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Martin Buber - Weisheit des Ostens und des Westens

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Martin Buber - einer der letzten Zeugen einer universal-europäischen Bildungswelt.

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Martin Buber - einer der letzten Zeugen einer universal-europäischen Bildungswelt.

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Der am 8. Februar 1878 in Wien geborene Martin Buber steht wie ein mächtiges Relikt, ein Mahnmal, in unserer Zeit. Er ist der einzig Ueberlebende der großen deutsch-jüdischen Bildungswelt, der Männer um Leo Baeck, Goldberg, Otto Hirsch, Franz Rosenzweig, vor deren Universalität das Denken und Wissen der Gegenwärtigen als klein, dürftig, provinziell erscheint. Er steht zudem in der großen Tradition jener jüdischen Denker, die das moderne philosophische Denken gezwungen haben, Religion und frommen Sinn wieder denkerisch ernst zu nehmen: Bergson, Scheler, Maritain (dem Geblüt nach nicht }ude, aber von Juden tief angeregt), Edith Stein. Zum dritten ist Martin Buber einer der letzten Zeugen einer universal-europäischen Bildungswelt, die, im goetheschen Sinn, Weltliteratur als Bildung zu Weltoffenheit und Weltverantwortung empfing.

Die Größe Martin Bubers wird vielleicht am sichtbarsten in seinem unverzagten Weg durch alles zeitliche Scheitern. — Der in Wien Geborene, in Lemberg beim Großvater Heranwachsende, studiert in Wien. Berlin, Zürich, Leipzig, begeistert sich für Nietzsche und Spinoza, promoviert über die deutsche Mystik: „Von Cusanus bis Böhme.“ Früh wird er vom Zionismus ergriffen, wird zunächst „Kulturzionist“. Weit ist der Weg von diesem frühen Kulturziomsmus und dem ihm verbundenen religiösen Sozialismus bis zur schöpferischen Leistung, in der Aufdeckung verschütteter Quellen im Judentum, bis zur Uebertragung des Alten Testaments in eine Sprache, die, vulkanhaft, glühende Lava und hart wie Granit zugleich, Gottes Wort als das Wort Jahwes, des Feuergottes vom Sinai, an sein ewig rebellisches und ewig sich ergebendes Volk begreift und im Schmelzguß einer unnachahmlichen Form einfängt.

Der Buber der frühen und mittleren Jahre gibt die sozialpsychologischen Monographien über die „Gesellschaft“ heraus, 1916 die groß angelegte Zeitschrift „Der Jude“, 1926 bis 1930 mit dem Protestanten Viktor von Weizsäcker und dem Katholiken Joseph Wittig die Zeitschrift „Die Kreatur“. Professor in Frankfurt, lehrt er seit 1929 zugleich in Jerusalem an einem für ihn errichteten Lehrstuhl für Sozialphilosophie. Ist gerade ab 1933 mit ganzer Seele seiner Arbeit in Deutschland ergeben, um die deutsche Juden-heit innerlich zu stärken und vorzubereiten auf das Kommende.

Heute strahlt der Greis durch seine Reden und seine Werke zwischen Japan, Jerusalem, London, New York und wiederum Deutschland, seiner Wahlheimat, eine Wirkung aus, der sich niemand entziehen kann, der sich mit dem „M i t menschlichen“ (ein Begriff, den er geprägt hat) befaßt. Der große Jude Martin Buber ist einer der gültigsten Erzieher der Menschheit geworden, Mittler östlicher und westlicher Weisheit, vertraut mit Chinas und Altasiens Weisheit ebenso wie ittit der alten und neuen Weisheit des Westens.

Die christliche Auseinandersetzung mit dem jüdischen Denken Martin Bubers hat noch kaum begonnen. Dieser Jude stellt die Gottunmittelbarkeit, Einzigkeit und Einmaligkeit des jüdischen Gotterlebens in einer so gewaltigen Weise dar, offen dabei nicht nur der christlichen Botschaft, sondern allem echt Religiösen in der Menschheit, daß eine echte Auseinandersetzung mit ihm allein ein Lebenswerk lohnen würde. Tragik Martin Bubers und Tragödie seiner Zeit: dieser Mann, der immer das Gespräch, den Dialog zwischen Du und Ich (hier dem Wiener Ferdinand Ebner verwandt), Gott und Seele, Mensch und Gesellschaft, Glaube und Glaube, Freund und Gegner gesucht hat, mußte mit zunehmender eigener Reife und Reife der Zeit zum Gericht erfahren, wie wenig Menschen heute gesprächsfähig sind. Das bildet vielleicht die schwersten Schatten um dieses mächtige Haupt, das die Menschen liebt, weil es Gott fürchtet.

Schmerzlich hat er es erfahren: „Ohne Du, aber auch ohne Ich marschieren die Gebündelten, die von links, die das Gedächtnis abschaffen wollen, und die von rechts, die es regulieren wollen, feindlich getrennte Scharen, in den gemeinsamen Abgrund.“ Im Angesicht dieses Abgrundes denkt, lebt Martin Buber: immer bemüht, durch die Flammen des Zornes, durch die Feuer des Dornbusches hindurch das Wort der in ihren Gerichten überaus gütigen Gottheit zu vernehmen.

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