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Male im Landschaftsbild

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Als stünde ein unirdisch schmaler, betender Engel, aufgereckt, mit steil emporgerungenen, aneinandergefalteten Händen und mit abfallendem, gesenktem Flügelpaar mitten in den drallen, buntsdieckigen Nutz-wiasen der Bauern, so erschien mir einmal, aus dem Waldrand auf die Berglehne heraustretend, eine tirolische Dorfkirche unten im zeitweise noch leicht von Nebeln umspielten Tal. Trotz ihrer überragenden Höhe, doch zart, ja filigran wie ein aufklimmender, aber flügelruhiger Falter, stand, schwebte sie, beinahe .zaghaft, inmitten klobig-breiter, wuchtiger Gehöfte, wie um inmitten des Philiströsen den Geist zu vertreten, und ihr silbernes Geläut hob sich ähnlich ab vom dumpf kollernden, blechernen Geschepper der Viehglocken rund auf den Leiten.

Und wiewohl ich auf anderen Wanderungen die eine oder andere Kirche anders sah: behäbig im Grünen sitzend wie eine Mutter in reifen Jahren und gluckenhaft gut; oder als spähe sie, gleich einem Eiferer, aus den Fenstern des Gestühles wie aus überwachen Augen mit verkniffenem Lid; oder soldatisdi brav, trutzig und wehrhaft — „Ich beschütze euch, seid nicht bang!“ — oder lächelnd vertraulich wie ein schalkhafter Erzieher, der es mit dem Humor versucht, in kluger Demut selbst geduckt, sich mit dem Engen beinahe einend unter barock-sinnlicher Haube, der Erde, des Irdischen und seiner kleinen Kirmes in wohlausgewogenen Maßen frohentscheidend blieb doch immer zuletzt der abschließende Eindruck: So oder so die Zuflucht des Geistes; das Haiti-Gebot, dem nur Zweckhaften zugerufen und zugewinkt, das da von allen Seiten bürgerlich herandrängte. Bezogen aber auf das gesamte Landschaftsbild, die geweihte Mitte; die heilig ruhende Achse. Inmitten der dem Wandel und Wechsel unterworfenen, blindwüchsigen Natur die wesen- und gesetzhaftc Übernatur Lot und Richtscheit allem triebhaften, ewig ringelbahnfahrendcn Leben rundum. Und ob der Bau nun betonten Abstand nahm, ein erhobener Mahnfinger: „Hier wohnt dein Herr!“ oder mild den Sünder, den verlorenen und verstrickten Sohn einlud mit versöhnlicher Willkommgebärde: „Hier wohnt dein Vater!“ — das machte für mein Gefühl immer nur einen Gradunterschied aus.

Wandere einmal mit mir, durch meine Heimat, und schau!

Zugleich herrschend und dienend bezogen auf seinen gesamten Raum, als dessen immerwährende Mitte liegt Klosterneuburg da mit Kirche, Alt- und Neustift. Du kannst, Wanderer, den mächtigen, prächdgen Bau nie übersehen. Gehst du des Kammweg über das Kahlengebirge gegen den Hermannskogel zu, jede Lichtung, jede Waldblöße herauf grüßt er dich mahnend unter dir mit den patinierten Kuppeln, die dir den babenbergischen Herzogshut und die römisch-deutsche Kaiserkrone entgegenhalten. Wanderst du durch die stillen Auwälder des anderen, des Korneuburger Ufers, immer hast du den Bau, als läge er mit dir in der gleichen Ebene, neben dir, hast du ihn tröstlich zur Seite. Geh in Klosterneuburg selbst durch die Gäßchen der Unteren Stadt, und wie eine trutzige Burg ragt das Altstift auf seinen Felsen über dir auf. Fahre mit dem Zug, reise mit dem Dampfer vorbei, und die freundlich-offene, gelassenheitere barocke Hauptfront des Gott und die Welt liebenden Neustiftes mit J*r Flucht der berühmten Kaiserzimmer blinkt dir mit Hunderten von Fensteraugen zu und nach und segnet dich mit dem Dufte seiner Gärten. Immer ist eine andere Sdiau, ein wundersam anderes Bild.

Wir wandern durch die Wadiau, klimrncn auf halber Höhe an Dürnstein vorbei. Gebannt durch den treuen Wäditefc, Turm und Luginsland und das unter ihm kleinstädtischängstlich zusammengekuschelte Gewinkel kriegsfürchtiger Bürgerhäuser, madien wir halt und schauen. Da beruhigt sich nun vor uns das vielgebrochene Gemäuer unten an diesem hilfreich, überzeugend schlicht, klar-und geradlinig sich erhebenden, einfachen, sicheren Gequader des Turmes, an dem tapferen Grün, das verheißungsvoll aus den Gärtchen bricht, und weil dort über der Dädierangst launig jener Schorn sich auftut wie eine getrost sich erschließende Blume. Wir wissen den Strom im Hintergrund, sehen das windbewegte Gewölke, und er und es und das Haus des Gottes bringen mit einemmal befreiend die Weite der Welt und Überwelt in all die geduckte, vordergründige Enge.

Wir wandern hinein ins Waldvicrtel, halten auf der sanftwelligen Hochfläche von Münichreith, wo vor tausend Jahren die Mönche rodeten. Weithin reidit der Blick. Die Hügel begrenzen, behindern ihn kaum. Aus den wohlbestellten Felderbreiten wandern wir gegen das Dorf. Hier nimmt sich alles Zeit und alles den Raum, den es braucht. Das Wirtshaus und die mächtigen Höfe und Stadeln der Bauern. Und richtig, die Kirche auch, uralt und breit, dem Gefühle nach mehr breit als hoch. Sie steht mitteninne, wohl, aber sie nimmt sich nicht allzuviel heraus. Sie braucht das nicht. Sie hat das nicht nötig. Hier wohnt gesicherter, unangefochtener Glaube. Hier hat alles seine rechtwinkelige Richtigkeit und genau so viel Sdiräge, als nun einmal nötig ist, um ein in sich Ruhendes gegen Wetterunbill von oben weise zu bedachen. Das übrige wird der Herrgott schaffen, die eigene Faust und des geerbten Bodens Kraft.

Ein andermal wandern wir ins Steirische hinab und durch die Gäßchen von Eisenerz, kreuz und quer. Aber immer über uns, unausweidilich, wir mögen uns dahin, dorthin wenden, wir nichtigen Menschen, immer über uns, wie eine Burg des Schicksals, ragt beherrschend die Kirche auf, Mittlerin zwischen unten und oben, zwingender Zwischenbereich. Kein Aufblick möglich ohne einen Blick auf sie, keiner denkbar über sie hinweg. Die Häuschen der Menschen jedoch haben sich (gedrückt, fast zerdrückt) ergeben dieser Übermacht.

Sattelwärts geht es gegen St. Marein. Da liegt es in der Sonne, lachend, ein Spielzeug, das liebe Nest! Und der onkelhafte Turm sdiaut mit kugelrunden Augen gütig über vieles hinweg, lacht immer wieder aus vielen Lucken mit; denn hier ist oft Kirtag.

Im Murtal endlich noch stoßen wir auf die Bergkirche St. Benedikten. Halt, Wanderer, halt! ruft sie uns zu. Nicht so viel Eile! Tritt ein wenig seitab von dem gewohnten Trott und deiner Straße! Komm die paar Stufen herauf! So. Verraste ein bißchen! Kehr zu! Geh ein in mich, und in dich! Auf meinem Anger rundum, mauerumhegt, ruhen unter Buchs und Blumen manche für immer aus. Du nimm dir Zeit wenigstens für eine kühle Vaterunser-Weile! Dann geh, in Gottes Namen, gestärkt weiter bergan! Gewitterheiß ist die Luft der Welt! Steil ist der Weg! Ach, wie fern ist die Höhe!

Wie fern ist die Höhe! Aber sei nicht bang! Da und dort ist auch draußen in offener Landschaft vorgesorgt für ein paar Augenblicke tröstlidicn Innehaltens, weiterhin und unterwegs. Es wird keine Kirche sein, wohl. Aber abseits von den Dörfern, mitten zwischen Feldern, an einem Rain, an einer Weggabel, an der Straße, auf der Brücke, im Wald wird eine Kapelle dich ermuntern mit einem frommen Spruch, ein steinerner Nepomuk, die Kleiderfalten barock im Winde gebauscht, ein Bildstock, eine Widmungssäuk werden dich zu kurzer Andacht laden, einsamer Wanderer, dann besinn's! Wohl, dies hier ist ein Tal der Tränen, du siehst ja, hier gab es Hungersnot und Krieg und Pestilenz, und dort ist ein Holzfuhrmann verunglückt und da ein Hirte, wo jetzt das schmiedeeiserne Kreuz steht. Allein, er und du und alles gehört zu allem; denn manchmal legt eine Menschenhand Blumen davor, und zuweilen glimmt hier ein Lichtlein. Wie immer es kommt, um dich und über dir ist Heimat, vertrau!

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