Medea trifft Tierdoku

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Eros und Thanatos, der Lebens-und der Todestrieb, motivieren nach Freud unbewusst unsere Empfindungen und Handlungen. Ein archaisches Modell - und archaisch gibt sich auch Tanja Paars Debütroman "Die Unversehrten", in dem diese beiden Gegensätze als strukturierende Achsen installiert werden.

Dabei beginnt es zunächst recht zivilisiert. "Eine Beziehung auf Armlänge. Sie entsprach ihrem Wesen." Die Rede ist von Violante und Martin, die eine Fernbeziehung führen. Dass Martin nicht treu ist, stört Violante scheinbar wenig. Sex sei für ihn so bedeutungslos wie Zähneputzen. Große Eifersucht kommt nicht auf, dass ihr die Zukunft mit Martin gehört, steht für Vio fest. Ein Irrtum, zumindest zunächst. Als eine seiner Affären, Klara, schwanger wird und sich von ihm nicht zur Abtreibung überreden lässt, beschließt Martin, die Verantwortung zu übernehmen. Violante räumt das Feld, Martin und Klara heiraten und werden Eltern von Christina. Als Vio nach einiger Zeit wieder auf der Bildfläche auftaucht, ist das ohnehin nur bedingt glückliche Familienleben gefährdet. Violenta legt es darauf an, Martin zurückzuerobern. "Ihre sorgfältig geplante Wien-Reise, die Auswahl des Restaurants, in das sie heute Abend mit ihm gehen, und des Hotels, in dem sie heute mit ihm schlafen würde. Alles was sie vorhatte zu sagen und zu verschweigen."

Dass das Leben aus einer Aneinanderreihung von Wiederholungen besteht, ist bei Tanja Paar wörtlich zu nehmen. Diesmal betrügt Martin Klara mit Vio und abermals will er sich nicht entscheiden, bis ihm die Entscheidung abgenommen wird. Schließlich hat Martin mit beiden Frauen ein Kind und ein bitterböses Eifersuchtsdrama nimmt seinen Lauf, dem, das wird schon im Präludium gesagt, drum sei es auch hier verraten, ein Baby zum Opfer fällt.

Unfassbarer Hass

"Die Unversehrten" behandelt klassische Themen: ein Mann zwischen zwei Frauen, Verletzungen in Paarbeziehungen, die Konflikte, wenn Familienkonstellationen sich überschneiden, aber die Protagonisten nicht damit leben können. Das wurde schon tausendfach erzählt, oft wesentlich besser, aber auch bei weitem schlechter. Doch Tanja Paar gibt sich mit dem Alltäglichen nicht zufrieden, sie will das Ganze zur antiken Tragödie überhöhen, und genau das geht leider gehörig schief.

Unversehrt bleibt hier niemand. Wie Furien gehen die beiden Kontrahentinnen aufeinander los und plötzlich steht ein unfassbarer Hass im Raum, der der Situation nicht ansatzweise gerecht wird. Wie eine Naturkatastrophe bricht das Unglück über die drei Erwachsenen und zwei Kinder herein, dass man beim Lesen nicht weiß, ob man in einer Tierdoku gelandet ist, in der Löwen den Nachwuchs der Rivalen zerfleischen, oder in der Aufführung einer Puccini-Oper. Diese Überdramatik wäre gar nicht notwendig gewesen, denn Paars Erzählstil ist dynamisch, sie verschränkt verspielt Perspektiven miteinander und die Konflikte moderner Paarbeziehungen werden auch so deutlich genug. Den Kindsmord als Medea-Reminiszenz zu stilisieren, wird dem Mythos nicht gerecht. Das mag als schwergewichtiges Symbol gedacht gewesen sein, doch ob man 2018 die Ermordung eines Säuglings, im Affekt oder nicht, als zugespitztes Bild für Eifersucht und die hasserfüllte Rivalität zwischen Frauen verwenden sollte, ist mehr als fragwürdig. "Komm, wir machen ein neues Baby", sagt Vio zu Martin, als dieser davon spricht, dass er seine Tochter vermisst.

Tanja Paars Überdramatik wäre gar nicht notwendig gewesen, denn ihr Erzählstil ist dynamisch und die Konflikte moderner Paarbeziehungen werden auch so deutlich genug.

Klischeehafte Figuren

Die Frauen ergehen sich in einer Konkurrenz des Genmaterials, nur Martin, der liebt seine beiden Kinder. Das mutet dann doch arg naturalistisch gedacht an. Die Figuren bleiben klischeehaft, die zunächst scheinbar emanzipierten Frauen definieren sich ausschließlich über ihre Stellung zu Mann, Kind und der Rivalin. Dabei beschreibt Paar, und das gehört zu den stärksten Passagen des Buches, sehr schön, wie Klara sich von Martin immer mehr entfremdet, bis hin zur körperlichen Abwehr. Die krankhafte Eifersucht passt da nicht so recht ins Bild.

Am Schluss nimmt der Plot noch eine unerwartete Wendung, was zwar für Spannung sorgt -und mangelnde Spannung kann man dem Buch auch insgesamt nicht vorwerfen -, aber leider der Erzähllogik des Textes widerspricht. Überhaupt ist das Konzept unstimmig, weil es zwischen Beziehungsdrama, Psychogramm und Kriminalroman changiert, was nur gutgehen kann, wenn die diesen Genres inhärenten Regeln in dieselbe Richtung streben. Das tun sie bei Paar aber nicht, sodass das Artifizielle der Konstruktion spürbar wird. Der Kindsmord bei Medea ist Ausdruck ihrer Marginalisierung und Unterdrückung, ein zutiefst gesellschaftspolitisches Motiv, das verschiedenste Deutungen erlaubt: Er kann politisch gedeutet werden, wie bei Christa Wolf, oder psychologisch wie bei Grillparzer. In "Die Unversehrten" wird er zum Spielball des Effektes degradiert. Die Kluft zwischen stilisierter, hypertropher Tragödie und realistischem Drama klafft zu weit auseinander. Fremde H&M-Damenslips im Wäschestapel treiben Medea nicht in den Wahnsinn.

Die Unversehrten Roman von Tanja Paar Haymon 2018.160 S., geb. , e 17,90

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