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Man muß die Herzen bewegen

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Diefurche: Was hat Sie an der Grünbewegung ursprünglichfasziniert? univ. Prof. Bernd Lötsch: Zunächst nichts. Es gab sie nämlich 1968-1969 noch nicht. Als junger Universitätsassistent wurde mir damals bewußt, daß die Organismen atemberaubende Fähigkeiten haben, geringste Spuren bestimmter Substanzen aus der Umwelt anzureichern. Mein Einstieg in Umweltfragen war die Entbleiungs-Diskus-sion. Sie hat in mir das ganze Urver-trauen in die Vernunft der großen Apparate beseitigt. 1971 war für mich ein Schlüsseljahr. Da hatmich mein Freund Antal Festetics aufgefordert, an einer Veranstaltung über die geplante Neusiedlerseebrücke (in den Seewinkel, von dem viele hofften er würde einen Nationalpark beherbergen) teilzunehmen.

Diefurche: Offensichtlich hatten Sie Er-folglötsch: Ja, wir waren noch unbeschriebene Blätter. Die Gegner hatten sich noch nicht auf uns eingeschossen. 1972 kam es zum Kampf um die Donauauen bei Wien, in der Lobau. Die Ölindustrie wollte dort expandieren und die Stadtverwaltung eine Donauuferautobahn bauen. Und dabei handelt es sich um ein Brunnenschutzgebiet. Was so ein Stück Wildnis in so großer Nähe der Großstadt bedeutet, war für mich eine Herausforderung, über das Thema Stadt nachzudenken.

Mir wurde klar, daß wir große Gruppen der Bevölkerung (Bentner, Kinder) zum Strandgut einer Wachstums- und Benzingesellschaft gemacht hatten.

Diefurche: War das der Anfang der Grün-Bewegung?

Lötsch: Ich habe sie zunächst nicht als Bewegung, sondern als Bewegtheit empfunden. Die einzelnen Köpfe, die sich auf diesem Gebiet artikulierten, haben sich rasch gekannt Als ich ein winziges Institut („Institut für Umweltwissenschaften und Naturschutz") angeboten bekam, habe ich Peter Weihs von der Universität für Bodenkultur abgeworben. Von diesem Institut ging dann der Widerstand gegen die Atomenergie aus. Diese Umweltbewegung war eigentlich nichts Organisiertes. Das war eine Zeitströmung.

Diefurche: War der Kampf gegen Großprojekt also das Hauptanliegen?

Lötsch: Die Umweltbewegung hatte anfangs zwei Stränge. Der eine war der Kämpf um ererbte Naturwerte und Kulturlandschaften (etwa die Wachau, als es um ein Kraftwerk dort ging). Mehrfach war es der Kampf um städtisches Grün - man denke an die Auseinandersetzungen um den Sternwartepark. Der zweite war die Suche nach Alternativen: für die Energieproblematik, das Verkehrswesen, die Landwirtschaft Von diesen in den siebziger Jahren formulierten Alternativen, habe ich aus sachlichen Gründen keinerlei Abstriche machen müssen. Nur in der Einschätzung der Gruppenegoismen und der Reakti-onsfähigkeit unserer großen Apparate bin ich abgeklärter.

Diefurche: War man in den siebziger Jahren umweltbewußter als heute?

Lötsch: Viele großen Firmen sind draufgekommen, daß es effizienter ist, der prominente streiter gegen Naturzerstörung leitet heute das Naturhistorische Museum. Wie sieht er heute den Stellenwert der Umweltbewegung? eine gute Werbe-Agentur zu teauftra-gen, von der Umwelt zu reden, als tiefgreifende Umstellungen durchzuführen. Es gibt aber auch den Trend, daß große Firmen sich einer internen ÖkoBilanz stellen. Sie engagieren kritische Wissenschaftler, um Alternativen für Produkte, die wirklich vom Regal verschwinden sollen, zu entwickeln. Insgesamt hat die Umweltauseinandersetzung enorm an Niveau gewonnen. Dennoch erschrickt man oft, wenn man sich die Statistiken anschaut.

Diefurche: Entstand nicht eine schizophrene Situation: Wir wissen, was geändert werden müßte, fahren aber munter weiter in Sackgassen?

Lötsch: Der Mensch ist ein Verdrängungskünstler. Wer seinen Tod verdrängen kann, kann vieles verdrängen: einen beginnenden Klimawandel, eine drohende Ausdünnung der Ozonschicht ... Diese Eigenschaft könnte uns als Spezies das Leben kosten. Eine zweite Erkenntnis: Die rationale Einsicht bewegt nicht wirklich. Nur wer die Herzen bewegt, bewegt die Welt. Man muß ganz andere Wege finden, die Information hinüberzubringen. Die Allgegenwart der audio-visuellen Medien fährt dazu, daß Bildschirm-Autisten gezüchtet werden: zappelige, bläßliche Kinder, die den ganzen Tag zwischen Computer- und Fernsehschirm leben, abgeschnitten von der Natur. Das ist einer der Gründe, warum ich mich auf ein Museum (in das ich jetzt lebende Tiere und Pflanzen holen werde) eingelassen habe. Die wahre Realität zu betonen, ist unsere wichtigste Strategie.

Diefurche: Sie waren ein Systemkritiker und sitzen jetzt in einer arrivierten Position. Virtragt sich das?

Lötsch: Die Berufung in diese begehrte Position war sicher als milde Form der Internierung gedacht. Man wußte genau, daß man mich hinsichtlich meiner Ansichten nicht brechen kann, vielleicht aber würde es durch Überforderung gelingen. Wer diesen Job hier übernimmt, ist so eingedeckt mit Arbeit, daß er nicht mehr zum „Uff sagen kommt. Diese Bechnung geht bis zu einem gewissen Grad auf. Ich weiß nicht, wie lange ich das durchstehe.

Diefurche: Können Sie hier die Herzen der Menschen ansprechen?

Lötsch: Ich wollte immer ein Beweger sein, weil ich der Meinung bin, wir haben nicht mehr viel Zeit. Konrad Lorenz hat einmal gesagt, ein guter Biologie-Lehrer könne heute mehr Seelen retten, als ein Theologe... Und das versuche ich hier. Schon heute erreichen wir eine Viertel Million Menschen.

Diefurche: Wo sollte ein Wandel ansetzen?

Lötsch: Letzten Endes werden nur Vorboten von Katastrophen noch etwas bewegen. Leider braucht die Menschheit bis zu einem gewissen Grad die Katastrophe. Wir müssen heute aber auf Katastrophen reagieren, die sich erst in Köpfen und Computerkurven abspielen. Die Bereitschaft dazu zu wecken, ist die größte Erziehungsaufgabe, der sich die Menschheit je gegenübersah.

Diefurche: Können Sie das in Ihrer Arbeit?

Lötsch: Die positive Schiene in der ökologischen Kurskorrektur - neben den Gift- und Galle-Berichten - ist meiner Ansicht nach der Weg der Zukunft. Wir bauen beispielsweise das Nationalpark-Haus der Jugend am Rande der Petro-neller Au. Es ist ein Musterhaus für Bauökologie, für Energiesparen, Wasser-Effizienz mit Kläranlage, Nutzung der Sonnenenergie, Beteiligung an einer Windenergie-Anlage, Einsatz der besten Dämmtechnik. Jedes Produkt wird auf seine Biographie hin befragt Woher es kommt... So schirmen wir das Haus auf der Nordseite mit Kork ab, weil wir draufgekommen sind, daß Kork ein Material ist, das die Schönheit und Artenvielfalt großer Kulturlandschaften in Portugal und Spanien zu erhalten hilft

Diefurche: Wie stehen Sie eigentlich zu den Grün-Parteien?

Lötsch: Sie sind nach den Hainburg-Ereignissen aus der Taufe gehoben worden. Ich habe zu ihnen eine positive Gnmdstimmung. Allerdings hatte ich auch immer Bedenken gegen eine parlamentarische Vertretung der grünen Ideen. Meiner Überzeugung nach sollte das grüne Konzept nicht einer Spezial-partei zugeordnet werden. In der Zeit der Auseinandersetzungen um Zwen-tendorf und Hainburg war der umweltbewegte Österreicher als politischer Faktor schwer einschätzbar. Alle Parteien mußte dieses Wählerpotential in ihrer Programmatik berücksichtigen. Dann kamen die Grünen und hatten anfangs einen so armseligen Stimmerfolg, daß sie eine anschwellende Bewegung eigentlich „verzwergt" haben. Das hat uns damals gewurmt.

Diefurche: Was ist Ihre Botschaft für jene, die ihr Herz öffnen?

Lötsch: De Schöpfungsethik ist eine der großen Errungerischaften der letzten Jahrzehnte: De Wiederbetonung der FJirfurcht Die Religionen regelten bisher das Verhältnis zwischen Mensch und Gott und das zwischen den Menschen. In diesem Bereich ist alles Wesentliche gesagt Fragwürdig ist die Verwirklichung. Das Respektieren selbst des unscheinbarsten Mitgeschöpfes als erhaltenswür-digen Wert, das ist ein völliges Novum des 20. Jahrhunderts.

Das Gespräch

führte Christof Gaspari

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