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Medea: Mythos und Komplex

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Im Rahmen der Grazer Festwochen gab das Burgtheater als Gastspiel Grillparzers „Medea“, während im eigenen Schauspielhaus die Welturaufführung von Csokors gleichnamigem Schauspiel stattfand. Ein fesselndes Nebeneinander, das erschütterndes Erlebnis werden sollte.

Grillparzers „Medea“, jene nur durch das Genie des großen Meisters mögliche Einigung von Griechentum und Wienertum, wurde nicht zuletzt durch. die kühne Inszenierung . Dr. Rotts auf den Stufen des Stephaniensaales, des größten Grazer Konzertsaales, stärkstes’Erlebnis. Der alte Mythos von der zauberischen Kolcherin, die dem hellenischen Helden in seine Heimat folgt, um, wie einst seine Rettung, so jetzt sein Untergang zu werden, auf wunderbare und dennoch menschlich nur allzubegreifliche Weise, bedingt durch die dämonische Macht des Goldenen Vließes, diese ganze tiefreiigi- öse Fabel erwacht in Grillparzers Werk zu neuem Leben — wie persönlich, ja wie wenig griechisch sie auch geschaut sein mag.

Trotz allen Veränderungen, die durch seine Zeit und seine Persönlichkeit bedingt waren, schuf Grillparzer hier klassische, das heißt für das ganze Menschengeschlecht und für alle Zelten symbolhafte Gestalten, nicht als Ergebnis psychologischer Forschungen, sondern aus dem Erlebnis des Mitmenschen!

Die Aufführung des Burgtheaters, wurde Grillparzers Auffassung klassisch voll gerecht. Es interessierte keine kleinliche Umwelt, selbst wenn Grillparzers Phantasie sie noch geschaut haben sollte. Da waren nur die Menschen, wie sie aus der Vision des Dichters Gestalt gewannen! Wenn sie sprechen, wenn de handeln, erwachen sie aus ihrer statuarischen Stille zu warmen, fühlenden Geschöpfen, ganz nach dem Herzen des Dichters. Doch immer noch befinden sie sich im Halbkreis des klassischen Theaters, drohend überwacht von den Riesenfiguren der alten Götter.

Die improvisierte Form, die Darstellung eines Sprechstückes in einem Konzertsaal, ohne Vorhang, mit der geringsten, nur stilisierten Szenerie, trug wesentlich dazu bei, das Ewiggültige des Werkes hervorzuheben. Ein neuer, bei uns bisher noch kaum eingeschlagener Weg der Theaterentwicklung scheint hiemit begonnen, der Verzicht auf die Enge des Gudckastens zugunsten des Einfach-Monumentalen, zugleich ein Weg von einer im wesentlichen nur ästhetischen Schaubühne zu einem Theater vollgültigen Erlebens, zu kultischem, religiösem Theater.

Es war schwer, nach dieser für das Grazer Publikum so eindrucksvollen Aufführung eines Grillparzer-Werkes durch das Burgtheater, am eigenen Schauspielhaus eine moderne Medea herauszubringen. Ein kühner Versuch..- Wenn wir Grillparzer als einen Repräsentanten Österreichs, ja vielleicht überhaupt des Abendlandes, im 19. Jahrhundert ansehen dürfen, Franz Theodor Csokor dagegen äls einen Dichter unserer Zeit, dann wurde diese Aufführung erschütterndes Erlebnis, ein Herabgestoßenwerden von der Höhe einer in ihrem Schmerz, in ihrer Verzweiflung noch erhabenen Welt in die Tiefe verkommenen Elends, in dem Menschen an Gott nur mehr glauben, weil sie täglich dem Teufel begegnen. Dieser Gottesbeweis aus der Verzweiflung, die Summe aus dem ganzen fünfaktigen Geschehen — kennzeichnet einfach und erschütternd das Wesen dieses Dramas.

Medea ist die Frau in Uniform, die Par- tisanin von 1945 (daß das Stück in Griechenland spielt, ist nach des Dichters eigenen, Worten nur Ehrfurcht vor der alten Sage), die ihrem Mann jahrelang durch Not und Tod des Krieges gefolgt ist. Als aber der Krieg zu Ende ist, erkennt der Mann, daß er sie nicht mehr liebt, er sehnt sich nach Ruhe, nach Rast, nach „Frieden“ — nach einer Frau, die fern von Krieg und Gefahr ihre weibliche Schönheit als höchstes Gut bewahrt hat: Jason sehnt sich nach Kreusa. Der moderne Jason findet dieses Nur-Weib in einer Dirne. Aber die moderne Medea rächt sich nicht durch eine zauberische Flamme, Ile rächt sich — zu welcher Grausamkeit erzog zweitausendjährige Zivilisation — durch ein leprainfiziertes Kopftuch, das sie ihrer Feindin anbietet. Ihr werdendes Kind aber stößt sie aus. Dann geht sie, die Kinder gefallener Eltern für eine neue, bessere Welt zi erziehen. Der Mann aber erkennt seine Schuld: war es ihm im Kriege ja doch nur darum gegangen, im „Frieden“ sein eigenes Leben genießen zu können! .

Soweit das psychologisch folgerichtig und fesselnd aufgebaute Geschehen. Warum aber mußte eine Medea-Sage, die in sich genug an Grausamkeiten birgt, noch zu einem Konglomerat untermenschlicher Scheußlichkeit gemacht werden? Krieg, Exekution, Prostitution, Aussatz und Abtreibung — das erregt den Verdacht auf gewollt Häßliches und bedeutet eine Verschlechterung der Welt, die wir heute tatsächlich nicht notwendig haben. Anschauungen einer nun doch schon vergangenen Zeit, der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts, klingen trotz aller Aktualität auf, wenn in Sprache und Handlung die Alleinherrschaft des Sexus zur Sinngebung des Lehens wird, wenn der Mann jedwede Sendung seinen Trieben aufopfert.

Immer drückender wird im Verlauf der Handlung die Stimmung, jeder Akt lastet schwerer auf Darstellern und Zuhörern, während wirklich dramatisdier Atem nur die letzte Auseinandersetzung zwischen Mann und Weib durchpulst. Grauenhaft wirken in dieser dunklen Atmosphäre die obszön-possenhaften Szenen zwischen Jason und der Dirne, abstoßend, wie das Publikum sie als harmlose Lustspielsituationen auffaßte und sich dabei glänzend amüsierte!

Schnell war da der furchtbare Hintergrund vergessen

„Medea-Komplex“, so nennt der Dichter selbst dieses Nachkriegsproblem zwischen Mann und Frau und gibt uns damit den Schlüssel zum Verständnis seines Werkes in die Hand. Aus alter Märe ist psychologischer Dialog, aus schicksalsgeborenem Mythos der Vorzeit krankhafter Wahn moderner Menschen geworden. Die Götter teilen nicht mehr das Geschick der Menschen (so erkennt Csokors Medea), jede Bindung an die höhere Macht, jede Hoffnung auch auf tragische Aussöhnung mit den Überirdischen, wie sie die andere Medea durch die Rückgabe des geraubten Vließes in Delphi herbeiführen will, ist erstorben. „Mea culpa“ ist das letzte verzweifelte Bekenntnis c&s Mannes, während der Chor sein Wehe über die gefallene Welt anstimmt!

Die Inszenierung Helmuth Ebbs arbeitete den geistigen Gehalt des Stückes durch besondere Prägnanz des Dialogs scharf heraus. Der altgriechische Rahmen, der Auftritt Medeäs und Jasons in Maske (Prolog) und die Chöre zu Anfang und Ende, wirkten vor allem klanglich zu wenig überzeitlichmonumental, die Worte des Chors waren zudem kaum vernehmbar.

Auch die Dameller waren dem Stücjc gegenüber vor allem intellektuell eingestellt, besonders bei der Darstellerin der weiblichen Hauptrolle (Edith Friedl) blieb eine Kluft zwischen Interpretation und Spiel spürbar: diese moderne Medea voll auszuschöpfen, würde an eine Darstellerin Ansprüche stellen, deren Erfüllung das Publikum nur mit Frösteln erwidern könnte.

•Die Partisanin in Uniform mag für den Balkan heute ein psychologisches Problem sein, bei uns ist die Frau, trotz aller militaristischen Erziehung eines vergangenen Systems, nie so weit gegangen, und deshalb kann auch Csokors Grundproblem uns nicht so nah berühren, obwohl auch er sein Stück für allgemein gültig erklärt. Grillparzers antik gekleidete Medea erscheint uns zeitloser und eben dadurch gegenwärtiger als die moderne Griechin in Uniform und Stiefeln. Der Mythos von der dunklen Kolcherin wird die Zeiten überdauern, der Medea-Komplex aber hoffentlich nur die vorübergehende Krankheit einer irrenden Zeit sein!

Als wir das Theater nach zwei Stunden inneren Bgdrängtseins verließen und in die sternklare Sommernacht hinaustraten, erkannten wir dankbar, daß die Welt trotz allem noch so viel Schönheit birgt, daß wir an das Gute glauben dürfen. Trotz allem.

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