6720317-1965_09_15.jpg
Digital In Arbeit

Maskenwelt des Lebens

Werbung
Werbung
Werbung

Der Titel des selten gespielten, neun-aktigen Schauspiels „Seltsames Zwischen-spiel“ (Strange Interlude) von Eugene O'Neill ist eine Metapher für das Leben selbst. Das unruhige Leben, erfüllt von Trieb und Eros, von der Angst und vom Suchen nach dem Höheren. Was ist das Leben? „Ein seltsames Zwischenspiel“, antwortet Nina, die Heldin im Drama, „worin wir Vergangenheit und Zukunft als Zeugen anrufen, um zu wissen, daß wir leben...“ In deutlicher Absicht erhebt der Dichter die Banalität des Lebens zum Schicksalsmotiv. In der Spannung zwischen Zufall und Unentrinnbarkeit werden die Menschen O'Neills zerrieben. Sie ziehen in ihrer entgötterten Welt das Verhängnis auf sich herab, weil sie nicht mehr fähig sind, über sich selbst hinauszuwachsen.

Das Seltsame dieses „Zwischenspiels“ liegt im Thema wie in der Methode. Die Psychoanalyse beschäftigte den großen Tragiker Amerikas seinerzeit derart, daß er Bewußtes und Unbewußtes auf der Bühne sichtbar und hrbar machen wollte Im Gott Brown lie er zur Unterschei Wahrheit und Spiel Masken aufund absetzen im Seltsamen Zwischenspiel- setzt er neun lan.gR Aktfe ^hindurch unmittelbar neben dep..,Pialpjg Ja^ut gesprochene innere .Monologe, um das Eigentliche, das- „wahre“ Wirkliche“ zu enthüllen gegenüber dem Äußerlichen, dem Konventionellen, dem Unwirklichen, hinter dem die Wahrheit immer verhüllt, maskiert erscheint. Es ist ein Stück der epischen, nachdenklichen Breite und Tiefe, das Drama der Frau in der amerikanischen Vaterwelt, in einem Kontinent, der Leistung, Lustgewinn und Selbstbehauptung über das weibliche Prinzip des Opfers und der Hingabe triumphieren läßt.

Die Lebensgeschichte Ninas, die einen Komplex von Schuld mit sich schleppt, weil sie sich ihrem Verlobten versagt hatte, ehe er im Krieg abstürzte, und darüber die Kraft der Hingabe verlor, die Chronik ihrer Beziehungen zu den drei Männern, die eine weite Lebensstrecke mit ihr zurücklegen, ist eine faszinierende Mischung aus Kolportage und Poesie. Uber manche Schwächen des Stückes, insbesondere das dramaturgisch recht willkürlich erfundene Motiv der erblichen Belastung, hilft O'Neills Meisterschaft der Menschendarstellung hinweg, seine „durch Kraft, Ehrlichkeit und starkes Gefühl geprägte Dramatik“ (wie es schon in der Motivierung der Verleihung des Nobelpreises an ihn hieß).

Berücksichtigt man die immensen Schwierigkeiten jeder Realisierung dieses bedeutenden Bühnenwerkes, dann gab es im Akademietheater einen großen Abend. Unter der behutsamen und einfühlenden Regie von Rudolf Steinboeck geriet vor allem der ständige Wechsel zwischen Aktion und Reflexion, Dialog und Monolog mühelos und natürlich. Aglaja Schmid brachte als Nina in ihrer Welt des geborstenen Ichs neben dem Dramatischen, Wirren, Triebhaften auch die zarteren, lyrischen Züge ihrer allbeherrschenden Rolle zur Geltung. Beachtliche schauspielerische Leistungen boten neben ihr: Walter Keyer als männlich beherrschter und resignierender Doktor Darrell, Wolf gang Stendar als der „glückliche“ Gatte Sam Evans, und Richard Münch als Schriftsteller Mardsen, der, statt zu leben, immer nur reflektiert. Alma Seidler ergriff in einer kurzen, leiderfüllten Szene als Sams Mutter, und Hans Thimig beeindruckte im ersten Akt als der bekümmerte Vater Ninas. Die eher konventionellen Bühnenbilder hatte Lois Egg entworfen.

Der überwiegende Teil des Publikums begriff das schwierige Unterfangen und zollte nach fast vierstündiaer Spieldauer starken Beifall für Darsteller und Regie.

Was dem Autorenpaar Carl Merz und Helmut Qualtinger mit ihrem ersten abendfüllenden Stück „Die Hinrichtung“ vorgeschwebt haben mag, zielt auf die Ton Boulevardpresse, Illustrierten, Film und Fernsehen hochgezüchtete Schauernd Sensationslust. Die beiden hatten einen bestechenden Einfall: Ein Manager der Vergnügungsindustrie verspricht sich vom Nervenkitzel einer öffentlichen Hinrichtung im Zeitalter der abgeschafften Todesstrafe ein „Mordsgeschäft“. Es findet sich ein Herr Reindl, ein gutmütiger armer Kerl, der sich für einige Millionen zugunsten seiner Schlampe von Frau und seinen drei Rangen von Kindern guillotinieren lassen will. Eine Zeitlang ist er der Held des Tages; aber am Ende kommt er um die große Schau und das viele Geld, denn das Stadion bleibt leer — weil es an dem Tag gerade regnet. Der Unternehmer ist pleite, der Exekutor klebt den „Kuckuck“ auf die Hinrichtungsmaschine.

Dieser im Absurd-Grotesken und im Bereich des schwarzen Humors beheimatete Einfall wird acht Bilder lang ausgewalzt. „Was die .Hinrichtung' anlangt“, äußerte sich Qualtinger in einem Interview, „wäre ich schon froh, wenn die Kritik die drei K nicht verwenden würde...: Herr Karl, Kabarett und Kafka!“ Nein, den letzteren wollen wir wirklich nicht erwähnen, aber um den Herrn Karl und das Kabarett kommen wir nicht herum. „Die Hinrichtung“ ist nämlich kein abendfüllendes Stück, hätte aber etwa als Einakter wie der „Herr Karl“ eine prachtvolle Kabarettnummer abgegeben. Doch schon seit längerem zieht es unsere erfolgreichsten Kabarettisten vom Kabarett weg zum Theater: als Schauspieler oder als Autoren, und das ist schadet

Im Volkstheater bemühte sich Gustav Manker als Regisseur, der nur wenig wirksamen Satire vom Schauspielerischen her aufzuhelfen. Helmut Qualtinger schuf als gefährlich gemütlicher Henker eine vollendete Type, Joseph Hendrichs entwickelte als Hinrichtungskandidat sogar etwas wie tragischen Humor, Hilde So-chor spielte witzig die Nutznießerin des geplanten Unternehmens, Hans Olden mimte einen reichlich schwachsinnigen Minister. Alles übrige blieb mehr oder weniger Schablone. Die ausgezeichneten Bühnenbilder stammten von Gustav Manker.

Das Theater in der Josefstadt spielt die tschechische Komödie „Das schwedische Zündholz“ von Marie und Alfred Radok, der als Regisseur und Mitbegründer der Prager „Latema Magica“ einen guten Namen hat. Das Stück basiert auf Motiven aus Erzählungen von Anton Tschechow und verbindet geschickt breite Milieuschilderung aus einer russischen Garnisonsstadt um 1890 mit kriminalistischer Spannung um einen vermeintlichen Mord.

Unter der versierten Regie des Autors brachte das Ensemble der Josefstadt (vor allem Ursula Schult, Peter Vogel, Guido Wieland, Curt Eilers, C. W. Fernbach, Rolf Kutschera, Elfriede Ramhapp) eine halbwegs amüsante Aufführung zustande. Die Bühnenbilder von Ladislav Vychodil konnten weniger überzeugen. Bleibt nur die Frage, ob es nicht besser gewesen wäre, statt des Ersatzes gleich ein Originalwerk von Tschechow oder Gogol durch Alfred Radok inszenieren zu lassen?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung