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„Mathis der Maler“ unter Paul Hindemith
Hindemiths Oper „Mathis der Maler“ ist in dreifacher Hinsicht bedeutsam.-Sie bezeichnet —’mifsik & lisch’— einen ersteh Höhepunkt im Schaffen des Komponisten) in dem selbstverfaßten’Text setzt sich Hindemith mit dem immer wieder aktuellen Problem „Kunst und Leben“, „Künstler und Welt auseinander (und zieht unmittelbar nach Vollendung der Oper, 1934, die Konsequenzen, indem er seine Heimat verläßt); schließlich vollzieht 6ich in diesem’ Werk nach einer Periode des Sturms und Drangs die Rückwendung zu jenen Werten und Quellen, aus denen die Kunst der älteren Meišter, besonders die J. S. Bachs, aber auch die Anton Bruckners, gespeist wurde. (Hindemith hat hierüber in seinen Schriften, aus denen wir ln der letzten Folge der „Furche“ unter dem Titel „Vom Ethos des Komponisten“ eine Auswahl brachten, selbst ausgesagt.)
Die Handlung der Oper spielt in der Zeit der Bauernkriege, in deren Kämpfen und Greueln sich die Gegenwart spiegelt. Zwischen Katholiken und Protestanten, Adeligen und Bauern, Arm und Reich steht der Künstler, der Schöpfer des Isenheimer Altars: Matthias Grünewald. Er nimmt teil, er ergreift Partei. Aber bald muß er erkennen, daß dies nicht sein Geschäft ist; nur zum Bilden ist er begabt. In der visionären Begegnung „Der heilige Antonius in der Einsiedelei des heiligen Paulus“ wird ihm diese Wahrheit offenbar.
In der vom Komponisten geleiteten konzertanten Aufführung im Musikverein wurden die letzten drei Bilder, etwa die Hälfte der ganzen Oper, dargeboten. Der bedeutende, gedankenreiche Text wird auf die aller- natürlichste und eindrucksvollste Art deklamiert, das Orchester — dessen Stil wir aus der „Mathis-Suite“ kennen — scheint selbständig, ißt aber mit den Gesangspartien auf eine fast geheimnisvolle Weise verknüpft. Die Polyphonie hat noch einmal in der Oper das Feld behauptet Wenn irgendwo, dann hat man beim Anhören dieses Werkes den Eindruck, daß es der Geist ist der die Musik macht. Von ihm schienen auch die Ausführenden erfaßt: die ganz vorzüglichen Solisten Theo Baylė, Erich Witte, Hilde Zadek, Irmgard Seefried und Lore Fischer, der große Chor des Singvereins, der in der turbulenten Partie der Visionsszene von der Versuchung des heiligen Antonius gewaltige dynamische Wirkungen erzielte, und das Orchester der Wiener Symphoniker, das mit dem Hindemith- Stil längst und bestens vertraut ist. Der Komponist dirigierte mit der Routine und Großzügigkeit eines gelernten Opernkapellmeisters.
Der Erfolg dieser Aufführung war ungewöhnlich. Der Einsicht, ein bedeutendes Kunstwerk kennengelernt zu haben, konnte sich niemand- verschließen. An , diesem denkwürdigen Abend hatte man den Eindruck, daß die „kleine, aber lautstarke Gruppe“, die in
Wien seit sieben Jahren immer wieder um die Aufführung zeitgenössischer Werke bittet, den ganzen großen Musikvereinssaal (Fassungsraum 1985 Personen) gefüllt hat.
Goffredo Petras6i6 Kuraoper „Morte delTaria“ („Der Tod der Hoffnung“), eine Art italienisches Lehrstück vom Fliegen, besitzt weder die stürmende Diktion der Brechtschen Verse noch Hindemiths elementar überzeugende Tonsprache. Dennoch ist die aparte Verzwölftonung einer hinter nüchternsten Sätzen versteckten dichterischen und ethischen Idee ein höchst eigenartiges Werk, Oper in einer einzigen Szene von wirkungsvollstem dramatischem Bau, in seiner musikalischen Konsequenz tapfer zu sich selbst stehend wie der Held dieser Szene. Die Wiedergabe unter Kurt Rapfs Führung schöpfte aus der innerlichen Sicherheit der Komposition ihre tiefste Wirkung — Gleich in der Absage an die Romantik, doch innerlich grundverschiedener Art: Frank Martins „Le vin herbe“ („Der Zaubertrank“), die Geschichte von Tristan und Isolde,- lyrische Oper für Singstiimmen, sieben Streichinstrumente und Klavier. Das prägnante Profil eines feinsinnigen Komponisten 6teht hier im Vordergrund. Einfache Akkordik, impressionistische Klänge und Dodekaphonik mischen sich darin auf seltsam eindrucksvolle Weise zu jener Spannung, die den Hörer in Atem hält. Rein äußerliche Effekte sind fast ängstlich gemieden, doch hat die knappe Sachlichkeit de6 Berichtes große innere Leuchtkraft, die selbst in der Schilderung der Meerfahrt keiner lärmenden Mittel bedarf, In der hervorragend schönen Wiedergabe des Akademiekammerchors unter Anton Heiller übte das Werk starken und nachhaltigen Eindruck.
Die „Zehn Gedichte aus dem Buch der hängenden Gärten“ von Stefan George, welt- abgewandte Verse von Platenscher Kühle und Einsamkeit, haben in Arnold Schönbergs verhaltener, ähnlicher seelischer Disposition entstammender Musik die ihnen adäquate Vertonung gefunden, deren 6ie bedurften, um au6 ihrer etwas erstarrten Rhythmik erlöst zu werden. Hier schließt sich ein geistjger Ring, dessen Erlebnis allerdings einer künstlerischer Reife bedarf, wie sie Elisabeth Höngen besitzt, um in seiner seltnem fremden, doch festgefügten Einheit vermittelt zu werden; ebenso wie die landschaftsgebundeneren und blutvolleren „Chansons medecasses“ von Maurice Ravel innerhalb der gleichen großen Entwicklung beheimatet, von deren frühen Ernten die Künstlerin Kostbarkeiten von Heinrich Schütz, Dietrich Buxtehude, Johann Christoph Bąch und G. Ph, Telemann am gleichen Abend sang. Die scheinbar andere Welt dieser Musik ist die gleiche Welt, hur die Jahreszeit des Abendlandes ist der Frühling nicht mehr.
Vollends demonstrativ hat der Akademiekammerchor alte und neue Chorwerke einander gegenübergestellt und dde bruchlose Zusammengehörigkeit auch der Jüngsten mit dem reichen überkommenen Erbe unterstrichen In der Tat waltet in Friedrich Wildgans’ „Drei Liedern; auf Texte - des Abraham a Sancta Clara“ die unverbrauchte Frische eine6 frühen Jahrhunderts, ‘ während Alexander von Spitzmüller („Der 129. Psalm“) der spekulativen, Paul Ärgerer (Kantate „Wen der Himmel retten will, dem gibt er die Liebe“) hingegen mehr der primitiven Ausdrucksart der alten Meister, die freilich beides in sich vereinten, 6 ei ne Impulse verdankt. .Ferdinand Großmann, verdienstvoll um das Chorschaffen der Gegenwart bemüht, musizierte mit seinem diffizilen und kostbaren Chorinstrument das Alte und das Neue mit gleicher Intensität über die Jahrhunderte hinweg, mit dem Herzen wohl der Gegenwart um einen Schlag näher als der hochverehrten Vergangenheit.
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