Marie NDiaye: „Die Rache ist mein“ - Wer sind wir, füreinander
Zwischenmenschliche Beziehungen, Gewalt und seelische Abgründe: Marie NDiaye stellt auch in ihrem neuen Roman „Die Rache ist mein“ verstörende Fragen.
Zwischenmenschliche Beziehungen, Gewalt und seelische Abgründe: Marie NDiaye stellt auch in ihrem neuen Roman „Die Rache ist mein“ verstörende Fragen.
Maître Susane, eine wenig erfolgreiche Anwältin, bekommt ihren ersten großen Fall, der als Skandal die Zeitungsseiten füllte: Eine Mutter hat ihre drei Kinder in der Badewanne ertränkt.
Doch noch mehr als dieses entsetzliche Verbrechen einer bisher unauffälligen Lehrerin beschäftigt die Anwältin nun etwas anderes. Denn die erste Begegnung mit dem Auftraggeber Gilles Principaux, dem Ehemann der Mörderin, sorgt für ein Gefühl wie ein Schlag auf den Kopf. Die Anwältin meint sich nämlich plötzlich an ihn zu erinnern: Damals war er vierzehn und sie war zehn. Er ist der Sohn einer gutsituierten Familie, sie ist die Tochter jener Frau, die dort einmal bügelte.
Was ist damals vorgefallen? Ist etwas vorgefallen? Ist er überhaupt der, an den sie denkt? Er jedenfalls scheint sie nicht zu erkennen, auch später nicht, in einem jener Treffen, in dem es um den Fall der Kindsmörderin geht. Dieser wiederum war die Liebe wohl mehr Gefängnis als jenes, in dem sie nun sitzt. Sie will ihren Mann nicht mehr sehen. Er aber scheint sie mehr zu lieben als seine Kinder. Oder täuscht dieser Anschein? Was lässt die bürgerliche Fassade seines Gesichts überhaupt erkennen?
Um das Sehen und Verbergen geht es unter anderem in Marie NDiayes neuem Roman „Die Rache ist mein“, um das Erkennen und den Versuch zu erinnern und zu verstehen, um das Projizieren auf andere und das Nichtsagen von dem, was man denkt. Die eigenen Erinnerungen, Kränkungen und Traumata und der Fall dieser modernen Medea verschränken sich, immer mehr spült sich die Geschichte der Anwältin dabei in den Vordergrund, ohne dass man je gewiss sein kann, was hier eigentlich wirklich ist.
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