Maria Lazar: „An meinen unbekannten Leser“
Die längst fällige Wiederentdeckung einer großartigen Autorin und erstaunlichen Persönlichkeit: Maria Lazars Werk wird seit einigen Jahren vom Verlag DVB, „Das vergessene Buch“, neu aufgelegt, zuletzt der Roman „Leben verboten!“.
Die längst fällige Wiederentdeckung einer großartigen Autorin und erstaunlichen Persönlichkeit: Maria Lazars Werk wird seit einigen Jahren vom Verlag DVB, „Das vergessene Buch“, neu aufgelegt, zuletzt der Roman „Leben verboten!“.
Als ich nach langer Suche Maria Lazars damals noch vergriffenen Romans „Die Eingeborenen von Maria Blut“ habhaft wurde (in einer DDR-Ausgabe von 1958), legte ich ihn erst wieder aus der Hand, als ich ihn gelesen hatte. Spannend, genau und dramatisch erweckt Lazar darin die kleine fiktive, womöglich in Oberösterreich liegende Kleinstadt „Maria Blut“ zum Leben – geprägt von wirtschaftlicher Unsicherheit, bigottem Wunderglauben, Antisemitismus und aufkeimendem Nationalsozialismus. Die Figuren basieren teils auf realen Persönlichkeiten. Ein Oberlehrer namens Reindl versorgt den labilen jungen Vinzenz mit Hitlers „Mein Kampf“. Reindls Tochter liest es auch, obwohl es „doch mehr für Männer ist“. Denn es ist „doch so poetisch“, besonders „das von der Sehnsucht des Deutschösterreichers“. 1935 schrieb Lazar dieses Buch, da war sie schon längst im Exil in Dänemark.
Der Student Albert C. Eibl stieß im Zuge einer Lehrveranstaltung von Johann Sonnleitner auf die Werke der Autorin. Er war begeistert und handelte: 2014 gründete er, mit Unterstützung Sonnleitners, den Verlag DVB, „Das vergessene Buch“. Die erste Publikation war Maria Lazars Erstlingswerk „Die Vergiftung“, samt einem exzellenten Nachwort Sonnleitners. 2015 veröffentlichten sie „Die Eingeborenen von Maria Blut“, im Pandemiejahr 2020 folgte Lazars Roman „Leben verboten!“. Die Feuilletons überschlugen sich in Superlativen. Umso erstaunlicher, dass diese Autorin so lange unbeachtet blieb.
Früh entdeckte Begabung
Maria Lazar wurde 1895 in Wien als das jüngste von acht Kindern einer gutbürgerlichen, assimilierten jüdischen Familie geboren. Besonders nahe stand sie ihrer um acht Jahre älteren Schwester Auguste, wie sie Autorin, vornehmlich von Kinderbüchern. Maria besuchte die Schwarzwaldschule und gehörte bald zum engen Freundeskreis der Schulleiterin Eugenie Schwarzwald – die in ihr das „begabteste und sonderbarste“ Kind sah, „das sie je getroffen hatte“ – und der dänischen Autorin Karin Michaëlis. Sie war „in vielen Dingen mit vierzehn erwachsener als ich mit vierzig“ schrieb Michaëlis über Lazar, beeindruckt vom schriftstellerischen Talent, das sich in den frühen Gedichten zeigte. Maria lernte von ihr Dänisch.
1920 wird Lazars erster Roman veröffentlicht, „Die Vergiftung“, eine dicht gewobene Innenansicht einer jungen Frau. Robert Musil äußerte sich darüber nicht ohne Anerkennung, Thomas Mann (der das Buch von Karin Michaëlis erhalten hatte) las es „nicht weiter“, „penetranter Weibsgeruch“ schrieb er in sein Tagebuch. Lazar schrieb für Zeitungen und verfasste Theaterstücke. 1923 heiratete sie Friedl Strindberg, den Sohn Frank Wedekinds und Frida Uhls. Dadurch erhielt sie die schwedische Staatsbürgerschaft. 1924 wurde ihre Tochter Judith geboren, die Ehe hielt nur drei Jahre. Die Zeitungshonorare reichten finanziell nicht aus, ein wichtiges Standbein wurden Übersetzungen. Sie begann ihre Arbeiten unter dem Pseudonym Esther Grenen (Grenen ist ein dänisches Dorf) vorzulegen – nicht zuletzt, so Sonnleitner, aufgrund des heraufziehenden Antisemitismus. Sie war erfolgreich damit, u. a. mit „Veritas verhext die Stadt“. Als dann plötzlich das dänische Original gefragt war, half Karin Michaëlis aus – binnen einer Woche übersetzte sie den Roman auf Dänisch. Sie war es auch, die 1932 das Pseudonym enthüllte – nachdem es nicht mehr länger haltbar war.
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