Mann auf dem Weg nach oben

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Marlene Streeruwitz folgt in ihrem neuen Roman einem egomanen Aufsteiger und seinen Gedanken und Gedankenhopsern.

Klappentexte können reißerisch sein, an die Fakten sollten sie sich aber doch halten. "Der Held", so ist zu Marlene Streeruwitz' neuem Roman "Kreuzungen" zu lesen, "macht sich auf, zu den Allerreichsten der Welt zu gehören. Dazu beendet er sein bisheriges Leben, aus dem sein Reichtum hervorgegangen ist. Er verlässt Wien und seine Frau, die Kinder und sogar seine Therapeutin. Eine Schönheitsoperation eröffnet sein neues Leben." Das könnte einen interessanten Roman ergeben, aber Marlene Streeruwitz hat einen anderen geschrieben.

Hier ist es Ehefrau Lilli, die mit dem Anwalt kommt und dem unerquicklichen Eheleben ein Ende setzt. Das Vermögen hat ihr Gatte mit Börsenspekulationen gewonnen, und damit macht er nach der Trennung weiter - auch wenn die Gier nach immer mehr Geld ein zentrales Bindeglied zu Lilli war, neben den beiden Töchtern, zumindest so lange sie klein und putzig waren. Die Schönheitsoperation meint nicht ein Lifting à la Berlusconi, vielmehr geht es um simple Zahnimplantate. Den Zeitpunkt freilich hat er nicht zufällig gewählt, denn beschäftigt mit körperlichem Schmerz muss er sich "nicht sagen, dass er ein burn out hatte".

Spiel um Millionen

Richtig ist, dass dieser Protagonist von der Jagd nach den Millionen umgetrieben wird, über seine Motive ist er mit sich selbst nicht ganz im Reinen. Er sieht es als abstraktes Spiel, als Sucht; im Ranking der oberen Zehntausend mitzuspielen, bedeutet ihm nichts, gleich darauf will er dann doch endgültig in den erlesenen Kreis der Privatjet-Sphäre vorstoßen. Der zentrale Stolperstein ist seine Herkunft aus dem sozialen Abseits. Auch wenn Lilli aus seiner Sicht keine anderen Fähigkeiten in die Ehe einbrachte, als "Strapse an lange Stiefel" zu nähen, war sie mit ihrer Herkunft aus dem verarmten Kleinadel doch eine gute Türöffnerin in der Wiener Gesellschaft. Nachdem er sich - in christlicher Tradition 40 Tage - in einen gemieteten Palazzo in Venedig zurückgezogen hat, sucht er für den Neustart auf dem Weg nach oben eine ehewillige britische Adelsdame. Die Ehevertragsverhandlungen mit der Kandidatin und der polnischen Heiratsvermittlerin, die sich beide, wenig überraschend, als Schwindlerinnen entpuppen, lesen sich wie eine Travestie auf die Tradition des Brautkaufs, wo um die Zahl der Kühe oder Kamele gefeilscht wird.

Eine kohärente Figur ergibt der Protagonist nicht; man begegnet ihm an einer Wegkreuzung seines Lebens, und in ihm selbst kreuzen sich die widersprüchlichsten Charaktermomente und Haltungen. Streeruwitz präsentiert die Gedanken und Gedankenhopser ihres Helden, und dabei schimmert manches lose Ende seiner eher grob gewobenen Lebenslügen durch. Doch während bei Arthur Schnitzlers "Leutnant Gustl" die im Gedankenfluss unfreiwillig zutage kommenden Widersprüche eine stimmige Figur als Repräsentant eines Milieus ergeben, durchbricht Streeruwitz die Grenzen der erwartbaren Denkmuster ihres Helden immer wieder. Er ist so belesen wie seine Autorin, zugleich dummdreist und Frauen verachtend, aber dazwischen auch überaus sensibel und auf der Höhe der feministischen Diskurse.

Unter Kontrollzwang

Das durchgängigste Charaktermerkmal ist sein Kontrollzwang, er will überall und immer alles fest in seinen Selfmade-man-Händen haben. Selbst nach der Scheidung will er Lilli in dem für sie eingerichteten Loft wohl verwahrt wissen, weshalb ihn ihr - unterstelltes - Verhältnis mit dem Scheidungsanwalt maßlos ergrimmt. Deshalb fasziniert ihn auch der Kotkünstler Gianni, den er in Venedig beherbergt und für seine auf Barocktabletts abgelegten ordentlich "gestreiften Kotwürste" fürstlich entlohnt. Das könnte man als Satire auf den Kunstbetrieb lesen und darüber lachen, doch en passant folgt eine politische Dimension: Gianni hat sich seine besondere Körperfähigkeit als politischer Häftling in einem kommunistischen Regime sozusagen als Strategie der Selbstbehauptung angeeignet.

Erotische Fantasien

Kontrollzwang und die Unfähigkeit, sich fallen zu lassen - selbst entspannt liegen kann dieser Erfolgsmann nur halb aufgerichtet - sind wohl auch die plausibelste Erklärung der eingangs explizierten Drei-Spiegel-Theorie. Wohlgeordnet verwaltet der Börsenguru darin seine erotischen Fantasien: Spiegel eins zeigt Ehefrau Lilli, der er seinen "Kleinen Mann" seit langem verweigert, was diese zu hysterischen Ausbrüchen treibt, die er sich zur "Janitscharenmusik" für seinen Kampf um die nächste Million umdeutet; Spiegel zwei enthält die asiatischen Prostituierten, die extern nach seinen Vorgaben an ihm manipulativ tätig zu werden haben, und Spiegel drei beherbergt seine - anscheinend nicht ausgelebten - Kinderschänderphantasien, für die seine Töchter als Vorlage dienen. Das hindert ihn nicht daran, oft beachtlich sensibel weibliches Verhalten zu interpretieren, Männer zu verachten, die nur "an ihrem Penis Maß nehmen", oder gar seinen Mund nach der Zahnoperation als "schmerztobende Vulva" zu erleben und als "gekaufte Menstruation".

Der Gedankenfluss des Protagonisten bedient sich des unverwechselbaren Zungenschlags von Marlene Streeruwitz. Die sprachlichen Manierismen, die den viel gerühmten "Stakkato"-Stil dieser Autorin ausmachen, kreuzen sich im neuen Roman gewissermaßen erstmals mit einem männlichen Protagonisten. Waren die sprachlichen Kurzatmigkeiten und Verstümmelungen bei den weiblichen Figuren als Ausdruck ihres Leidens an der Welt samt schwankendem Realitätsbezug lesbar, lassen dieselben Mechanismen bei diesem egomanen Aufsteiger ratloser zurück. Nachgestellte Verben ("Das Licht bis zur Mitte des lang gestreckten Raums reichte."), verkürzte Infinitivkonstruktionen ("Man musste direkt unter dem Luster stehen, den Glanz des Lichts voll entfalten zu lassen.") oder grammatische Schüttelaktionen ("Er hatte sich ein Heim gegeben und die Abenteuer erst von da beginnen würden können.") in erzählerisch eher undramatischen Zusammenhängen und eingebettet in einen konventionellen, wenn auch betont spartanischen Sprachfluss, wollen sich in ihrer Intention nicht immer erschließen.

KREUZUNGEN

Roman von Marlene Streeruwitz

S. Fischer Verlag, Frankfurt 2008

251 Seiten, geb., € 19,50

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