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MasIculinismus

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Ich habe nicht die Gewohnheit, die Redner anzuhören, die dank der Redefreiheit Tag für Tag im Hydepark brüllen und predigen. Doch heute, als ich durch den Park ging, blieb ich, ich weiß nicht weshalb, vor einem Dreifuß stehen, der ein Plakat trug. Darauf stand, in großen schwarzen Lettern: Der Maskulinismus. Der Redner, eine Hopfenstange mittleren Alters mit wirrem rötlichem Haar und zwei schwarzen Schwärmeraugen, hatte seine Ansprathe noch nicht begonnen, weil die Hörerschaft erst spärlich war: nicht mehr als drei oder vier Menschen, alle schon angejahrt. Auch ich wollte die bevorstehenden Eröffnungen abwarten, und schon nach wenigen Minuten entschloß sich der Rothaarige zu reden:

„Ich verkünde Ihnen die neue Lehre, die das Leben auf dieser Erde umwandeln wird. Ich verkünde Ihnen die Revolution des Maskulinismus.

In dieser selben Weltstadt empörten sich vor vielen Jahren die Frauen wutentbrannt gegen die Vorrechte der Männer und begründeten unter der Führung der berühmten Miß Pankhurst den Feminismus. Heute, nach fünfzigjährigem Kämpfen und Polemisieren, hat der Feminismus gesiegt. Die Frauen sind im Besitz aller bürgerlichen und politischen Rechte. Frauen sitzen im Parlament und in der Regierung, es gibt Botschafterinnen und Frauen im Heerwesen. Frauen sind in die öffentliche und private Verwaltung eingedrungen, in Schulen und Fabriken. Ausgezeichnet!

Wir Maskulinisten sind keine Feinde der dauernden und wachsenden Triumphe des Feminismus. Der Maskulinismus erhebt sich nicht zum Widerstand gegen den Feminismus, ganz im Gegenteil!

Hören Šie, meine Herren, und folgen Sie 'mir aufmerksam! In ihrer hausbackenen, kleinstädtischen Treuherzigkeit stellten die Frauen sich vor, das Vorrecht, über die Völker zu gebieten, das bis vor fünfzig Jahren den Männern vorbehalten war, brächte Ehre, Freude, Befriedigung. Unsere Rivalinnen täuschten sich hier auf der ganzen Linie. Politik ist beschwerlich und gefahrvoll. Deshalb schlagen die Maskulinisten den vollen Übergang der Machtbefugnisse an die Frauen vor, die von Natur aus schlauer und anpassungsfähiger sind. Es soll nicht mehr nur vereinzelte weibliche Abgeordnete und Minister geben, sondern alle Parlamente und Regierungen sollen von Frauen gebildet werden. Sie haben ein gewandteres Mundwerk und auch mehr praktischen Sinn: die Politik ist für sie gemacht, nur für sie. Und angesichts dessen, was heute in der Welt vor sich geht, ist nicht zu befürchten, daß die öffentliche Sache schlechter fahren würde, denn das ist eine bare Unmöglichkeit.

Bürger, Männer, hört mich an! Der Maskulinismus bereitet eure Befreiung von schweren und undankbaren Aufgaben vor. Die Frauen sind jetzt schon in den Lehrstand eingetreten, aber sie sind noch in der Minderzahl. Der Beruf,

Knaben und Jünglinge zu unterrichten, ist ziemlich anödend und mühsam. Das Programm der Schüler aber ist überall das gleiche: wenig lernen und die Lehrer hintergehen. Die einzigen Schüler, die wirklich dahin kommen, etwas zu lernen, sind solche, die von selbst, aus eigenem Drang studieren. Weshalb sollte man also nicht auch den mittleren und höheren Unterricht den Frauen allein anvertrauen? Frauen haben mehr Geduld, mehr Schlauheit und auch größere Anziehungskraft: man kann also erwarten, daß die Schüler hievon mehr Nutzen haben werden als von männlichen Lehrern, die wiederum, befreit vom langweiligen und verhaßten Lehrzwang, endlich dazukommen können, ernsthafte Studien nach eigener Neigung zu betreiben. Das gleiche wäre von jeglicher Arbeitsform zu sagen.

Ihr werdet, liebe Freunde und Zuhörer, mich nun fragen, was die Männer tun werden, wenn einmal die geheiligten und rechtmäßigen Forderungen des Maskulinismus völlig durchgedrungen sind. Die Antwort ist nicht schwer: Befreit vom Arbeiten, von der Last des Regierens und von allen anderen Aufgaben, werden wir endlich in Frieden an der wunderbaren Schönheit der Welt uns erfreuen dürfen. Vom Tätigsein, das immer mühevoll und gefährlich ist, werden wir alle zur Seligkeit des Betrachtens aufsteigen. Die höchsten Betätigungen des Geistes, die heute nur wenigen möglich sind, weil die meisten für die kleineren Angelegenheiten des Lebens zu sorgen haben, werden von allen Männern ausgeübt werden können. Dichtung, Malerei, Bildhauerkunst, wissenschaftliche Forschung und metaphysisches Denken werden unsere einzigen täglichen Beschäftigungen sein. Die Menschheit wird in zwei große Kasten geschieden sein, bezeichnet durch das Geschlecht; die eine wird sich der Politik, dem Geschäftsleben, der Materialerzeugung, dem Unterricht und den Ämtern widmen, die andere — das sind die Männer — wird sich in ruhiger Gelassenheit den Künsten, dem Denken, der Erforschung des Schönen und Wahren hingeben, all dem also, was das Leben erträglich und begehrenswert macht. Ich meine, daß das Programm des Maskulinismus, das ich in Kürze auseinandergesetzt habe, Zustimmung bei unserem Geschlecht finden sollte, da es dieses von den praktischen Verpflichtungen befreit, die seines geistigen Vorrangs unwürdig sind.

Wir werden keinerlei Gewissensbisse haben, denn just die Frauen waren die ersten, die mit lauter Stimme die Forderung'erhoben, das zu tun, was bisher- ausschließlich der Mann, aufopfernd und in Ergebung, getan hatte. Wir unternehmen nichts anderes, als die letzten Konsequenzen ihrer Auflehnung anzukennen. Der Maskulinismus ist nicht eine Antwort auf den Feminismus, sondern seine weltweite Bestätigung im Sinne unserer Beglückung und im Namen wahrer Gerechtigkeit."

Inzwischen war die Zuhörerschaft allmählich eine kleine Menge geworden, und viele klatschten begeistert Beifall. Der Mann mit den roten Haaren und den schwarzen Augen wischte sich den Schweiß von der Stirne und lächelte ein seliges Lächeln. Ich aber verließ mit großen Schritten den Hydepark, um in das Savoy-Hotel zurückzukehren.

Aus dem Werk „Das schwarze Buch", Verlag Herold, Wien

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