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Martina Wied und die österreichische Literatur

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Im Jahre 1894 hatte der große Anreger Hermann Bahr in der neugegründeten Zeitschrift .Die Zeit“ für die Literatur und Kunst seiner Heimat eine Entwicklung gefordert, die es endlich ermöglichen solle, daß mit ihr .der Österreicher von seiner angestammten Art aus an Europa teilnehme, während sonst hier, wer sich als Österreicher fühlt, Europa fürchtet, und wer europäisch gesinnt ist, Österreich verleugnet“. Fast schien es, als sollten die Hoffnungen Bahrs sich erfüllen, wenn man der großen Namen gedenkt, die an der österreichischen Literatur seit der Jahrhundertwende, seit der Uberwindung des Naturalismus, zu bauen sich anschickten.

Selbst als die junge Bundeshauptstadt der Republik Österreich im Jahre 1924 zum erstenmal ihren Literaturpreis verlieh, waren die ersten Preisträger noch wirkliche Repräsentanten einer großösterreichischen und damit gemeineuropäischen Literatur, mochten sie nun die österreichische Idee bei aller kritischer Bewertung bejahen wie Otto S t o e ß 1 oder sarkastisch in Frage stellen wie Robert M u s i 1, mochten sie aus der Tiefe des Volkstums Heidnisches mit barocker Frömmigkeit vermählen wie Richard B 111 i n g e r. Aber Stoeßl und Musil sind gleich Hofmannsthal und Werfel dem Rufer nach der österreichischen Literatur, Hermann Bahr, in die Ewigkeit gefolgt und um Richard Billinger ist es still geworden. Die österreichische Literatur drohte immer mehr eine .Provinz-Literatur“ zu werden. Nur eine Dichterin lebt noch, die gleich Musil, Stoeßl und Billinger jenen Literaturpreis des Jahres 1924 erhielt: Martina Wied, die sich damals bereits als langjährige Literaturkritikerin angesehener deutscher und österreichischer Zeitschriften wie auch als Lyrikerin, Epikerin und Dramatikerin einen Namen gemacht hatte. Die Jury verlieh ihr damals den Preis auf Grund ihrer formschönen und gedankentiefen Gedichte und der dramatischen Dichtungen .Der Spielberg, .Der Gast“ und .Spuk“.

Die Dichterin, in deren Elternhaus sich In der ersten Vorkriegszeit alles traf, was Rang und Namen hatte, ist frühzeitig mit der Literatur in Berührung gekommen. Eine gediegene wissenschaftliche Bildung, erworben bei Lehrern wie Minor und Dvorak, auf Reisen und aus den Literaturen Frankreichs und Englands sowie der slawischen Völker, aus dem eingehenden Studium der Geschichte und Psychologie, gaben ihr die Fundamente für ihre schöpferische Tätigkeit. Durch Theodor Haecker und den Brenner-Kreis wurde sie ebenso geformt wie durch die Freundschaft mit Otto Stoeßl und Paul Ernst.

So finden wir In ihrem Werk, das sich zum Großteil erst In den bitteren Jahren der Emigration von 1939 bis 1945 vollenden durfte und von dem leider nur ein kleiner Teil bisher gedruckt werden konnte (Das Asyl zum obdachlosen Geist“, „Rauch über St. Florian“, .Das Einhorn“), alle jene Züge, die den Ecrl-vain der Jahrhundertwende ausmachten und die dem Schriftsteller unserer Tage immer mehr verlorengingen: das reiche Wissen aus den Quellen und die zuchtvolle Gestaltungskraft, daraus ein Werk zu bilden. Lange vor der exlstentialistischen Mode unserer Tage hat die Schülerin Theodor Haeckers die Bedeutung Kierkegaards erkannt und den Anruf des großen Dänen In ihrem Roman „Das Asyl zum obdachlosen Geist“ aufgenommen. Tiefenpsychologie- und Existenzanalyse vom Geist her verbinden sich glücklich bei dieser Schriftstellerin, die es versteht, die Fülle ihrer Figuren aus dem Daseinsgrund des Lebens, der alle ihre Romane durchwaltet, herauswachsen zu lassen. Als Dramatikerin weiß sie auch ihren epischen Stoffen jene tragische Problemspannung zu geben, deren Lösung die Wirkungen echter Katharsis herbeizuführen vermag. Die Lyrikerin verrät sich in der Stimmungsgeladenheit der einzelnen Szenen und in der Geschmeidigkeit des sprachlichen Ausdrucks. Die Formkünstlerin Martina Wied, die Freundin des Neuklassikers Paul Ernst, verwirklicht auf ihre österreichischmusikalische Weise, was der norddeutsche Plastiker Ernst vom literarischen Kunstwerk fordert. Die musikalische Kompositionskunst dieser Dichterin konnte der Bewunderer des Buches „Rauch über St. Florian“, das eine Fülle von Gestalten und Schicksalen zu einem echt österreichischen Lebensbild formt, bereits im Jahre 1936 bestaunen. (Neuauflage 1949, österreichische Verlagsanstalt, Innsbruck. Man denke nur an das hinreißende Kapitel „Die Fermate“, das sozusagen in Rondoform alle Hauptmotive des Buches wiederkehren läßt. Die Kunst des Leitmotivs, gebannt in den strengen Sonatensatz oder in den großräumigeren der epischen Symphonie — so könnte man die Gestaltungsweise der Wied bezeichnen, die sich in allen ihren Büchern immer wieder offenbart.

Ihre Werke sind von einem hohen Ethos erfüllt, das an die christlichen Ordnungswerte glaubt. Auch sie, die einstmals gleich Hofmannsthal den Weg in die Abgrundtiefen der Seele und des Blutes gesucht hatte und von der Tiefenpsychologie wertvollste Bereicherung erfuhr, hat erkannt, daß wir im Zwielicht dieser Zeit nur dann als Menschen bestehen können, wenn wir im Sinne Haeckers „Hierarchisten“ sind und an geistige Ordnungswerte glauben. Die Ordnung im chaotischen Durcheinander des triebgepeitschten Lebens aufzuspüren, ist das tiefste Anliegen dieser Dichterin.

In ihrem noch unveröffentlichten Roman „Das Krähennest“ — einer erlittenen Auseinandersetzung mit den Mächten unserer Zeit — lesen wir die tiefe Erkenntnis: „Nicht in der .Neuen Ordnung', worin die Namenlosen nicht einmal besaitete Instrumente — bloß Schachfiguren — und nicht einmal soviel

— sind, dürfte er (der Mensch) sich seinen Platz finden, sondern in jenem geheimen Ordo, wo jeder unerkannt seinen Rang einnimmt, dem sein äußerer nur selten entspricht, wo Könige und Bettler, käme ein Spruch von oben, ihre Stufe vertauschen müßten und wo folglich kein Amt, kein Handwerk, nicht einmal die aufreibendste, die erschöpfendste Arbeit in der irdischen Hölle der Fabriken niedrig genannt werden darf, weil wir ja nicht wissen, wie der, welcher sie ausübt, vor Gott mit seinem Namen heißt

— denn tragen wir hienieden nicht alle Decknamen, und wissen wir auch nur, wie wir gerechterweise unseren Bruder rufen sollten?“

— Martina Wied trägt den „geheimen Ordo“ als innere Form ihres Werkes in sich und in ihren Büchern kann ihn finden, wer zu suchen gewillt ist.

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