an diese Fragestellung rührt, rührt an eine innerste Fragwürdigkeit des heutigen Lebens. Die nahe Sorge des einzelnen in seinem Lebenskampf ist in sie eingeschlossen, und die Sorge des Volkes und der Völker. Scheint nicht die tägliche Erfahrung das Wort Walthers von der Vogelweide zu bestätigen: .Gewalt fährt auf der Straße“? Ist es nicht bereits zum Lebensbrot vieler einzelner, ün Betrieb, im Büro, in diesem täglichen Leben geworden, Gewalt zu essen, Macht als Gewalt zu erfahren? Als Übermacht also großer und kleiner, oft anonymer Kräfte. Der Geist ist einfach nicht da. Er hat sich verflüchtigt, ist aüsgeronnen. Ist verlorengegängen. Irgendwo, vielleicht im Gepäck von Flüchtlingen, fiel er ins Eiswasser, ging unter, ertrank. . ,

Wer durch die sehr dünne und sehr zarte Haut des Humanistischen und Christlichen stößt, die sich heute hier und dort wieder .über Wunden zu bilden scheint — und wie oft zerreißt sie doch beim ersten Druck und Stoß —, der merkt bald: Hinter dem Fragen um Macht und Geist steht die Frage, die den Psal- misten erregte, die das Gefühl des Mannes von der Straße verwirrt, den Denker verletzt und Kinder oft so tödlich ver- sehrt: Verbirgt sich hinter der Übermacht der Mächtigen und der Ohnmacht des Geistes nicht ein letztes — der Sieg der Welt, ihrer harten Gesetzlichkeit von Druck und Stoß, Schlag und Gegenschlag, Aktion und Reaktion — und die Niederlage Gottes? Des „schwachen Gottes“, dem es nicht gelingt, auf seiner Erde Macht und Geist, Gott und Mensch zu versöhnen. Des schwadien Gottes, der von sich doch sagen läßt: Tremunt pote- states, vor meinem Antlitz zittern die Enflelsmächte, und: Omnis potestas a Deo, jede irdische Gewalt ist von Gott. Straft er sich nicht täglich Lügen? Spuckt ihm nicht jeder kleine Kommandeur und Machtträger ins Gesicht? Und: Ist das nicht bereits falsche Heroik, Pathetik, Romantik — haben sie ihn nicht längst getötet, die „Großen Mächte“, nachdem sie ihn fingen, wie ein seltsam ungebärdiges Tier, mit den Fallen ihrer wissenschaftlichen Systeme, ihn sodann in den Kriegen und Lagern kurzerhand totschlugen. So etwa wie Hermann Schwarz, ein sehr charakteristischer Denker des letzten Reiches, es sagte: „In Versailles starb der christliche Gott der allgemeinen Menschenliebe.“

Ist nicht dies das Verwirrende: Die Macht hat so viele Gesichter, wo aber ist das Gesicht des Geistes zu schauen? — Jedes Telephon eines Chefs, jeder Transmissionsriemen, jede Kraftfahrbahn, jeder Motor mittelt Macht; bezeugt sie — da, auf diesem Knopf wird sie ausgelöst, und baut und zerstört Fabriken und Städte, versetzt dich in eine andere Dienststelle, ordnet dein Privatleben neu und ver- unordnet das Leben ganzer Völker. Das Gesicht des Geistes: Wo siehst du es? ln der Straßenbahn, an deinem Arbeitsort, in den Hallen der Feste? Die Macht hat so viele Namen: Polizei und Politik, Presse und Funk, Partei und Interessenverband; sie fällt die Massen an als Vergnügungsindustrie, Kriegsindustrie und hämmert in Reklame und Propaganda mit tausend Rufzeichen, Blinkzeichen, Leuchtfeuern und Rotationsmaschinen auf die Nerven. Welche Namen hat der Geist? Darf ein wandernder Rhapsode, der Rilke vorträgt, eine Koloratursängerin, ein beamteter Prediger, ein bestallter Professor sagen: Hier ist der Geist; er trägt meinen Namen!

Die Macht hat so viele Wirkungen: Unaufhörlich und unverdrossen verändert sie das Antlitz der Erde, der Völker, des Einzelnen. Land wird durch sie zum Garten und zur Schlackenhalde, zur Wüste und Plantage. Der Mensch wird zum Kolonial; nicht nur in außereuropäischen Weiten, auch hier bereits: Blicken wir für einen Augenblick in das Gesicht eines Mannes; der auch nur einige Jahre irgendeinem Machtsystem gedient hat. Der aufreibende Kampf um Selbstbehauptung in diesem und . jenem wirtschaftlichen, politischen oder militärischen Kraftfeld hat ihn verändert. Wir bedürfen also des Hinweises nicht mehr auf andere biologische Großleistungen deT Macht, etwa in der Züchtung riesiger Tomaten und eines kältetrotzenden Uberviehs. Unablässig ändern die Mächte der Welt das Gesicht des Menschen, greifen ein in seine Struktur, die für sie Menschenmaterial ist. Wo aber ändert der Geist? Wo wandelt, verwandelt er die Welt — denn das ist doch seine Königsfunktion, er, von dem die Pfingstliturcfe sagt, daß er das Antlitz der Erde erneuert, und die Pfingstsequenz des Abendlandes, betend ruft: „Wasche, was befleckt ist; heile, was verwundet ist; tränke, was da dürr steht; beuge, was verhärtet ist; wärme,’ was erkaltet ist; lenke, was abwegig ist.“ Der Mann des Lebens runzelt die Brauen: Ich sehe, ich spüre nichts von dieser Physik und Chemie des Geistes. Mir genügt es vollauf, daß ich mich täglich mit der Physik und Chemie der Weltmächte, auseinandersetzen muß. Amboß bin ich, so will ich auch Hammer sein.

Wenn wir uns also an diesem Tage des Geistes ‘aulblättern, nicht wie Rilkes Rose, sondern wie Peer Gynts, des norwegischen Gottsuchers, Zwiebel, und, Blatt üm’ Blatt, Hülle um Hülle fallen lassen, finden wir in ihnen kaum eine süße Kernfrucht reinen Vertrauens, sondern ein tiefes Schweigen, das kaum mehr ‘die Frage wagt: Wo bist du Geist?/ Wo hast du dich versteckt? Haben wir dich wirklich mit unseren Büchern begraben, haben wir dich zu Tode geredet, bist du unter die Räder gekommen auf der Autobahn unseres Lebens, wie ein Kind, das unversehens aus : blühendem ‘ Hag auf die Straße lief? — Jenseits aller Pessimismen und Optimismen der Stunde, jenseits all dieser Moden und atmosphärischen Schwankungen, die vom Abend zum Morgen in vielen Kurven sich ändern, steht also dies: Der Nihilismus. Und sein Name lautet: Verzweiflung am Geist. Verzweiflung an seiner Macht Hat er sich nicht ohnmächtig erwiesen, die Mächtigen in ihre Schranken zu weisen, das Volk zu führen und den einzelnen zu erlösen?

Das gesamte welthafte und religiöse Denken des deutschen Volkes kreist, seit der Mönch Gottschalk um das Begreifen der Gnade rang, in den Geschichtsdenkern des 12. Jahrhunderts, also in Anselm von Havelberg, Hugo von Sankt Viktor, Otto von Freising, dann in Eck- hart, Tauler und Luther,’ in Kues. Pära- zelsus, Böhme und Leibniz, in Kant und Hegel, um dieses eine: Wie sind Macht und Geist zu versöhnen? Wie bilden sie, als innertrinitarischer Prozeß, als Gotteinung im Seelengrund, als Vermählung von Gnade und Freiheit, von Zom und Liebe Gottes, in einem glühenden Werden das Eine Reich? Das Reich der Macht und de Geistes, in dėm 1 die Gegensätze versöhnt, aufgehoben werden. Dieses Denken scheitert in dem es sich vollzieht; noch bevor es sich einhaust in Konfession und Parteiung, in historischer Position und philosophischem System. Und scheitert, indem es ausfließt in Unendlichkeiten. „Gefühl ist alles“. Faust setzt an die Stelle 1 des Logos die Tat; Das ist das Ende des christlichen abendländischen Humanismus.

Dieses große weltanschauliche und religiöse Denken des deutschen Volkes ist ein Denken von einer nicht genug zu erwägenden Zartheit und Sensibilität und zugleich von einer verzweifelten Kühnhel,: Es erfährt d i e Macht als Gottes Übermacht — Luthers pati Deum —, die der Kosmos und das Ich erleiden und sodann an sich zu reißen suchen. Eben im philosophischen System wie in den religiösen Bewegungen dieses Raumes. Tragisch und zur Katastrophe drängend faltet sich diese spirituale Erfahrung und Versuchung — also: Gottes Übermacht einzubergen und auszuschöpfen im Innenraum, der Seele, im innern Reich, Gottes Reich mitzuzeugen im Geistprozeß des Menschen — dadurch aus, daß sie in einem intimen Zusammenhang steht mit den politischen Katastrophen des deutschen Volkes: mit dem Zusammenbruch des Heiligen Reiches in den schrecklichen Kämpfen des Hoch- mittelaiters, mit dem Einsturz der politischen und religiösen Weltordhung im Jahrhundert der Glaubenskriege, mit dem Fazit des ersten Weltkrieges. In diesen Katastrophen wuchs, in der inneren Bedrängnis durch den rätselhaften „schrecklichen Gott“, vor dessen Zorn kein Menschenhalm sicher ist, und in der äußeren Bedrängnis durch die Mächte der historischen Stunde, die Überzeugung: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Wenn es hart auf hart kommt, wenn es ganz ernst wird, dann ist Gott mit den stärkeren Bataillonen. Dann haben also alle Prediger und Professoren, alle beamteten und nicht beamteten Geistträger nur jene eine Aufgabe, die. der große Staufer Friedrich Barbarossa . mit all seinen kaiserlichen und königlichen Vorgängern in seinen Urkunden von seinem Reichsklerus fordert (Wilhelm II. wird dieselbe Forderung an den Verfasser des Kriegsmanifestes von 1914, Adolf von Harnack, stellen): ihre Gebete mit dem Marschtritt seiner Heere zu vereinen.

Es fällt also nicht leicht, im deutschen Raum von der Macht des schwachen Geistes zu sprechen. Nicht weil, wie es viele Gegner des deutschen Wesens wissen wollen, das deutsche Volk und sein Geist machtlüstern seien, besessen und zerfressen vom Willen zur Macht, sondern im Gegenteil: weil das sehr empfindsame Gemüt, weil Seele und Geist des Deutschen vom Eindruck der Macht, der Gottesmacht wie der Menschenmacht, immer wieder tief versehrt, verletzt, verwendet wurden. Für diese Versehrung ist unser Bruder in Christo Friedrich Nietzsche, ebenso Zeuge wie Hölderlin, wie Luther, wie viele Deutsche vor und nach ihnen.

Und doch gebietet dieser Tag des Heiligen Geistes, vertrauensvoll hoffend wider alle Hoffnung, von zwei Imperativen zu reden. Das sind keine kategorischen Imperative, sondern historische Imperative, Gebote der geschichtlichen Stunde. Sie betreffen den Aufbau eines politischen Humanismus und eines inneren Tragens auf den Geist. Sie haben, wie sich wohl versteht,. Bedeutung nicht nur für dieses Volk der Mitte, sondern für alle, die zwischen gestern und morgen ihren Weg suchen.

Demokratie, politischer Fortschritt, gesellschaftliche Evolution, Freiheit als Toleranz für andere, politische Brüderlichkeit sind hier nicht selten viel belächelte Dinge. Die heroischen- Erfahrungen, in denen etwa das englische Volk im bittersten Kampfe mit sich selbst, sie sich in zwei Revolutionen im 17. Jahrhundert errang, dann austrug in den Pilgervätern und Siedlern in die jungen Gemeinden Nordamerikas hinein, sind bei uns unbekannt, geschweige denn Fleisch und Blut geworden. Sie sind vergessen wie etwa der Eindruck der Französischen Revolution auf Kant, der den Lobgesang des Zacharias anstimmte, als, er ihren Sieg erfuhr. Der zweihundertjährige Kampf des deutschen Denkens gegen englischen Empirismus und französischen Rationalismus bietet kaum Ansatzstellen, die erkennen lassen, worum es hier geht: um eine echte Rationalisierung von Macht, ujn ihre Eingrenzung jeweils auf ganz bestimmte dienende gesell s c hä f tli c h e Funktionen. Macht also nicht als ein heiliges Reich, das einen Kosmos zu verwalten hat, Macht nicht als ein philosophisches System, das Welten baut, sondern Macht als Selbstbezeugung einer politischen Gesellschaft, einer Gesellschaft von einzelnen und von Interessengruppen; von Gegnerschaften, die mit- und füreinander Verantwortung tragen. Politischer’ Humanismus heißt also: Nicht Weltwille eines von untergründigen Impulsen bewegten übermächtigen Totums, nicht Geistwille eines Ichs, das sein inneres Reich baut, entschlossen trotzend gegen Wind und Wetter aller „Äußerlichkeiten“, sondern: Verantwortung von Macht als einer zeitlich und räumlich genau begrenzten Funktion einer politischen Gesellschaft. Einer Gemeinschaft von Gegnern also. Ein ständig mit allen spirituellen Kräften zu unterhaltendes Gespräch von Gegnern, die als Gegner geachtet und niemals zum Todfeind denunziert werden dürfen. Politischer Humanismus setzt also voraus: einen harten, grundfesten Glauben an die Menschheit als eine politische Gesellschaft, der die Verwaltung und Verwahrung von Macht anvertraut ist (beachten wir wohl: von Macht, nicht der Macht — das würde nämlich bereits wieder ein ungehöriges’ Ausschweifen; in ; metaphysische Und totalitäre Bezüge bedeuten). Die -Erkenntnis also dieser Verpfliditung als ein spirituelles Anliegen, als die Auf ga be der Geistig e n im Heute. Jeder, der nur etwas um Sich sieht, auf das Stoßen und Drängen öffentlicher Herumsteher, von soviel kleinen Hungrigen’ und großen Begehrenden, wird verstehen: ein solcher politischer Humanismus, der die rationale Gestaltung des gesellschaftlichen Seins des Menschen als seine erste und letzte Aufgabe ansieht, bedarf einer Basis, die heute noch kaum besteht, eines Grundes, der erst langsam im Wachsen ist, eines Fundaments, das nicht tief genug gegründet sein kann, soll es doch an das Heile und Heilende, tief unter dem Flugsand und den Ängsten des Tages, rühren. Dieser politische Huipanismus setzt also ein neues Verständnis der Ratio, der Vernunft, voraus, als einer Begabung des Menschen, sich als gesellschaftliches Wesen zu verantworten, sich als politische Gesellschaft von Verantwortungsträgern zu bilden.

Das aber bedeutet ein inneres Jä Zu dem großen Dual, zur Diastase, zu den Gegensätzen, auf denen das Abendland ruht: Staat und Kirche, Völker, Parteien, Konfessionen, gegnerische Verbände aller Art. Dieses Ja zum Gegner und zum Gegensatz hat nichts zu tun mit der mystischen Einung, mit der Union und Dia- • lektik jener magischen Identitätsphilosophien, die nicht zufällig heute wieder von führenden deutschen Köpfen vertreten werden: von Heidegger,, Ernst Jünger, Karl Schmitt und Gottfried Benn. Hinter vielen Masken und Formen verbergen sie ihre Todfeindschaft gegen den Dual, gegen die gesellschaftliche Vernunft, gegen den politischen Humanismus, gegen dieses’ Ja zu vielen Grenzen, deren Aufhebung Gott und Mensch und Welt zerstört. Gegen diesen mystischmagischen Idealismus, in dessen unkontrollierbarem Innenraum ein von Welt und Gott und Nichts berauschtes Ich sich selbst setzt und zerstört, setzt der politische Humanismus sich scharf und klar ab. Denken ist für ihn Kontrolle,, ist kon- trollfähig, trägt und verantwortet die Gesellschaft.

Der politische Humanismus strebt also nicht danach, • das Ding an sich,’den Seinsgrund, Himmel und Hölle in sich zu-bergen, beziehungsweise zumindest: in den Griff zu bekommen, sondern weiß: sich als Diener des Logos und der Ratio, seiner ersten Magd. Weiß sich also beauftragt, Haus und Hof und Acker zu; besteilen in der Gesellschaft von anderen, die mitzutragen, mitzuverantwörten sind.

Dieser politische Humanismus steht von seinem ersten bis zu seinem letzten Atemzug imKampfmitPrometheus. Strebt dieser danach, die Fackel der Macht, und die Brände des Geistes den himmlischen Mächten zu entreißen, so weiß jener, der politische Humanismus, sich als Knecht des Geistes und Mittler der Vernunft. Damit aber erfüllt er die Forderung des Zweiten historischen Imperativs: den Glauben an den Geist.

Dieser Glaube kann nicht kommandiert werden. Er kann aber wachsen im Schweigen, in der Enthaltung, in rational geübter Askese, in abertausend schlichten, kleinen Diensten, die täglich die Gesellschaft von uns fordert und die, als spirituelle Aufgabe und als spirituales Anliegen gesehen, verstanden und geleistet werden wollen. Das Nichttrauen auf den Geist, dieses vielleicht charakteristischeste Zeichen unserer Zeit, kann also im Vertrauen zum Geist gew-andelt werden, wenn einzelne sichtbar werden, die sich wandeln lassen und damit bereits zugleich Kräfte der Verwandlung in der Gesellschaft tragen. Solche Träger eines ganz neuen, spiritualen politischen Humanismus sind bereits unter ims — Gandhi, Albert Schweitzer Sind Symböl- gestalten, die uns alle an die Verantwortung unserer eigenen Existenz in der politischen Gesellschaft mahnen. Ihre Er sebeinung, ihre stille Gegenwärtigkeit weckt die. Hoffnung: daß an Stelle der überaus zarten, überaus verletzlichen Haut des Christlichen und Solitärhümähi- Stischen, die sich heute’,über Wunden bildet, das Heilende wächst, vom Grunde her. In der Bewährung eines politischen Humanismus, aus der Kraft des Trauens auf die Macht des. Geistes, der prägent ist in dem uns täglich neu verletzenden Geheimnis der göttlichen Ohnmacht und ipY def Forderung,irdische Macht’’ Ä Bauen auf jene getrost’ zu verwalten .

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