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Märchen und Schattenspiel

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Zur Ehre, zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens des Moskauer K ü n s t l’e r t h e a t e r s, das unter Stanislawski Weltruhm erwarb, bringt die Burg im Akademietheater „Anna Karenina’ in einer neuen russischen „dramatischen Komposition“ von N. D. Wolkow die 1937 ihre Uraufführung erlebte heraus.

Ein sehr schwieriges Unterfangen, das dank der wirklich beachtenswerten Regieführung Rotts und der einfallsreichen Bühnenbilder Judtmanns den Versuch, Film und Bühne zu vereinen, als fast erfolgreich erscheinen läßt. — Hier rollt nämlich in 26 Bildern, die teilweise auf einige Worte und Gesten komprimiert sind, das Geschehen zeitlupenhaft ab. Ach, das einst so reiche Geschehen um die Karenina, dieses mächtige Gemälde der Selbstzersetzung der russischen Gesellschaft im Zusammenstoß überaltetef bürokratischer „Orthodoxie“ und westlichmorbider ichsüchtiger Blasiertheit, was ist aus ihm geworden! Ein dürres einfärbiges Dreieckspiel zwischen Anna, Wronski und ihrem Gatten Alexej Alexandrowitsch! Gänzlich hineingehangen in die Düsternis eines zerquälten Abends. Dämmerung Von der ersten bis zur letzten Szene. Das ganze Stück ein’einziger Selbstmordversuch Annas! Das blühende, lebensvolle, überschäumende Geschöpf Tolstois ist in den nervösen Schauern Hilde Wageners untergegangen, wurde, grausam genug, aufgesogen von einer ichversponnenen Sensibilität, die nichts, gar nichts kennt als sich selbst und das, was sie ihre .„Liebe“ nennt. . . Diese Karenina führt eigentlich’ nur ‘- Selbstgespräche, neben ihr stehen zwei Mannspuppen,’der Durchschnittsjunge Wronski. O. W. Fischer und ihr Mann Hennings. Auch dieser ist in der Auffassung der Burg- zu einem pathologischen, schwer neurotischen Päthetiker geworden, zu einem Schwächling, der den starken Mann der alten Welt nur spielt. Im letzten Grunde gibt es — und das ist das tödliche Geheimnis dieses Stücks,, zumindest dieser Aufführung, gar keine echten Gegensätze zwischen diesen drei Hauptakteuren. Rettungslos sind sie in sich selbst, in-den, eitlen Gespinsten ihrer Träume verloren. So daß eine lähmende Langeweile uns von innen her überkommt, während wir aufmerksam interesssiert den Bemühungen der Schauspieler und zumal der Regie, diese dreistündige Vivisektion .so lebendig als nur möglich zu gestalten, Zusehen. Ein großes Aufgebot von Statisten, teilweise mit glanzvollen Namen, vermag das Stück nicht wirklich anzureichern, da es ihnen nicht erlaubt ist, eigene Farben, eigene Töne dem grausilbernen unendlich gedehnten Monolog Annas beizumischen. Das sehr starke Schlußbild Anna wirft sich vor den Zug versöhnt mit der unversöhnlichen Härte und Dürre, mit der hier der dramatische Faden von der ersten bis zur letzten Szene durchgesponnen wird, ohne auf den bunten Einschlag des Lebens, der dramatischen Wirklichkeit, zu achten.

Das Volkstheater bringt das „Romantische Öriginalzaubermärchen“ Ferdinands Raimunds „Der Bauer als Millionär“ in einer sehr sehenswerten Aufführung heraus. Raimunds Einheit der physischen und metaphysischen Welt, der Reiche der Feen, Geister, Ideale und ihrer menschlich-kreatürlichen Gegenbilder ruht auf 4er mittelalterlichen Harmonie und Durchdringung von Welt und Oberwelt und auf ihrem volkhaften Kontrapost. Der Bauer, der Mann des „gemeinen Volkes“, lebt das durch kluge scharfe Geister zertrennte All wieder zusammen. Kein Zufall, daß bereits Shakespeare seine Zuflucht zu ländlichem Treiben und Maskenspiel nahm, um das Verweben und Verschweben der geschiedenen Reiche in Märchen und Komödie zu schönem Schein werden zu lassen.

Vergangen die erste, monumentale Naivität der älteren Zeiten. Vergangen auch die zweite, sentimentalische, reflexiv-melancholische Naivität des Biedermeier Raimunds eines Zeitalters, dessen Symbole Kind und Greis waren. Schlecht und schlimm wäre es, aus falschen Gründen eine dritte Naivität etwa des „Mythos", der Magie, oder einer symbolistisch-arroganten neuen Märchensage heraufbeschwören zu wollen. Bleibt also nur die „Kunst“: das klug überlegende artistische Können. Die Theatermaschine — und die darstellerische Kraft einzelner hochvoluminöser Künstlerkapazitäten. Von diesen beiden Möglichkeiten hat das Volkstheater reichlich Gebrauch gemacht; es läßt in verschwenderischer Fülle „das große und das kleine Himmelslicht“ agieren, spart nicht am Ku’issenzauber, mit tänzerischen Einlagen und all dem handlichen Zeug, das dem Meister der Guckkastenbühne zur Verfügung steht. Da ihm zudem eine Reihe trefflicher Schauspieler, in diesem Fall zumal das Dreigestirn Inge Konradi - Paul Hörbiger - Karl Skraup, assistieren, gelingt es in einzelnen Szenen, wie etwa im „Abschied der Jugend", jene zauberhafte Rührung zu erwecken, die eine Mischung ist aus leiser Trauer und Distanz, aus dem Abstandnehmen und dem Wohlgefallen an Erscheinungen, die uns fern genug stehen, um nicht mehr schmerzend empfunden, und noch so nah sind, um als Spiegel unserer Träume gesehen zu werden. Daß gelegentlich etwas zu viel Hokuspokus die Bühne überrollt, will übersehen werden. Raimund hat es eben nicht leicht, seine zutiefst nahtlose Welt in einer Zeit zu behaupten, die aus so vielen Fugen geraten ist.

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