Lisa Spalt: "Man wird nicht alleine"

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Sie arbeitet mit Musikern und bildenden Künstlern: Schriftstellerin Lisa Spalt im Gespräch über Sprache, Selbstinszenierungen, die Verbindung von Gefühl und Ökonomie und die Erfahrung des Widerspruchs.

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Sie arbeitet mit Musikern und bildenden Künstlern: Schriftstellerin Lisa Spalt im Gespräch über Sprache, Selbstinszenierungen, die Verbindung von Gefühl und Ökonomie und die Erfahrung des Widerspruchs.

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Lisa Spalt, geboren 1970 in Hohenems, veröffentlicht seit 1998 Prosa und Hörspiele, darunter die Bücher "Grimms", "Blüten", "Dings", "Ameisendelirium", "Die zwei Henriettas". Im Rahmen der Gesprächsreihe WERK. GÄNGE in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur sprach sie über Sprache und Themen.

DIE FURCHE: Sie haben einmal gesagt, dass die Sprache immer nur entweder akustisch oder optisch da ist und sich die Verbindungen zu Musik und bildender Kunst daher von selbst ergeben. Welche Schwierigkeiten können aber auftreten, wenn man wie Sie als Sprachkünstlerin mit Musikern zusammenarbeitet?
Lisa Spalt: Musik ist etwas, was in der Sprache manchmal extrem stören kann. Ich habe das bemerkt, als ich mit Clemens Gadenstätter das erste Stück geschrieben habe. Das hat Streitereien verursacht und wir haben festgestellt, dass wir Schwierigkeiten haben, die Zeitlichkeit festzulegen. Wenn es ein Metrum gibt, dann habe ich das Problem, dass der Puls die Sprache stört. Gleichzeitig gibt es das Problem, dass ich in dem Moment, in dem ich anfange, Sprache zu singen, nichts mehr verstehe. Wir haben dann versucht, verschiedene Beziehungen auszuloten zwischen Musik und Sprache. Zum Beispiel in manchen Partien der Musik das Dirigat zu lassen, und in manchen der Sprache. Oder wir haben versucht, Störungen bewusst zu lassen und damit etwas zu machen. Aber man muss jedes Mal das Verhältnis neu bestimmen. Wir schreiben jetzt gerade an einem Stück über Nero, über aus den Fugen geratene Politiker. Da geht es um Repräsentation. Nero wollte sich ständig darstellen, er wollte ja ein Künstler sein. Da habe ich nun fast nur Sprache gewählt, die von anderen stammt und die in verschiedenen Versmaßen geschrieben ist. Clemens Gadenstätter muss jetzt damit leben, dass in jedem Vers das Metrum wechselt und er nun irgendwie darauf reagieren muss.

DIE FURCHE: Wie sehr hat diese Zusammenarbeit mit einem Musiker zurückgewirkt auf das eigene Schreiben für ein Buch?
Spalt:
Wenn Sprache rhythmisch nicht funktioniert, dann stört sie mich prinzipiell beim Lesen. Das kommt vielleicht auch daher, dass ich lange in einem Orchester gespielt habe, und die klangliche Seite der Sprache für mich sehr präsent ist und ich auch das Gefühl habe, dass man Sprache kneten kann und dann bestimmte Formen entstehen. Das lässt sich leider schwer erklären, wenn jemand selber das nicht spürt, dass Sprache verschiedene Oberflächen und auch eine gewisse Musikalität hat, die viel Bedeutung tragen kann. Je nachdem, in welchem Rhythmus eine Sprache daherkommt, bedeutet sie etwas völlig anderes. Ich kann den Rhythmus zum Beispiel bewusst abdrehen, so dass er völlig in den Hintergrund tritt, und ihn dann wieder aufdrehen -dann bedeutet das aber etwas. Es ist, wie wenn ich plötzlich einen Werbejingle einschalte.

DIE FURCHE: Jene, die nur einen Plot suchen, enttäuschen Sie. Was ist "Erzählen" für Sie?
Spalt:
Zusammenhänge schaffen. Netze, in denen Dinge Sinn und Platz bekommen. Ich denke ja immer, dass ich erzähle, nur sehen das andere oft nicht so. Was ich nicht schaffe, ist, eine lange zusammenhängende Erzählung zu kreieren. Für mich hat die Realität damit nichts zu tun. Es sind immer so Inseln, die sich ineinander verflechten. Wenn ich ein Buch erschöpfen kann, indem ich es nacherzähle, wenn das alles ist, was in dem Buch interessant ist, dann wäre mir das zu wenig. Auf der anderen Seite denke ich, dass Erzählen ganz wichtig und etwas ist, das sich die Politik unter den Nagel gerissen hat, wo es eigentlich nicht hingehört oder nicht auf die Weise, in der es betrieben wird. Wir müssen uns in jeder Situation, um handeln zu können, eine Geschichte spinnen. Wenn ich die Situation nicht als Geschichte deute, kann ich damit nichts anfangen. Daher gibt es ein natürliches Bedürfnis nach Geschichten, so wie es ein Bedürfnis nach Essen gibt, abseits vom bloßen Überleben. Meine derzeitige etwas krude Theorie ist, wenn das nicht da ist, dann gelangen wir genau dort hin, wo wir jetzt sind, zu Verschwörungstheorien und Realitätskonstruktionen. Das geht so weit, dass Politikerinnen Menschen erfinden, so wie Sarah Huckabee Sanders diesen Jungen erfunden hat, der einen Brief an Trump geschrieben haben soll, weil er unbedingt dessen Rasen mähen wollte. Da werden Figuren erfunden, die eine bestimmte Rolle in einer Geschichte spielen. Und es wird verwischt, was ausgemachte Realität ist, die ich demokratisch aushandeln muss, und was Erfindung, die ich irgendwo hinstelle.

DIE FURCHE: Ein Beispiel für eine Erzählung, die man auf unterschiedliche Weise einsetzen und nützen kann, ist das Märchen. Sie haben sich 2007 in "Grimms" dieses Genre vorgenommen.
Spalt: Wenn ich gut aufpasse und das Märchen richtig verstehe, dann weiß ich, was man zu tun hat, was richtig ist. Das habe ich als Folie herausgenommen. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass die Werbung genauso funktioniert. Wenn ich das und das Produkt anwende, wird aus mir ein glücklicher Mensch und dann kommt das Happy End. Auch bei der Werbung geht es nie über den Hochzeitstag hinaus, die Muster sind ähnlich. Und wenn ich mir die richtige Theorie aneigne, komme ich ins Nirwana der Wissenschaften. Es gibt so viele Angebote, was man alles richtig machen kann und welche Gebote man lernen muss, um zum Glück zu gelangen. Seit meiner Jugend bin ich in verschiedenen Gesellschaftsschichten unterwegs, jede hat ihre eigenen Regeln und Wege, wie man zum Glück kommt. Bei dem einen muss man das anziehen, bei dem anderen das. Da muss man das essen, bei den anderen darf man das nicht essen. Diese Regelwerke, die versprechen, dass man, wenn man das alles einhält, glücklich wird, haben mich immer sehr interessiert.

DIE FURCHE: Ihre Art damit umzugehen, wie würden Sie die bezeichnen?
Spalt:
Bösartig. Alle Wege durcheinander mischen. Und vor allem der Sprache nachgehen, die damit zu tun hat.

DIE FURCHE: Eine thematische Spur, die ich in Ihren Werken finde, ist die Verknüpfung von Ökonomie und Gefühl.
Spalt:
Ja, zum einen dieser Utilitarismus, der mit den Gefühlen verbunden ist, oder auch das Gefühl, dass man alles kaufen kann. Das Thema zieht sich durch meine Werke, auch diese Notwendigkeit sich ständig anzupassen und zu versuchen, das Bild nach außen aufrecht zu erhalten, um sich halbwegs verkaufen zu können. Damit eng verknüpft ist die Angst unterzugehen und einen Fehler zu machen, sich nicht optimal darzustellen. In meinem neuen Text geht es auch darum, mit der Peinlichkeit nach außen zu gehen, um diese Selfiegesellschaft zu stören.

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