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Mariazell war nur Etappenziel

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Mariazell, 7. September 1996, 3.30 Uhr. Kleine Menschengruppen schieben sich durch Wind und Regen. Von der Basilika flattert unruhig die gelb-weiße Fahne. Im Gedränge auf der Treppe spricht ein Pastoralamtsleiter in sein Handy. Ein Lautsprecher verkündet, daß bald die Teilnehmer der Steiermark-Badrundfahrt ihr Etappenziel Mariazell erreichen werden. Zum dritten Mal innerhalb weniger Minuten werde ich gefragt, wo der Kultursaal sei. Ich weiß es, denn auch ich bin auf dem Weg dorthin, zur Diskussion „Kirche gefragt - Bischöfe im Dialog zu Themen der Zeit", einer von zwölf Regionalveranstaltungen im Rahmen der „Wallfahrt der Vielfalt".

Auf Einladung der Kooperation der westösterreichischen Kirchenzeitun-gen referieren dort vor 350 Menschen die Bischöfe Maximilian Aichern (Linz), Reinhold Stecher (Innsbruck) und Richard Weberberger (Barrei-ras/Brasilien). Neben den Bischöfen reden Experten, ein Publikumsanwalt gibt Fragen aus dem Saal an das Podium weiter. Bald ertönen Anfeue-rungsrufe: „Hopp, hopp!" Sie gelten aber nicht den Bischöfen, sondern den eintreffenden Radrennfahrern und kommen durchs geöffnete Fenster. Für die Radler ist die Etappe zu Ende, aber viele Wallfahrer sind noch nicht in Mariazell, sondern in der Umgebung bei einer der „Stationes".

„Solidarität - den Bach hinunter?" steht über Bischof Aicherns Beferat, in dem er darauf hinweist, „wie sehr sich Armut in weiten Teilen der Gesellschaft zurückmeldet und zwar in alarmierender Weise in Bevölkerungsgruppen, die nicht als Randgruppen bezeichnet werden können". Aichern bemerkt, daß das Sekretariat eines Bischofs heute oft mit Arbeitsund Quartiersuche von In- und Ausländern konfrontiert ist. In Wirtschaft und Gesellschaft sei eine neoliberale Wende unübersehbar, statt einen Abbau, sollte man einen Umbau des Sozialsystems ins Auge fassen.

Humorvoll widmet sich Bischof Stecher der Thematik Kirche und Öffentlichkeit. Bischöfen gehe es um Seelsorge und Verkündigung, Medien um Aktualität und Konflikte. Predigt und Medienbeitrag seien verschiedene literarische Gattungen. Stecher tritt für eine zeitgemäße Sprache, Glaubwürdigkeit und Transparenz ein. Bischöfe sollten sich nicht zu allem äußern, als ob man durch Druck auf die „bischöfliche Senftube" quasi „für jedes aktuelle Würstchen die süß-saure hierarchische Zugabe" erhalten könne, „profil"-Chefredakteur Josef Votzi stellt trocken fest, ein Bischof in Osterreich sei für die Medien immer erreichbar: „Wenn die Senftube nicht da ist, den Kren(n) kriegt man immer." Ein Bonmot, das schnell in Mariazell die Runde macht.

Ernst wird es wieder, als Bischof Weberberger unter dem Titel „Gerechtigkeit - bitte warten" die Verelendung vieler Menschen in Brasilien beschreibt, die - von Politik und Justiz im Stich gelassen - um Hungerlöhne arbeiten müssen, die Verschuldung des Landes werde auf dem Rücken der Ärmsten ausgetragen. Die Veranstaltung endet damit, daß viele mit ihrer Unterschrift eine „Entschuldungsaktion" für überschuldete Dritte-Welt-Länder unterstützen.

Als es draußen dunkel geworden ist, steuern an die 2.000 Menschen auf die Basilika zu. Superior Karl Schauer heißt die Pilger willkommen, Lichterprozession und Fackeltanz finden wegen des schlechten Wetters in der Kirche statt, der Glaube freilich, so Bischof Stecher in seiner Predigt an die „Allwetterchristen", sei vom Klima unabhängig. Was Maria gesagt wurde - „Es geht um das Heil" und „Der Geist wird mit Dir sein" , gelte auch uns. Nichts Sekundäres dürfe den göttlichen Auftrag blockieren: „Es darf auf die Dauer nicht sein, daß dieses Heil in Wort und Sakrament nur noch die gepflegten Gärtchen elitärer Gruppen berieselt, aber die weiten P eider der Gemeinden nicht mehr erreicht, weil die alten Bohrleitungen nicht mehr genügen. Christus hat den Wein für unabdingbar gehalten, nicht bestimmte Schläuche."

Mit Einzelsegnungen mit der Gnadenstatue geht die Vesper zu Ende. Draußen werden Erfahrungen aus einzelnen „Stationes" ausgetauscht. Die Kirche bleibt die ganze Nacht zum Gebet geöffnet, das Stunde für Stunde andere Gruppen begleiten.

Am Sonntagmorgen grüßt von den Bergen der Umgebung weißer Schnee, die Fahne an der Basilika flattert ruhiger. Die Zahl der Wallfahrer hat sich verdreifacht. Etwa 6.000 Leute drängen zum Gottesdienst in die Kirche, vorbei an den Transparenten des „Kirchenvolks-Begehrens".

Erzbischof Georg Eder (Salzburg) begrüßt die Gläubigen, Nuntius Donata Squicciarini überbringt Gruß und Segen aus Rom. Bischof Johann Weber beschönigt in seiner Predigt die Lage der Kirche nicht, will aber neuen Mut geben: „Heute hören wir oft: Mit euch geht es zu Ende. Glaubt ihnen nicht!" Alle Ansprachen heben hervor: Mariazell ist ein Sammelplatz auf dem Weg, aber kein Ende. Es müssen weitere Schritte folgen.

Später, im ORF-Interview vor der Kirche, wirken Bischof Weber und KVB-Sprecher Thomas Plankensteiner darüber völlig einig. Kleine Gruppen scharen sich um „ihre" Bischöfe. Musikkapellen lassen Volksfeststimmung aufkommen, in „Oasen der Begegnung" um die Basilika ist für Labung gesorgt, der kurz durchbrechenden Sonne folgt aber wieder Regen.

Auf der Treppe zur Basilika verteilt ein junger Mann Zettel, auf denen die Handkommunion als „sakrilegisch" abgelehnt wird. Durch das Mikrofon, in das jeder, der will, seine Meinung sagen darf, erhält er Zustimmung von einer älteren Dame, die auch dem Frauenpriestertum abgeneigt ist. Ein Teil der Zuhörer applaudiert. Ein paar Schritte weiter, im Kultursaal, hat man in nächtlicher Arbeit auf Würfeln die Bilanz der „Stationes" ausgestellt. Wo es um den Diakonat der Frau geht, springt ein kurzer Text ins Auge: „Die Zeit ist reif."

Bei der Schlußfeier weist Erzbischof Christoph Schönborn auf die Weltverantwortung der Christen hin und darauf, „daß es mancher Reformen in unserer Kirche bedarf, wenn wir eine solche Verantwortung nach außen hin glaubwürdig wahrnehmen wollen". Die Wallfahrt der Vielfalt ist zu Ende. Täuscht der Eindruck, oder liegt es an der Nässe, daß die Fahne an der Rasilika jetzt ein wenig ruhiger im Wind schaukelt?

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