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Mehr Eigeninitiative im Alter

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dieFurche: Es gibt in Österreich kaum Untersuchungen darüber, was alte Leute tun, wohin sie gern gehen, was sie im Kulturbetrieb vermissen

Leopold Rosenmayr: In Österreich werden die Menschen bespielt. Die grundsätzliche Kritik, daß wir über die tatsächliche Partizipation an unseren Kultureinrichtungen zu wenig Wissen haben, stimmt. Und daß wir auch zu wenig wissen, warum das so ist und wo Rehinderungen sind.Wir werden anläßlich des fünfzehnjährigen Bestehens des „Boltzmann Instituts für Sozialgerontologie und Lebenslaufforschung" im Mai dieses Jahres eine Studie herausbringen, die hier einen Anfang setzt.

dieFurche: Die Staatsopernuntersuchung von Professor Karmasin aus dem Jahr 1994 ergab, daß gerade in der ältesten Besucherschicht ein großes Potential da wäre.

Rosenmayr: Die Gruppe von Menschen mit Wünschen, die sie nicht realisieren, nimmt meines E.rachtens mit dem Älterwerden zu. Von all diesen Faktoren, wie Angst am Abend, weiß man sehr wenig, ob sie vorgeschoben oder real oder eine Mischung aus beidem sind.

dieFurche: Sind Sie dafür, daß Senioren an den Universitäten studieren dürfen?

Rosenmayr: Ich bin dafür, aber man darf nicht überschätzen, was da passiert. Ich habe einige Zeit Seniorenseminare gemacht. Das war sehr spannend und dramatisch. Der Effekt ist eingetreten, daß vor allem Frauen von sechzig bis fünfundsiebzig Jahren Qualitäten herausgestellt haben, die sie bisher nie in dieser Weise herausstellen konnten. Eine Dame zum Beispiel, hat allwöchentlich Pflanzenarrangements mitgebracht.

dieFurche: Ist das ein Zeichen dafür, daß die Senioren im Studium vor allem die Bühne der Präsentation suchen?

Rosenmayr: Sicher, eine andere hat uns jede Woche mit auserlesenstem Essen versorgt. Ich interpretiere das einerseits als Selbstdarstellung, andererseits als Potential, etwas geben zu wollen. Nicht nur für das eigene Ansehen, sondern - was bei uns so oft verschüttet ist und so wenig gefördert wird - für die anderen.

dieFurche: Während der Kulturkonsum zurückgeht, nimmt die Lust auf Produktivität nicht ab — sagt die Statistik

Rosenmayr: Ja, aber um diese Lust zu fördern und zu erhalten, müssen Anlaufstellen geschaffen werden. Es braucht Stellen, wo die Leute beraten werden und Erfahrungen austauschen können. In Baden Württemberg wurde im März 1993 eine Initiative „3. Lebensalter" ins Leben gerufen. In fünf deutschen Städten - unter anderem Mannheim und Friedrichshafen - wurden unter wissenschaftlicher Begleitung Projektgruppen von Bürgern zwischen fünfzig und siebzig Jahren gegründet und gefördert: Aus ihnen entstanden Bürgerbüros in intergenerativer Zusammenarbeit mit einem relativ hohen Zeit- und Energie-Input der Älteren. Sie tragen Selbstverantwortung, sind Partner der öffentlichen Verwaltung, arbeiten generationsübergreifend, sind nicht nur für die Probleme der Älteren da und führen zu einem bürgerschaftlichen Engagement.

dieFurche: Österreich beginnt, in solchen Zellen zu arbeiten

Rosenmayr: Zur Entstehung einer konnte ich unwissentlich beitragen. Bei einem meiner Seniorenseminare war ich ziemlich frustriert, weil die Herrschaften nur zuhören und reden wollten, aber nicht bereit waren, einen Artikel zu lesen. Ich habe dann einen riesigen Wutanfall bekommen und habe drei Damen ziemlich heftig angeschrieen. Gerade diese drei Damen haben die „Wissensbörse" gegründet, geben jetzt eine Zeitung heraus, wo sie ihre Serviceleistungen austauschen. Sie leisten gute Arbeit mit einer kleinen Subvention vom Familienministerium.

dieFurche: Wie unterscheidet sich Kulturkonsum der Jüngeren von dem der Alteren?

Rosenmayr: Der Kulturbegriff der bis Vierzigjährigen ist dem Kulturbegriff der Sechzigjährigen und Älteren völlig verschieden. Das ist nur dasselbe Wort, aber man versteht etwas völlig anderes darunter. Wir unterscheiden drei Altersabschnitte. Für die jüngsten - bis vierzig Jahre - bedeutet Kultur Lebensgenuß und Lebensstil. Kunst ist für sie Unterhaltung und bedeutet eine gewisse Vielfalt, aus der man auswählen kann. Die Älteren nähern sich dem klassischen Kanon aus Oper und Konzerthaus und den -traditionellen - Burgtheatervorstellungen, unter teilweisem Einschluß der neueren Kunst an. Aber es hat nichts mit jener Lebensauseinandersetzung zu tun, die für die Jüngeren so wichtig ist. Im mittleren Lebensalter gewinnt die Suche nach Erfahrungen, auch Selbsterfahrung, etwa auf Fernreisen, an Bedeutung. Die extrinsi-schen Motive, das Darüber-Erzählen-Können, sind bei Leuten in der Lebensmitte stärker als die intrinsischen. Bei den Älteren ist das nicht unbedingt so: da setzen sich die intrinsischen Faktoren durch, man geht der Ausstellung wegen in die Ausstellung. Anhand von Museumsuntersuchungen haben wir das nachgewiesen.

dieFurche: Verbindet Kultur Alte mit Jungen?

Rosenmayr: Aufbrechen oder Binden können immer nur gemeinsame Ziele und Interessen, wobei beim Kulturbesuch wohl eine bestimmte Vorselektion stattfindet. Wo es gemeinsame Ziele gibt, gibt es einen Austausch. Bei mir ist das am ehesten dqr Sport.

dieFurche: Brauchen wir eine Sen orenpartei?

Rosenmayr: Ich glaube nicht. Wiir brauchen eine Politik, die die Gene rationsprobleme und Altersfragen in einer souveränen Weise behandelt. Ich vermisse eine Alterskultur.

dieFurche: Wo geschieht das vorbila lieh?

Rosenmayr: In Frankreich oder auch in Deutschland. Dort fördert die Poli tik das,.was die Basis entwickelt hat, dieFurche: Wären Sie für die Einsetzung eines Seniorenministers?

Rosenmayr: Ich bin für die Schaffuni einer Abteilung für Seniorenangele genheiten in einem zukünftigen Fa milien- oder Gesundheitsministeri um. Ein zentraler Weg der Senioren politik ist die Förderung und Beach tung von Basisinitiativen.

Man muß Wert darauf legen, dal die Menschen - ihren regionalen unc sozialen Gegebenheiten angepaßt etwas auf die Beine stellen. Insoferr halte ich das System der Seniorenver bände nicht mehr unseren Bedürfnis sen entsprechend. Sie werden entwe der Plätze für politische Deklaratio nen oder Reisebüros. Aber das eigent liehe Leben, das zur weiteren Reifung und Aktivierung beiträgt, betreffen sie nicht.

dieFurche: Sind Ältere gute Lehrer für Altere?

Rosenmayr: Das eigene Lebensalter ist nicht notwendigerweise die beste Rekommandierung für dessen Pro Werne. Alle integrativen Ansätze, in denen täglich beschäftigte Leute eine Koordinationsfunktion ausüben, sind notwendig. Der Weg führt zu ge mischten Systemen: Gemischt zwi sehen Öffentlichkeit und Selbstorganisation. Die große Zukunft liegt im Mix.

Leopold Rosenmayr ist

Begründer des Instituts für Soziologie und des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Sozialgerontologie und Lebenslaufforschung und emeritierter Professor für Soziologie an der Universtitä Wien.

Das Gespräch führte Irene Suchy.

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