7116154-1996_16_12.jpg
Digital In Arbeit

Marken-Kleider machen Leute

Werbung
Werbung
Werbung

Auf keinem Gebiet werden Ju-gendliche so ernst genommen, wie im kommerziellen Bereich. Mit Markenjeans lehnt das Idol lassig an der Plakatwand, auf der der neue Slogan eines weltberiihmten Getran-keerzeugers zu sehen ist. In der einen Hand der Energy-Drink, der ihm Flii-gel verleihen soil, und in der anderen der neue Discman, naturlich mit dem richtigen Logo. Er steht auf Markenware.

Das ist das Traumbild eines opti-malen Jugendlichen aus der Sicht der Wirtschafts- und Werbefachleute. Er ist unbemerkt mitten in der Gesell-schaft und geniefit viel bewuBte und unbewuBte Achtung. Dieses Ideal wird Tag fur Tag in den eigenen vier Wanden vieler Jugendlicher uber-dacht und dann in den Geschaften der Kleidungs- und Freizeitartikelindu-strie verwirklicht. Fiir die Eltern die-ser jungen Konsumenten bedeutet das sowohl eine hohe finanzielle als auch psychologische Belastung.

Die Orientierung der Wirtschaft anderte sich mit dem Wandel der Ge sellschaft. In den Nachkriegsjahren waren die Kaufer darauf angewiesen, sich an die angebotenen Waren zu halten. Es gab wenig Ersatzguter, und was die Menschen produzierten und kauften, war zur Existenz notwendig. Doch nach einigen Jahren hatte die Mehrheit der Bevolkerung das, was sie wirklich zum Leben brauchte, und das Aufleben des Luxusgiitermarktes begann. Produkte, fiir die eigentlich kein echter Bedarf vorhanden war, wurden hergestellt. Um daraus je-doch auch den richtigen Profit zu schlagen, mufite das Bedurfnis in dem potentiellen Konsumenten geweckt werden. Deshalb begann man die Waren zu bewerben. Das hat anfangs gut funktioniert, und langsam baute man in der Psyche der Menschen den Wunsch nach mehr auf.

Heute, sagt man, hat sich die Wirtschaft an den Interessen der Gesell-schaft zu orientieren. In Wahrheit machen sich die Werbefachleute je-doch nur das Ergebnis jahrelanger harter Arbeit zunutze und bauen wei-terhin mit den Methoden der Indivi-

dual- und Sozialpsychologie an einer zufriedenen Konsumgesellschaft. Einen durch ihre Strategien hervorge-rufenen Bedarf nennen sie dann ein-fach unser Interesse.

Bei diesen Forschungen wird der Mensch zuerst als nichts anderes als „Black Box-Schwarze-Kasten-Theo-rie " - gesehen. Man weiB nicht ge-nau, was in ihm vorgeht, aber es ist si-cher, daB er bestimmten, von auBen kommenden Reizen ausgesetzt ist. Durch die Uberpriifung des darauf-folgenden Verhaltens (also den Reak-tionen), erhalt man bestimmte Er-gebnisse, mit deren Hilfe man Riick-schlusse auf die Wirkung der Reize und Ablaufe (in der Black Box also) im unerforschten Bereich des Menschen ziehen kann.

Die Verpackung machts'...

Fiir die Konsumenten zahlen neben der sozialen Umgebung vor allem an-gebotene Giiter und Dienstleistungen zu diesen Reizen. Da bei vielen Jugendlichen die Einfliisse aus der sozialen Umgebung fehlen oder als ne-gativ empfunden werden, orientieren sie sich umso mehr an den Reizen des Marktes. Waren, und im besonderen Verpackung, Aufmachung und Mar-

ken als Stimulationen spielen nicht nur in bezug auf den einzelnen Kauf des Individuums eine Rolle, sondern sie wirken auf die generelle Einstel-lung, die Motivation, und damit letzt-lich auf das Gesamtverhalten der jungen Menschen.

Die Werbefachleute nehmen sich also samtliche Mittel der Wissen-schaft zu Hilfe, um ihre Kunden zu-friedenzustellen. Die optimale Ziel-gruppe sind da naturlich Kinder und im besonderen die Jugendlichen. Als Kinder hatten sie viele Wiinsche, die sie zu mittelbaren Konsumenten machten. Durch einen treuen Blick zu ihren Eltern senden sie einen Reiz an die Erwachsenen. Damit haben die Werbefachleute schon wieder beina-he das erreicht, worauf ihre Arbeit aus ist. Wehren sich jetzt die Eltern nicht vehement durch eine verniinftige, zur Selbstkontrolle fiihrende Konsumer-ziehung, unterliegen sie wahrschein-lich den gezielten Werbestrategien. So erfiillen sie letztlich die Erwartun-gen der Wirtschaft, indem sie sich von ihrem Kind zu einem eigentlich un-

gewollten Kauf iiberreden lassen. Im Marketing niitzt man so beinhart die - mehr von Gefiihlen als von Spar-und Vernunftgedanken - gepragte Seite des Menschen aus.

Wenn diese Kinder dann selber groBer werden, stehen ihnen Tor und Tiir offen, daB sie selber diesem Kon-sumverhalten verfallen. Sie haben nun eine bestimmte Menge Geld zur Verfugung und dazu viele unerfiillte Wiinsche. Der Spargedanke ist jedoch meist noch weniger ausgepragt als bei den Erwachsenen.

Um Prestige auszudriicken halt man nicht mehr, wie von vielen Erwachsenen behauptet wird, die Ziga-rette in der Hand. Dahinter stehen

freilich ganz andere Probleme wie Einsamkeit, Isolation, Kontaktproble-me et cetera. Heute verwendet man dafiir aufpumpbare Turnschuhe, kratzende Markenschilder in Jeans und viele andere coole Gags. In den Geschaften findet man ja maBlos An-gebote, um damit die Erwartungen der anderen zu erfiillen und so die ei-gene Persbnlichkeit zu starken.

Fiir oder gegen den Konsum?

Von diesem Trend profitiert die Wirtschaft, doch fiir die Eltern wird das oft zur Qual. Uber die Jeans, die eben noch als urchic galten, freut sich der Halbwiichsige gar nicht mehr, scibald er das seiner Meinung nach falsche Markenschild betrachtet. Die kann man ja nicht mehr tragen, das ist ja peinlich.

Mit Hilfe von Markenwaren wol-len Jugendliche diejenigen nachah-men, denen sie ein hbheres Sozialpre-stige zngestehen. Andererseits riicken sie durch die Kleidung von denen ab,

von denen zu distanzieren ihnen die Cliquenormen auftragen. Kleidung symbolisierte schon immer die soziale Position.

Die Eltern reagieren in solchen Si-tuationen meist verschieden. Entwe-der geben sie ihren Kindern das nbti-ge Kleingeld, und iiberlassen ihnen somit die Kaufentscheidung und sich selbst den Verfiihrungen des Marktes. Oder sie bleiben vorerst hart, und bringen damit ihre - mit meist zu-wenig - SelbstbewuBtsein versehe-nen Kinder in eine peinliche Grup-pensituation. Das ist den Eltern aber ebenso unangenehm, sie leiden mit dem Kind mit und versuchen sie aus dieser peinlichen Lage herauszu-ftihren, indem sie noch uniiberlegter einkaufen. Letztlich verfallen sie dadurch ebenso den ausgeklugelten Strategien der ge-wiften Werbe- und Marktstrategen. Man sollte in dieser Situation jedoch nicht nur einen krampfhaften Ver-such der Jugendlichen sehen, sich selbst zu vervoll-kommnen. So zeigt die Aussage von F. R. H. Du Boulay in seinem Buch „An Age of Ambition: English Society in the Late middle Ages, New York 1970": „Das iiber-schiissige Geld machte es mbglich, die Kinder als Ob-jekte von Geltungs-konsum zu benut-zen, daB das Problem mbglicher-weise auf der Seite der Erwachsenen zu suchen ist."

Es gibt leider keine simplen padagogischen Rezepte und Hilfen, um der allgemeinen Problematik zu entgegehen. Es gibt nur die Entschei-dung jedes einzelnen fiir oder gegen iibermaBigen Konsum. Das Zulassen von sozialen Zwangen ist eine Cha-rakterfrage. Man kann nur hoffen, daB nach einem gewissen Reifungs-prozeB der Jugendlichen doch noch die Vernunft siegt.

In diesem ProzeB kann man nur auf die Weitsicht und das Durchhaltever-mbgen der Eltern pladieren. Fiir die Wirtschaft ist es wichtig, daB Jugendliche die bunte Werbewelt von klein auf verinnerlicht haben, Gestaltung ihres AuBeren ist eine Frage ersten Ranges. Deshalb ist es wichtig, den Kindern von klein auf bewuBt zu machen, daB es neben dem Firmenlogo und der Verpackung noch wichtigere Werte gibt, fiir die es sich zu leben und zu arbeiten lohnt.

DieAutorin ist

freie Journalistic

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung