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Magie des Schicksals

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(Fortsetzung und Schluß)

In unbehilflichen, kindlich großen Zügen war da ein Brief an ihren Vater gesdirieben worden. Das Datum ging auf mehr als vier Jahre zurück. Sie las den Namen eines Ortes, den sie nidit kannte. Und wie hieß der Absender wohl? Mit Verwunderung las sie den Namen ihres Vaters, las ihren eigenen Familiennamen. „Geehrter Herr!“ begann der Brief, und er war nicht immer richtig geschrieben. „Sie werden sich einigermaßen wundern, von einem Namensvetter einen Brief zu erhalten. Unser Name ist ja keineswegs häufig. Trotzdem glaube ich nicht, daß wir verwandt sind. Meine Familie stammt aus Bayern, die Ihrige aus Westfalen. Das weiß ich närmlidi alles und noch mehr, da ich Ihr Leben und Ihr Wirken aus den Zeitungen verfolgte. Ich bin nur ein Schlichter Handwerker, müssen Sie wissen, Tischler, der einmal allerdings ein Künstler werden wollte, Bildhauer womöglich. Aber das Leben hat es nicht erlaubt. Ich heiratete, habe vier Kinder, da heißt es verdienen. Es reicht, gottlob, zum Leben hier auf dem Dorfe. Ich kabe Sie als junger Mensch einmal in München gesehen, als Karl Moor, seither habe ich Sie nicht mehr vergessen. Ich lebte, wenn es zu sagen erlaubt ist, mit Ihrer Kunst mit und freute mich an allem, was ich hörte. Ihre Bilder, in allerlei Rollen, haben wir aus den Zeitungen geschnitten, mein Schwager in der Stadt, der Setzer ist, hat sie mir besorgt. Wir haben sie an die Wand geklebt. Es wird nicht im wegen der Namensgleidiheit sein, meine ich, idi versteh Sic offenbar sehr gut, Wenn das iü sagen eritiübt ist, lind freue mich an allem. Wenn Sie einmal hier durchs bayrische Hochland kommen, besuchen Sie nveh doch. Wir haben es sehr schön hier. Eine Stube ist immer bereit.“

So lautete der Brief. Wie war er in dieses Budi gekommen? War er beantwortet worden? Die Seiten lagen jetzt offen ihr,

Zwischen denen sie ihn gefunden hatte. Es war ein s diö r er alter Büdierschfank dort abi gebildet. Am End“ hatte der Vater daran gedacht, den Sdirank nachbilden zu lassen vom seinem Namensvetter, dem Tischler? Und hatte es dann im Trubel seiner Arbeit vergessen? Ob er dem Manne wc-h! geantwortet hatte?

Nun, wie Immer es War, es freute sie, diese kleine Begebenheit aus dem Leben ihres Vaters zu erfahren, von der sie bisher nichts gewußt hatte. Sie empfand sie wie einen nahen Gruß aus seiner dunklen Ferne und fühlte sich seltsam erleichtert und beruhigt dabei.

Wochen waren seither vergangen, ės war Sommer geworden, und sie rüstete zu einer kleinen Reise, um eine Freundin in München zu besuchen, die sie schon des öfteren dringend zu sich geladen hatte.

Den Brief des Namensvettern hatte sie keineswegs vergessen. Sie hatte ihn sogar mit sich genommen. Sie hatte unterdessen in Erfahrung gebracht, es sei das Dorf, worin er wohnte, von München aus in einem Tage leicht zu erreichen, wobei auch die Rückfahrt noch einzurechnen war.

Und eines Tages hatte sie der Schnellzug und dann eine Nebenbahn an den Ort gebracht, der besonders für die Münchner, wie sie nun erfuhr, auch als Sommerfrische in Betracht kam. Es war das nicht verwunderlich, denn sie war da in eine ungewöhnlich schöne Gegend geraten, an den Rand des Hochgebirges, wo sich Wälder, Seen und helle Wiesenteppiche aufs lieblidiste ergänzten. Zudem war der Ort, damit auch dies nicht fehle, überagt von einem mächtigen, wohlerhaltenen Schlosse, das dem Ganzen, auch der ländlichen Umgebung, eine vornehme, irt sich behütete Einheitlichkeit verlieh.

Das Wohnhaus des Tischlers war nicht sdiwer zu erfragen; es war ein altes, einstöckiges Holzhaus im Stil der Gegend mit grüngestrichenen Läden. Vor allen Fenstern flammten dunkle Pelargonien.

Es war gerade zur Mittagszeit, als sie das Haus betrat, und sie wunderte sich gar nicht, die Familie um den Tisch versammelt zu finden, den Vater leicht ergraut mit gutmütig offenem Gesidit, die Mutter mit dem schlich ten Scheitel, auch im Äußeren ihm zugehörig, die Kinder, nun. wie eben Kinder sind. Das umfaßte sie alles mit dem ersten Blick, nachdem sie auf das freundliche „Herein“ die Stube betreten hatte. Mit dem zweiten erhaschte sie auch schon des Vaters Bildnisse an der Wand, Lebensbilder, Rollenbilder. „Grüß Gott1’, sagte sie lächelnd, indem sie auf die Bilder deutete, „ich bin die Tochter dieses Mannes hier!“

Und da wurde sie gleich in allem Erstaunen so herzlich begrüßt, als sie insgeheim erhofft hatte. Das Wunderliche ihrer Beziehung zu diesen einfadien Menschen, die Namensvettersdiaft, gab allem einen humorvollen Unterton; man zog sie an den Tisch, und schon mußte sie, ob sie wollte oder nicht, an dem kaum begonnenen Mahle teilnehmen. Man hatte vom Tode ihres Vaters längst erfahren, mit Feingefühl erwähnte man es und vermied es doch, zu bedränglidi dabei zu.,y£rharren. Die Mensdien, die- hier saßen:, das merkte sie gleich, befanden sich im Einklang mit sich selbst, sie hatten alles von innen heraus geordnet, man fühlte sich gleich zu Hause bei ihnen, die Welt sah gezähmt zu den Fenstern herein.

Sie sprach auch von ihrer Freude über die Schönheit der Gegend, über die hohen Berge, über das gewaltige Sdiloß. Wer es besitze? Ob es jederzeit bewohnt sei?

Ja, das gehöre jetzt einem merkwürdigen Menschen, erklärte der Tischler, der es erst vor wenigen Jahren erworben. Er sei aus Norddeutsdiland hieher gekommen und habe ein Erziehungsheim hier eingeriditet, völlig hach neuen Plänen, die sich nicht nur mit den üblichen Schulgegenständen, sondern auch mit allerlei Handwerken und sportlichen Übungen befassen, es sollte eine Schule des Lebens sein.

„Ich war selbst einmal droben“, fuhr er fort, „allerdings zu keiner sehr erfreulichen Geieigenheit. Ich bin nämlich Mitglied der freiwilligen Feuerwehr, müssen Sie wissen, und da hatten wir im Vorjahre den großen Brand zu löschen, der den ganzen Westteil des Schlosses erfaßt hatte. Jetzt ist aber alles wieder aufgebaut. Harte Arbeit hat’s damals gegeben, ja! Menschenleben waren nidit zu beklagen, der Schloßherr aber ist lange untröstlich gewesen über den Verlust seiner großen, wertvollen Bibliothek. Das ist alles verbrannt, da war nichts mehr zu retten.“

Er blickte, als er geendet, ein wenig erstaunt auf seinen Gast, dodi sagte er nidits. Das Fräulein hatte nätnlidi auf eine Weile die Augen geschlossen gehabt und war dabei erblaßt.

Dann aber zeigte sie sich gleich wieder lebendig wie vorher: „Ich möchte die Anstalt gerne besichtigen“, lächelte sie. „Und zwar sogleich. Ist der Schloßherr jederzeit zu sprechen?“ „Er ist gewiß für Sie zu sprechen“, meinte der Tisdiler, etwas verwundert über die Eile des Fräuleins. „Soviel ich weiß, wird droben erst um zwei Uhr gegessen, da kämen Sie gerade noch zurecht.“

Es waren seltsame Empfindungen, unter denen sie nun den schattigen Schloßweg emporstieg. Sie hatte gar nicht das Gefühl, sich einem Ungewissen anzu vertrauen; ihr war zumute, als sei sie plötzlidi in ein vorbestimmtes Schicksal eingetreten. Sie brauchte es nur mit geschlossenen Augen in Demut hinzunehmen, es war schon alles geordnet.

Und siehe, der Name des Vaters, durch den Pförtner weitergegeben, bewirkte den sofortigen Empfang durch den Schloßherrn.

Sie saß dann vor einem Manne in schneeweißen Haaren, der sie gütig aus jugendlich hellen Augen ansah. Er hatte ihren Vater in manchen Rollen gesehen, er hatte auch verschiedene Abhandlungen von ihm gelesen, nein, sie konnte ihm keine Fremde sein.

Und wie sie ihm so in dem vornehmen holzgetäfelten Raume gegenübersaß, in dem ein Lebendiges von vielen Jahrhunderten sich leise noch bewahrte, begann sie nicht etwa gleich, ihr Anliegen vorzubringen. Aus einer tiefen inneren Klugheit heraus, vielleicht audi einer geheimnisvollen Stimme von außen her folgend, begann sie, der Reihe nach zu erzählen, wie alles gekommen war, und sie brachte zuletzt ihren Antrag, die Bücherei ihres Vaters als Ersatz für die verbrannte einzustellen, nicht etwa als eine geschäftliche Frage vor, sondern wie etwas Selbstverständliches, als eine Schicksalsfügung sozusagen.

Es vollziehen sich zuweilen Dinge, so einfach und dodi so wundersam zugleich, wie etwa eine Blume blüht oder ein schöner Kristall sich zusammenfügt. So sdilossen sich auch der Wunsch des einen und die Einsädit des anderen wie von selbst zusammen, mehr natur- oder vorsehungsgemäß als mensdhen- gewollt. Und auch daß das Fräulein Buchbinderin sei, fiel plötzlich höchst bedeutsam in die Waage. Denn gerade dieses Fach des Handwerklichen war hier nodi mit keiner Lehrkraft besetzt.

Als das Fräulein dann wieder den Schloßweg hinabstieg, war ein Leben geordnet, eine Sorge geschwunden, eine Zufunft sichergestellt. Und auch der gute Tischlermeister, der nun nach allem, was er hörte, aus dem Staunen gar nicht herauskam, vermochte einen guten Posten nfcuer Hoffnungen zu buchen. Bestand doch die Aussicht für ihn, Bücherschränke herzustellen für nicht weniger als zwanzigtausend Bände, gute Arbeit auf Jahre hinaus.

Das ist die Geschichte, die das Leben sdtrieb. Es gab daran nicht viel zu ändern. Indes der Erzähler aber nun schließen muß, spinnt das Leben seine Fäden nodi beharrlich weiter. Es steht nun zu Füßen des Schlosses auf einem Wiesenabhang ein reizendes kleines Haus, darin wohnen Mutter und Tochter das ganze Jahr hindurch, und sie haben den Lärm der übrigen großen Welt noch niemals wesentlich vermißt. Und was ihr Leben gesegnet hatte von Anfang an, Wissen, Werk und Sehnsucht eines ganzen Volkes, in die edlen Gefäße geschlossen, die man Bücher nennt, gesammelt von dem, der ihnen auf Erden das Liebste war, das blieb auch weiterhin in ihrer Nähe als sein wertvollstes Vermächtnis.

(Ende)

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