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Maria gebar ihren ersten Sohn

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Wenn ich &n die zahllosen Reden und Auf sätze denke, die jährlich zum Christfest gesprochen und gedruckt werden, so möchte ich am liebsten h nur ganz einfach das Weih- nachtsevangeWm vorlesen, denn im Grunde kommt es doch nur auf dieses an - ja, es kommt euent’ich nur au den Satz an: „ und Maria iebar ihren ersten Sohn und wickelte Ihn in Wedeln und legte Ihn in eine Krippe, denn es var für sie kein Platz in der Herberge ..

Die Krippe mit dem Kind und seiner Mutter, das ist das Urevangelium: „Und das Wort ward Fleisch“ — Gott stieg zur Menschheit nieder. Alles andere, der Gesang der Engel, die Anbetung der Hirten und die Heiligen Drei Könige aus dem Morgenland, sie bedeuten erst das zweite Kapitel der Weihnachtsgeschichte, sie stellen die ersten Antworten der sichtbaren und der unsichtbaren Welt auf das Mysterium der Gottesgeburt dar. Die singenden Engel und die anbetenden Hirten sind die Ahnen unserer Gottesdienste. Von den gabenbringenden Königen aber stammt alles ab, was die Menschheit im Laufe der Jahrhunderte an Geschenken, Schmuck und Glanz um das Weihnachtsmysterium gelegt hat, und was dieses manchmal zu erdrücken droht.

Das war während des Krieges anders. Viele Tausende haben damals zum erstenmal in ihrem Leben erschüttert erfahren, daß man die Christnacht tief und wesentlich erleben kann ohne Geschenke und Christbäume, ohne Glockenlaut und Lieder, ohne Lichter und Kuchen, ja zuweilen sogar ohne Gotteshaus und Gottesdienst, ungeborgen unter zerstörten Dächern, auf der Flucht über die wilden, einsamen Landstraßen, vergeblich Obdach heischend wie einst das Heilige Paar zu Bethlehem. Mit anderen Worten: wir fühlten damals die ganze abgründige Verlorenheit der Welt, aus der uns nur das Herabsteigen einer göttlichen Liebe retten konnte, die wir aufnehmen mußten, sollte nicht alles in Grauen, Haß und Entsetzen untergehen. Ja, damals überkam uns alle das Wissen um das Eine was not tut, wollten wir wirklich Weihnachten feiern. Denn das Urevangelium meint ja nicht nur das einmalige Geschehen zu Bethlehem, sondern es geht, um in der Sprache der deutschen Mystiker zu reden, um eine ewige Geburt, um das immer wiederkehrende Herabsteigen des Göttlichen in unsere Menschlichkeit: das Kind, dem zwar äußerlich eine Krippe und ein Stall genügten, es fordert eben immer wieder unser ganzes Herz.

„Ich muß Maria sein und Gott in mir gebären", sagt der Dichter Angelus Silesius.

Es wird gut sein, wenn wir uns heute noch einmal an jenes tiefe Weihnachtserlebnis der Kriegszeit erinnern. Denn wir sind schon wieder im Begriff, es zu vergessen. Zwar äußerlich hat sich unsere betriebsame Zeit des Festes eifrig angenommen. Schon lange vor dem Heiligen Abend brennen in den Schaufenstern die Christbäume, ein hochgetriebener Geschäftsverkehr bemüht sich um die Weihnachtsgeschenke, viele schöne Sachen werden angeboten und verkauft. Man bäckt wieder Kuchen und Plätzchen wie in der Vorkriegszeit. Das alles sieht recht festlich aus, und doch: ist es uns nicht, als gehe über diesen allzulauten, allzugrellen Vorbereitungen der Weihnacht die Weihnacht selbst unter, die Botschaft von dem Kind, in dem Gott Mensch geworden? Ja, diese Botschaft, täuschen wir uns nicht, sie wird weithin überhört oder überhaupt nicht mehr verstanden. Weihnachten ist für viele eine weltliche Veranstaltung geworden, die viel Geld kostet und Mel Geld einbringt, das Kind von Bethlehem aber steht fremd und obdachlos geworden vor den Türen unserer Häuser wie einst Seine Fltern vor der Herberge zu Bethlehem. Und doch hat sich an diesem Kind das Schicksal der Jahrtausende entschieden, Jahrhunderte haben an dieses Kind geglaubt, Unzählige sind dafür gestorben, Millionen haben dafür gelebt! Dieses Kind hat die Kultur des Abendlandes bestimmt und getragen, und wenn wir heute Wagen — trotz aller Zerrissenheit der Völker — an eine Gemeinschaft des Abendlandes zu Hauben, so können wir dies nur, weil es die ‘- Hnachtsgnade gibt, eben dieses Kind von Bethlei .m das uns vereinigt über die Grenzen der Natioi 0 und Konfessionen hinweg, ja sogar über die Trennung von Zweifel und Unglauben hinweg, noch jn der Verneinung schließt der Name dieses Kindes unsere Welt zusammen als der Name, dem kein anderer Name an Bedeutung gleichkommt. Und selbst die vorchristliche Zeit Wirde nicht sein, was sie war, ohne das Kind von Bethlehem. Denn für die Antike war das Ersehenen des Göttlichen im Menschen keine befremdende Vorstellung. In naiver Weise verkündet es die griechische Sage, in heilig-dunklem Stammeln der Prophet und die Sibylle. Woher kommt es, daß heute, fast zweitausend Jahre nach jener adventlichen

Erwartung, die Erfüllung so vielen gleichgültig, ja fragwürdig erscheint? Liegt es an dem modernen Weltbild, in dessen ungeheuren Weiten an Raum und Zeit uns Gott zu entschwinden droht? Allein wir haben es ja bei der Weihnachtsbotschaft gar nicht mit den Weltenräumen zu tun, obwohl der Stern von Bethlehem auch deren Teilnahme bezeugt.

„Falte deine Flügel, o Seele,

Wende dich aus der Ferne,

Steige ab vom Himmel In dein kleines Haus !“ heißt es in einem Weihnachtshymnus. Und weiter:

„Rufe deine Füße heim,

Rufe dein Herz heim,

Rufe sie an,

Deine arme Menschheit !“

Nein, wir haben es bei der Weihnachtsbotschaft nicht mit den Weltenräumen und darum auch nicht mit den Zweifeln der • modernen Wissenschaft zu tun — es geht um die Offenbarung Gottes im Menschen.

Heute können wir mit staunenerweckender Geschwindigkeit von einem Land zum ändern gelangen, von der alten in die neue Welt reisen, bald werden wir vielleicht den Mond besuchen. Aber je selbstverständlicher und sicherer sich unsere Flugzeuge in die Lüfte des Himmels erheben, je mehr entschwindet uns das eigentlich Himmlische. Denn was uns über all den blendenden Erfindungen und technischen Künsten des Menschen abhanden zu kommen droht, ist ja eben der Mensch selbst und seine Menschlichkeit — in ihr aber vollzog sich das Wunder der Christnacht, und in ihr wird es sich immer wieder neu vollziehen. Nicht auf die Präzision, mit der wir unsere Apparate bedienen, nicht auf die geschickte Ordnung, mit der wir unseren Verkehr meistern, sondern auf unser Herz, das sich öffnen, auf unsere Ohren, die lauschen, auf unsere Hände, die einander finden und sich falten können, kurz auf das eigentlich Menschliche des Menschen kommt es in der Christnächt an. Und im tiefsten Grunde wissen wir das auch. Nur wenn wir den Menschen in uns retten, kann Gott sich im Menschen offenbaren. Es ist notwendig, daß wir unsere Apparate einmal wenigstens für unser Inneres abstellen, das brausende Tempo unseres Lebens, auf das wir so stolz sind, einmal unterbrechen und uns in Ernst und Stille die Frage vorlegen: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?"

Wir sagten: das Kind in der Krippe und Seine Mutter stellen das Urevangelium dar — das Kind als Geschenk der göttlichen Liebe, Maria als erste menschliche Liebe, die es aufnahm. Es besteht eine Wechselwirkung zwischen beiden: die menschliche Liebe antwortet nicht nur der göttlichen, sondern sie bezeugt sie auch. Das bedeutet, der mangelnde Glaube unserer Zeit hängt sehr weit mit deren ungeheuren Lieblosigkeit zusammen In demselben Maße, wie sie sich der Menschenliebe öffnet, wird ihr die göttliche Liebe wieder glaubhaft werden. Ja, um die Wahrheit zu sagen, die menschliche Liebe ist der einzige Gottesbeweis, den weite Kreise der heutigen Welt noch anzunehmen geneigt sind. Es ist kein rationaler Beweis, allein die Ratio wird ihn schwerlich entkräften können, denn wir haben unser Sein nicht von uns selbst empfangen. All die stolzen Apparate, die der

Mensch erfunden hat, sie setzen eine Existenz voraus, die wir nicht erfunden haben: das Ur- wunder unseres Seins, das Leben selbst und alles Lebendige, also auch die Liebe, weist uns auf ein metaphysisches Geheimnis, strömt aus dem Unsichtbaren. Nur weil es einen Schöpfer gibt, gibt es den Menschen, nur weil es eine Ewige Liebe gibt, kann es eine Liebe in der Zeit geben. Aber auch: weil es eine Liebe in der Zeit gibt, können wir auf eine Ewige Liebe hoffen. Dem Spruch: ,, Also hat Gott die Welt geliebet “ antwortet, von der ändern Seite kommend, das Dichterwort:

„Es reget sich die Menschenliebe:

Die Liebe Gottes regt sich nun—“

Weihnachten ist das große Fest beider. Und so wird denn über das, was rechte Weihnachtsfeier ist, doch wohl die Liebe entscheiden.

Aber nun erhebt sich die sehr ernste Frage: Ist denn wirklich alles Liebe, was sich da als rechte Weihnachtsfeier geben möchte? Gewiß, unsere Bescherungen haben große Vorbilder; wir sagten schon, daß wir mit ihnen auf der Spur der Heiligen Drei Könige wandeln. Tannengrün und Kerzenglanz,’ Lametta und Honigkuchen, all dies Schenken und Erfreuenwollen, .es kann sich getrost auf jene hohen Drei berufen — auch sie waren verschwenderisch mit ihren Gaben, allein ihre schenkenden Hände bezeugten das Gotteskind, und wie oft bezeugen unsere nur den eigenen Wohlstand und Egoismus — selbst dort, wo wir den Armen unserer engeren Umgebung unser Scherflein dargebracht haben.

Hier steigt noch einmal die Erinnerung an die Kriegsweihnacht auf. Wie viele unserer

Brüder und Schwestern leben immer noch fern ihrer Heimat, gefangen oder verarmt, im Schmerz um die gefallenen oder vermißten Söhne ihres Volkes! Ja, vie viele unserer Mitmenschen sind noch unmittelbar von den Schrecken des modernen Krieges umfangen oder durch die Vorbereitungen zu neuen Kriegen geängstigt? Und hier ist nun mit den Gaben unserer Hände nur wenig geholfen, sondern hier gilt es, noch in einem größeren Sinne dem Vorbild der Drei Könige aus dem Morgenland zu folgen: Mit ihnen, den Fernhergekommenen, erweitert sich das Krippenbild zur Völkerweihnacht. Allein nun stoßen wir auch auf das tragische Versagen der gesamten christlichen Geschichte. Denn gewiß, das Kind der göttlichen Liebe hat die Nationen vereinigt und die Kultur des Abendlandes getragen, aber doch immer nur durch die religiöse Antwort der Einzelnen — sie galt von Mensch zu Mensch — von Volk zu Volk bedeutete sie nur wenig; da herrschte und da herrscht auch heute noch weithin das heidnische Gesetz der Vergeltung, der nackten Macht, des Egoismus und der Bruderlosigkeit. Auch die Nationen als solche müssen das Christuskind, die Liebe Gottes, in sich aufnehmen, wenn es für unsere finstre und erbarmungslose Zeit Weihnacht werden soll. Nur dann kann die gequälte Menschheit wirklich singen:

Das ew’ge Licht geht da hinein,

Gibt der Welt ein’ neuen Schein,

Es leucht’ wohl mitten in der Nacht Und uns zu Lichtes Kindern macht. Kyrieleis!

Aus „Das kleine Weihitachtsbuch .

Die Arche, Zürich.

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