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Juri Andruchowytsch entwirft in seinem Roman "Moscoviada" ein groteskes Panoptikum vom Untergang der Sowjetunion.

Mit seinem Roman Zwölf Ringe und dem Essayband Das letzte Territorium wurde Juri Andruchowytsch fast zur alleinigen Verkörperung ukrainischer Literatur im deutschen Sprachraum. Der Roman Moscoviada hat ihn vor fast eineinhalb Jahrzehnten zum literarischen Jungstar seiner Heimat gemacht. Er verarbeitet darin offenkundig eigene Erlebnisse: seine Studienjahre 1989-91 am Moskauer Maxim-Gorki-Institut.

Das Alter ego des Autors im Roman trägt den klingenden Namen Otto von F. - eine Anspielung an galizischen Adel - und erträumt sich den ukrainischen König Olelko II. Ihn, vor allem aber sich selbst spricht er an, wenn er jenen absurden Maitag des Jahres 1991 Revue passieren lässt, an dem er ein reales und imaginäres Moskau durchstreift. Den Unterschied zwischen beiden erkennt vielleicht nur ein gevivter Sowjetologe, denn hier, "mitten in der schrecklichen Hauptstadt, im von Fäulnis befallenen Herzen des nur noch halb existierenden Imperiums", inszeniert sich ein letztes Mal der real existierende Surrealismus.

Moskau: Alte Gespenster …

Otto von F. hat drei wichtige Pläne für diesen Tag: Seinen Freund Kyrylo treffen, um eine progressive ukrainische Zeitschrift herauszugeben, im Geschäft Kinderwelt etwas für die Kinder seiner Freunde kaufen und mit einer seiner Frauen Liebe zu machen. Nichts gelingt wirklich, denn da ist einmal die Bierbar, wo zwar sogar schon die Gläser knapp sind, aber besaufen kann man sich noch. Mit der Freundin kommt es mehr zu Gewalt als zu Sex, aber das ist nicht so tragisch: Regen Geschlechtsverkehr hatte der Dichter schon unter der Morgendusche seines Schriftsteller-Wohnheims. Die Kinderwelt schließlich wird zur Falle: Als er einen Taschendieb verfolgt, gerät er in das unterirdische Moskau mit seinen geheimen Metrolinien und mit Agenten, die überdimensionale Ratten züchten. Dort trifft er auf einen Gespenster-Kongress: Groteske Figuren von Peter dem Großen über Lenin bis zu einem der gegen Gorbatschow putschenden Generäle wollen Russland erneuern. Doch als Otto von F. in seiner Clown-Maske einen von ihnen erschießt, kommen nur Sägespäne aus diesen Attrappen.

Banausenhaft eigentlich, dieses nackte Handlungsgerüst nachzuerzählen, wo doch der Reiz des Romans in den grotesken Einzelszenen liegt, die in rasendem Tempo vorbeiflirren, in den ironischen Anspielungen an Politik und Geschichte (von denen etliche zum Glück im Anhang erklärt werden) wie in der Mischung von Slapstick-Szenen mit hochliterarischen Hintergrundfolien: Dante spukt herum, Goethe schaut über die Schulter, und vor allem Bulgakow ist unleugbar präsent. (Andruchowytsch, das darf man nicht vergessen, hat von Hamlet über Rilke und Pasternak bis zu amerikanischen Beat-Dichtern viel ins Ukrainische übersetzt.) Und noch in der Übersetzung ist spürbar, dass der Autor schon in sehr jungen Jahren über die Sprache für die ebenso finstere wie burleske Suada verfügte, die den Moskauer Sumpf, Aggression und Selbstzerstörung Gestank und Gemeinheit in überdimensionaler Verfremdung abbildet.

… leben noch heute

Kein Zweifel, man merkt dem Buch seine Entstehungszeit an. Dass er heute noch lesenswert ist, liegt daran, dass Otto von F. kein sympathischer Perestrojika-Held ist, sondern ein desorientierter Jungdichter voller Ressentiments gegen andere sowjetische Nationalitäten, den mit Moskau eine höchst ambivalente Hassliebe verbindet. Am Ende erreicht er gerade noch den Zug in die Ukraine und zählt seine Alkoholschichten: Es sind sieben.

Wer heute nicht begreift, wie sich jemand vom KGB anwerben lassen konnte oder wer etwas von der mentalen Klaviatur verstehen will, auf der der Ex-KGB-Chef Putin seine autoritären Spiele spielt, findet in Moscoviada reiches Anschauungsmaterial. Aber - das sei gegen Andruchowytschs eigenes Nachwort zur deutschen Ausgabe gesagt: Er ist weit mehr als die Illustration politischer Prozesse.

MOSCOVIADA

Roman von Juri Andruchowytsch.

Aus dem Ukrainischen von Sabine Stöhr. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006, 223 Seiten, geb., € 23,50

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