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MAKABRER „JUNGER“ HUMOR

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Die einem im Laufe von anderthalb Dezennien lieb und vertraut gewordene allsommerldche Filmexkursion an die Gestade der Spree (diesmal XVI. Internationale Filmfestspiele in Berlin) trägt einen anderen Charakter als die mit der gleichen Regelmäßigkeit absolvierten Besuche der internationalen Leinwandfestivals inner- und außerhalb Europas. Denn die Fahrt nach Berlin gilt nicht nur der mehr oder minder routinierten Auseinandersetzung mit dem Metier „Film“ und seinen umstrittenen künstlerischen Erscheinungsformen, sondern sie ist zugleich die jedesmal aufs neue erregende Wiederbegegnung mit einer Stadt, ibei der man von einem Mal zum anderen nie genau weiß, in welcher Atmosphäre sie sich einem präsentieren wird. Frohe Erwartung auf Neues und Schönes mischt sich mit dem Gefühl einer im Untenbewußtsein schlummernden Bedrückung und Unsicherheit, in denen sich wie wohl an keinem zweiten Ort unseres Erdballs die jeweilige weltpolitische Situation in ihren ständigen Schwankungen voller Realität widerspiegelt. Vor allem dem Reisenden, der sich auf der Straße oder per Bahn, eingeschleust in jenen unausweichlichen circulus von Kontrollen und dezent getarntem Mißtrauen dieser neuralgischen Schlagader im Herzen Europas nähert, offenbart sich besonders stark und eindringlich jener absonderliche Charakter einer Begrüßung, bei der sich Freude und Sorge so ziemlich die Waage halten.

All dies macht aber auch zugleich den eigentümlichen, attraktiven Reiz dieses Millionengelbildes aus, nicht unähnlich jenen feinnervig-vibrierenden Facetten, mit denen eine Geliebte in wechselnden Nuancierungen ihrem Bewunderer entgegentritt und ihm die Gewißheit gilbt, daß Langeweile in ihrer Aura ein unbekannter Begriff ist. Dies nur als Skizze zu einem stimulierenden Hintergrund, der einem internationalen filmischen Wettstreit gerade an diesem Platz Berechtigung und Besonderheit verleiht. Überdies sind die hier während der zwölf Tage vor geführten Zehn tausende von Zelluloidmetem ein demonstrativeres internationales Bindeglied für die auf Vorposten leibenden Berliner als so manche wohlgesetzte Rede eines Politikers oder ein noch so gut gemeinter Trost.

Während der zwei Wochen, in denen 35 Nationen an der Spree um die Anerkennung jüngster filmischer Schöpfungen und den Gewinn Goldener oder Silberner Bären rangen, wurde vielfach immer wieder das Fehlen weltberühmter Leinwandprominenz moniert. Zugegeben, daß heuer zugkräftige Namen besonders rar waren. Denn das sporadische Erscheinen eines Douglas Fairbanks jun. und der auf der James-Bond-Welle empor,geschwemmten Claudine Auger zu Beginn oder die Schlußlbegegnung mit der liebenswert mädchenhaften Geraldine Chaplin, die mit allen Anzeichen echter Schüchternheit den ganzen Publicityrummel um ihre Person über sich eigehen ließ, nimmt sich freilich im Vergleich zu den früheren Jahren etwas mager aus.

Aber sind nicht auch die Zeiten, da sich die Berliner vor den Hotels am Kurfürstendamm zu beängstigenden Massen stauten, ein wenig vorüber? Damals bedurfte es des Aufgebots eines halben Dutzends kräftiger Polizisten, um zum Beispiel unsere Waltraut Haas einigermaßen sicher vom Hoteleingang zum Taxi zu geleiten, weil sie sonst von der autogrammwütigen Menge beinahe erdrückt worden wäre. Vielleicht hat hier doch das ständige Aufscheinen bekannter Leinwandlielblinge in Femsehspielen und Sendungen sowie die in die intimsten Lebensdetails hineinleuchtenden Illustriertenreportagen den Nimbus und das Interesse der Öffentlichkeit an persönlichen Begegnungen mit ihren Stars’ ein wenig gedämpft. Jedenfalls ist es noch gar nicht so lange her, daß die Filmkritiker über den aufwendigen Starrummel, der letztlich der Beachtung der Filme abträglich sei, die Nase rümpften. Wie bei den meisten Dingen im Leben dürfte auch hier das gute Mittelmaß den rechten Ausweg bilden.

Bel den XVI. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gaben jedenfalls die Filme und ihre zumeist jugendlichen Gestalter den Ton an. Und die Kalkulation, die- Festivaldirektor Dr. Bauer und sein Auswahlkomitee in dieser Richtung an,gestellt hatte, dürfte gar nicht so falsch gewesen sein. Denn die Festspielkinog rund um die Gedächtniskirche waren fast täglich ausverkauft. Zumindest rein äußerlich der Beweis, daß die Anziehungskraft dieser Berlinale nicht vom Ruhm irgendwelcher Schauspieler oder sensationslüsternen Skandalen, sondern von den Filmen und ihrer zu erwartenden Aussage ausging. Freilich mochte nur ein unverbesserlicher Optimist erwarten, nun täglich einem umwerfenden Meisterwerk zu begegnen. Vieles, was in den beiden Wochen hier gezeigt wurde, war noch unausgegoren, verwirrend. Aber man bekam das Gefühl, daß die Generation zwischen zwanzig und dreißig Entwicklungen aufscheinen läßt, in denen sich mehr oder minder technisch gekonnt die provozierende Auseinandersetzung mit der Gegenwart und ihren Problemen anbahnt. Die überwiegende Mehrzahl — wenn man von dem nur in der Informationsschau gezeigten Erstlingswerk „Delirium“ des 25jährigen schwedischen Regisseurs Jan Halldorff und dem brasilianischen Beitrag „Heißes Blut“ von Walter Hugo Khuori albsieht — der gebotenen Filme erwies sich jedoch einer Diskussion durchaus würdig und wert. Schon das allein aber ist ein sehr erfreuliches Plus. Denn wir erinnern uns noch an so manches Festival während der vergangenen Jahre, da man über viele Darbietungen mit der Indifferenz und dem Achselzucken der Gleichgültigkeit und des Unberührtseins einfach zur Tagesordnung überging.

In dem zu einem verwinkelten Palast des Minotaurus gewordenen Europacenter, dem Sitz der Festspielleitung, waren diesmal Kritiker und Repräsentanten der filmischen Praxis und der Filmwirtschaft zu einem gemeinsamen Treffpunkt zusammengespannt. Zudem sorgte die Initiative zweier Filmgesellschaften, Constantdn und Atlas, durch persönliche Betreuung der Festivaliers für eine vielleicht doch in der Zukunft fruchtbar werdende Intensivierung der Kontakte zwischen den manchmal erstarrten Fronten der Filmschaffenden. Jedenfalls redete sich hier der Nachwuchs 1 vielsprachigen

Wortgefechten mit der Generation der Gereiften über Gesehenes und Zukünftiges die Köpfe heiß. Leider wurde das Wort „Filmkunst“ in diesem Tolhuwaibohu gegensätzlicher Auffassungen beinahe überstrapaziert. Zumal viele jugendliche Epigonen und Anbeter irgendeines „Ismus“ anscheinend meinen, daß es schon genügt, um durch thematische oder photographische Abstrusitäten und Ungereimtheiten in den Geruch filmkünstlerischen Schaffens zu gelangen.

Irgendwie symptomatisch war auch die rein äußerliche Wandlung von Filmbesuchern und Filmschöpfern, die diesmal besonders deutlich ins Auge fiel. Betont saloppe Unge- pflegtheit, von Exdstenzialistenibärten und langmähnigen Haarschöpfen umrahmt, trat immer mehr in Erscheinung. Musterbeispiel dafür war heuer der von allen Seiten favorisierte Pole Roman Folanski, der gleich einem zynischen Gnom mit listigen Augen und Beatnik-Locken durch die Scharen seiner Bewunderer ruderte. Es ist die aggressive Demonstration der Unabhängigkeit von jeder Konvention und das Streben zu einer absoluten Freiheit, die hier und in den Fiilmweiken der „zornigen“ jungen Leute ihre oft wunderlichen Blüten aufsprießen läßt. Polanski treibt in seinem regielich und technisch perfektionierten Beitrag „Wenn Katelbach kommt“ — Kafka und Beckett haben gedanklich dabei spürbar Pate gestanden — mit dem Absurden im Kleid der Realität schockierenden Scherz. Hervorragende schauspielerische Leistungen von Donald Pleasance und Lionel Stander helfen ihm dabei zu einem auf Hintergründigkeit deutenden Thriller, in den man auch eine Kritik an unserer heutigen Zivilisationsgesellschaft hineingeheim- nissen kann. Die Meinungen der Kritiker über den mit dem 1. Preis des Goldenen Bären ausgezeichneten Film reichten von massiver Ablehnung Ibis zu vorurteilsloser Bewunderung und waren somit signifikant für unser zeitgenössisches Suchen nach wahren künstlerischen Werten, auch im Film. Temperamentvolle Dispute entfesselte auch das von Jean- Luc Godand in „Masculin-Feminin“ auf die Leinwand geschleuderte Porträt der Zwanzigjährigen, das man eigentlich nur als intelligent-boshaften Zerrspiegel einer rebellierenden Jugend empfinden kann. Die Verleihung des Silbernen Bären an den Hauptdarsteller Jean Pierre Leaud für die beste männliche schauspielerische Leistung gehört ebenso wie die Zuerkennung des gleichen Preises an die Amerikanerin Lola Albright für ihre relativ bescheidene Rolle in dem auch von makabrem Humor durchsetzten amerikanischen Film „Mollymauk, der Wunderknabe“ zu jenen oft unverständlichen Geheimnissen einer Juryentscheidung. Für etwas ausgleichende Gerechtigkeit auf diesem heiklen Gebiet sorgten diesmal die außerhalb der internationalen Jury ausgesprochenen Anerkennungen und Preise. So kam der ausgezeichnete amerikanische Film „Georgy Girl“ von Silvio Narizzano durch die Juroren des Internationalen Katholischen Filmbüros zu ebenso verdienten Ehren wiie der voller Mut und innerer Aufrichtigkeit gestaltete italienische Film „Jahreszeiten unserer Liebe“ von Forestano Vancimi durch den Preis der Internationalen Filmkritilk.

In dem Reigen der internationalen Filmjugend tanzte heuer auch der junge Deutsche Peter Schamoni — der Älteste aus dem begabten vienblättrigen Filmfamilienkleeiblatt — zwar nicht restlos überzeugend, doch vielversprechend mit seinem durch einen Silbernen Bären ermunterten Beitrag

„Schonzeit für Füchse“ mit. Ihnen allen ist ein für ihre jungen Jahre erstaunlicher Sarkasmus zu eigen, der sich in einem manchmal direkt beklemmenden „schwarzen Humor“ gallig Luft macht. Irgendwie hat man bei ihnen immer das Gefühl, daß ihnen allen die Liebe zum Menschen und zur Kreatur ein wenig abhanden gekommen ist. Und dag stimmt einen irgendwie traurig. Denn daß sich die Beziehungen zwischen den Individuen und deren Schicksale auch anders und mit normalerem Empfinden gestalten lassen, bewies einem dann ein Film, wie ihn der bedeutende indische

Regisseur Satyajit Ray in „Der Held“ oder der Italiener Luigi Zampa in „Ehrensache“ erfolgreich an das Publikum herantrug. Das Wort „Konvention“ ist in ‘diesem Zusammenhang rasch dahergesagt. Daß es sich aber in ‘gewissem Sinne durchaus mit dem Anspruch „Kunst“ vereinen läßt, dafür lieferte die überaus aufschlußreiche Retrospektive der Schöpfungen von Max Qphiils anschauliche Beispiele und gab damit der in dem Werk sich offenbarenden vitalen künstlerischen Persönlichkeit das richtige Gewicht.

Nach siebenjähriger Abwesenheit lieferte auch Österreich wieder mit einem Spielfilm seine filmische Visitenkarte im offiziellen Wettbewerb Berlins ab. Die, Wiederver- filmung von Schönherrs „Weibsteufel“ durch Produzenten Otto Dürer und Regisseur Georg Tressler erwarb sich angesichts der mit Komplexen und hektischen Neurosen ange- fülliten Filmproblematik wenigstens eine Anerkennung für das ehrliche Bemühen durch die ausgezeichneten schauspielerischen Leistungen von Maria Emo, Hugo Gottschlich und Sieghardt Rupp, Menschen von Fleisch und Blut, oihne ial- sches Pathos auf die Leinwand zu bringen. Alpenberge, gradlinige Dämonie und in einem schwer verständlichen Idiom sprechende Bauern haben es in einer Konkurrenz jugendlicher Extremisten nicht leicht. Eindrucksvoll für Österreich zeugte noch eine Matinee von Kurzfilmen — sie feierte diesmal bei der Berlinale ihren zehnten Geburtstag — und wurde auch an der Repräsentationsschau der Länder wiederholt. Besonderen Anklang fanden der abstrakte Trickfilm „Spiel mit Steinen“ aus dem Linzer Froschibergstudio und die rhythmisch und farblich gelungene Apotheose auf die Körperkultur in dem Schönibrunn-Film „Gymnaestrada 1965“. Filmexperten aus USA haben die Absicht, einige dieser Kurzfilme zum „Oscar“-Wetitoewerb für Dokumentarfilme nach Hollywood zu holen. Und die zum zweiten Mal erfolgte Verleihung des Bundesfilmpreises an den Wiener Filmarchitekten Otto Pischinger’. vervollständigte dieses Lebenszeichen österreichischen Filmschaffens, das ja sonst leider auf internationalen Konkurrenzen des Spielfilms immer weniger hervortritt.

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