6549058-1947_31_12.jpg
Digital In Arbeit

Maria Theresia und Joseph

Werbung
Werbung
Werbung

Das Kronprinzenproblem ist ein ewiges, es ist der unausgleichbare Gegensatz zwi-sdien jung und alt in äußerster Zuspitzung, sichtbar geworden an Renschen in überhöhter Stellung, und es tritt mit besonderer Schärfe in Erscheinung, wenn zum Unterschied der Jahre ein Gegeneinander in den grundsätzlichen Anschauungen -\on Gott und Welt, von Staat und Gesellschaft tritt.

So ist auch der schwere Antagonismus zwischen Maria Theresia, und Joseph ein mehrseitiges Problem.

Zunächst einmal steht jung gegen alt. Die Kaiserin kehrt im August 1765 als eine weit über ihre Jahre gealterte, (in ihrem Innersten gebrochene Frau aus Innsbruck, wo ein jäher Tod ihr den über alles geliebten Gatten geraubt hat, nach Wien zurück. Ihre Gesundheit ist nicht mehr die beste. Vor allem treten schon bald lästige asthmatische Beschwerden auf und die zunehmende Leibesfülle macht sie immer unbeweglicher. Aber auch seelisch ist sie durch viele Schicksalsschläge und durch die Sorgen um Reich und Familie müde geworden, ihre Spannkraft ist nicht mehr die ihrer Kampfjahre, ihre Aüfnahmsfähigkeit ist zurückgegangen. Sie selbst hat die untrügliche Empfindung eines langsamen Absinkens. Und in diesem Gefühl einer steigenden Anlehnungsbedürftigkeit zieht sie den Sohn als Mitregenten an ihre Seite. Aber bei ihrer körperlichen Schwerfälligkeit, ihrer Verbrauchtheit, ihrer Abgeklärtheit und ihrem auf eine reiche Erfahrung sich gründenden Wissen muß seine ungemeine Beweglichkeit, seine Jugendfrische, seine Impulsivität und sein unenttäusditcr Optimismus zu Zusammenstößen führen. Es sind zwei wesensverschiedene Menschen: die Mutter „durchbricht in ihrer unspekulativen Art gerne die strengen Grundsätze zugunsten des Lebens“, der Sohn „sucht dessen blühende Fülle eher unter die starre Gewalt eines philosophischen Dogmatismus zu zwingen“, sie läßt sich leiten von einer herzlichen Pietät für die großen'Überlieferungen ihres Hauses und ihrer Länder, er ist stolz auf die Ehrfurchtslosigkeit seines überschnellen Urteils, sie ist von hochherzigem Verständnis für menschlidie Schwächen, er ist von oft schwere Wunden schlagender Härte, ihre aus tiefster Wahrhaftigkeit geborene Schlichtheit steht gegen seine nicht zu verkennende Gefallsucht und Eitelkeit — „une coquette d'esprit“ nennt ihn die Mutter —, sie hat es in einem mit vielen Leiden gesegneten Leben gelernt, sich mit einem Teilerfolg zu bescheiden und einen Mittelweg zwischen idealer Forderung und praktischer Möglichkeit zu gehen, er kennt nur die Alternative: „Alles oder nichts“, sie steht auch in der Politik auf dem Felsengrunde ihrer aus einer unerschütterlichen Glaubensüberzeugung er-wadisenden Sittlichkeit, er hofft, seinen Idealen mit dem schwankendem Maß einer Kahlen Nützlichkeit näher zu kommen — überhaupt, Joseph will Dinge und Menschen mit seinem scharfen Verstände durchdringen und ergründen, will sie sich „vernünftig“ erobern und beherrschen, Maria Theresia lebt aus dem nicht zu erschöpfenden Reichtum ihres tiefen Gemütes und gewinnt sich alles durch die überströmende Liebe ihres großen Herzens.

Aber über das rein Menschliche hinaus stehen in Maria Theresia und Joseph auch zwei wesensfremde Welten gegeneinander, es steht die farbenbunte, sinnenfrohe spätbarocke Welt der warmherzigen Mutter gegen die verstandeskühlen, immer etwas grau-nüchternen Ideale des „aufgeklärten“ Sohnes, es steht genial gehandhabte, über der Verteidigung ihrer Gründsätze der Anpassung an die Forderungen des Tages nicht vergessende praktische Regierurugskunst gegen einen geistvollen, aber wirklichkeitsfernen Doktrinarismus.

Und diese an sich schon schweren, kaum überbrückbaren Gegensätze wurden noch verschärft durch des Kaisers bohrende Art, die in allen Konflikten auch die gleichgültigsten Ursachen auf ihren grundsätzlichen Kern zurückzuführen bestrebt war, und durch eine geschliffene, seinem scharfen Intellekt entsprechende und von Ironie und Sarkasmus getränkte Sprache seiner Mutter die Waffe ihrer, warmen Herzlichkeit aus den Händen' schlug. Sehr bezeichnend* schrieb Ma.ria Theresia einmal an van Swieten: „Ich für meine Person liebe das alles nicht, was man Tronie nennt. Niemals wird irgend jemand durch sie gebessert, wohl aber geärgert, und ich halte sie für unvereinbar mit der Liebe des Nädi-sten.“ Solche Gesinnung war der oft genug bewußt verletzenden Schreibweise Josephs gegenüber einfach wehrlos, das vom Herzen Zum Herzen sprechende Wesen der Kaiserin stieß sich an der kalten Vernünftigkeit des Sohnes blutig wund.

In der Außenpolitik war es der Gegensatz zwischen einer „moralischen“ und einer „amoralischen“ Politik, der Gegensatz zwischen einer sich den Bindungen von Recht und Treue unterwerfenden Politik und einer reinen Machtpolitik, die sich jedes Mittels bedient, wenn es nur *tam Ziele führt. Im Zuge der ihr zu innerst widerstrebenden Verhandlungen mit Preußen und Rußland, in denen das Schicksal des unglücklichen Polens entschieden wurde, bekennt die Kaiserin: „Mein Grundsatz ist die Redlidikeit und Offenherzigkeit; nichts von Zweideutigkeit oder dem Streben, andere irrezuführen.“ Für Joseph dagegen machte lediglich „die gesdiiekte Benützung der sich darbietenden Gelegenheiten“ das Wesen der Staatskunst aus. Und Kaunitz darf des vollen Einverständnisses mit dem Kaiser sicher sein, wenn er erklärt, kein Traktat binde länger, als das Verhältnis dauere, unter dem er geschlossen sei. Es ist eine unüberschreitbare Kluft, die sich da auftut, weil hier an letzte Fragen der Sittlichkeit gerührt wird.

In der Innenpolitik aber kam es in fast allen Sparten zu harten Auseinandersetzungen. Waren es „in militaribus“ bloße Beförderungsfragen, in denen Joseph der Mutter nicht nachgeben zu sollen glaubte, und fühlte sich die Kaiserin in Finanzsachen nur durch die sie beengende Sparsamkeit des Sohnes unangenehm berührt, so griff die Versdiiedenheit ihrer Ansichten über das Ausmaß der den untertänigen Bauern zu gewährenden Erleichterungen — die Kaiserin strebte kühn nach einer vollen Bauern befreiung, Joseph war damals nur für einen allerdings ausgiebigen Bauernschütz zu gewinnen — schon wesentlich tiefer, auf ein Biegen oder Brechen aber spitzte sich der Gegensatz zwischen ihm und der Mutter zu, wenn weltanschauliche Entsdieidungen an ihren religiösen Glauben und an seine philosophischen Überzeugungen stießen, wie etwa bei der Frage der religiösen Duldung. Joseph vertritt den Grundsatz „völliger Freiheit des Glaubens“: es werde dann nur mehr eine einzige Religion geben, welche darin bestehe, die gesamte Bevölkerung anzuleiten zum Besten des Staates. Ihm stellt die Kaiserin ihre Parole gegenüber: „Kein Geist der Verfolgung, aber weniger einer der Gleichgültigkeit oder des Tolerantismus“. Da gab es trotz beiderseitigem Bemühen, den anderen zu überzeugen, durch entgegenkommende Formulierungen die eigene Einstellung dem anderen Teil annehmbar zu machen, keine Brücke. Es kam bis zu einer der wiederholt von Joseph als Druckmittel benützten Rücktrittsdrohungen, der Ausgang auch dieses Konflikts aber entsprach fast schon einer fest gewordenen Regel: eine in glatter, vollendeter äußerer Form dargebrachte, die Grenzenlosigkeit seiner Verehrung überbetonende Ergebenheitserklärung des Sohnes und — eine halbe Nachgiebigkeit der Mutter. Für die Beziehung Josephs zu Maria Theresia jedoch ist entscheidend, daß die schmerzhafte Klarheit seines durchdringenden Geistes, die seinen geschliffenen Stil prägt, seinen zweifellos ehrlich gemeinten Bekenntnissen alle herzliche Wärme nimmt und sie damit ihrer besten Überzeugungskraft beraubt, während die Briefe der Mutter häufig genug der ihrem gedanklichen Gehalt ebenbürtigen sprachlichen Form ermangeln und doch in ihrer oft volkstümlichen Plastik ungeachtet mancher Unbeholfenheit und Vernachlässigung mit jedem Wort unmittelbar zum Herzen des Lesers sprechen: Joseph schreibt, stets besorgt um die Wirkung seiner klug gebauten Sätze, „Literatur“, in Maria Theresias Briefen erschließt sich, naiv und frei von jeder Bewußtheit, die ganze Seele ihrer reidien Mütterlichkeit.

Es war das bittere Schicksal dieser beiden einander durch Blut und Neigung so nahen Menschen, daß sie zu einem ruhig-ausgeglichenen Hand-in-Hand-^fehen nicht zu kommen vermochten, daß sie trotz weitreichender Zielgleichheit im Letzten nur unter harten Kämpfen zueinander finden konnten, ja daß selbst jene Eigenschaften, die der Sohn der Mutter dankte, seine verzehrende Pflichttreue, sein leidenschaftlicher Arbeitseifer, die Einfachheit seiner Lebensgewohnheiten, ein fanatisches Wahrheitsstreben und sein glühender Wunsch, den beherrschten Völkern ein Glücksbringer zu sein, ihn ihr durch maßlose Übersteigerung noch mehr entfremdeten. Joseph kann sich nie und in nichts genug tun, er will immer einen Schritt über die dem Menschen gegönnte Größe hinaus machen — und verliert dabei den Boden unter den Füßen. Im Wollen die Kaiserin weit überbietend, an bleibenden Erfolgen sie nie erreichend, wird Joseph immer im Schatten seiner großen Mutter stehen — auch nach den zehn Jahren, die das Schicksal ihm zur Verwirklichung seiner hochfliegenden Pläne noch schenkt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung