Mein Vater, der Spitzel

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Péter Esterházy musste das Bild seines Vaters korrigieren und hat Ungarns Gesellschaft entlarvt.

Das Markenzeichen des großen ungarischen Prosaautors Péter Esterházy ist Intertextualität: Er tut nicht so, als könne ein Schriftsteller einfach mit Sätzen die Welt beschreiben oder eine eigene Welt schaffen, sondern geht aus von Sätzen und Texten, die er im Kopf hat. So hat er "Gasttexte" seiner Kollegen Imre Kertész oder Bohumil Hrabal integriert und variiert oder - etwa in "Donau abwärts" - Zitate längst vergangener Zeiten in die eigenen eingeschmuggelt. Als "Einübung" in dieses Verfahren hat er am Beginn seiner Schriftsteller-Karriere einen ganzen Roman von Géza Otlik auf ein einziges Blatt Papier abgeschrieben.

Aber jetzt haben die Lebensumstände Péter Esterházy dazu genötigt, Texte ganz anderer Art abzuschreiben und in das eigene Buch zu integrieren: Passagen aus den Agenten-Berichten, die sein eigener Vater für den ungarischen Gehheimdienst angefertigt hatte. In Ungarn hat dieses Buch im Vorjahr wie eine Bombe eingeschlagen, hat man doch erst daraus von der Agententätigkeit seiner Vaters erfahren. Péter Esterházy hat es auch deswegen geschrieben, um anderen Veröffentlichungen zuvorzukommen. Denn sein Vater Mátyás Esterházy war eine bekannte Persönlichkeit: nicht nur als Spross der berühmten ungarischen Adelsfamilie, sondern weil Péter Esterházy ihm in seinem Opus magnum, dem Roman "Harmonia caelestis", ein literarisches Denkmal gesetzt hatte.

Handschrift des Vaters

Im Herbst 1999, gegen Ende seiner Arbeit an diesem monumentalen Familien-Roman, der ihn neun Jahre beschäftigte, war Péter Esterházys Antrag auf Akteneinsicht beim "Amt für Geschichte" bewilligt worden. "Ich möchte wissen, ob ich seinerzeit überwacht oder abgehört wurde", dachte Esterházy, oder: "Kann sein, dass mein Vater abgehört wurde." Doch anstelle einer Geheimdienst-Akte über sich und seine Familie erhielt er vier vergilbte Agentendossiers, in denen er sofort die Handschrift seines Vaters erkannte. Von der Erschütterung, die diese Erkenntnis ausgelöst hat, handelt das neue Buch "Verbesserte Ausgabe" - der Titel spielt auf "Harmonia caelestis" an und die Korrekturen am Porträt des Vaters, die nun notwendig wurden.

Das Buch reflektiert auch die Zeit und den Prozess des Schreibens, vor allem wie Péter Esterházy mit "Harmonia caelestis" in der Öffentlichkeit steht, Lesungen hält, während das Wissen über die Agententätigkeit des Vaters immer konkretere Gestalt annimmt. Doch "Harmonia caelestis" ist nicht der einzige Grund, warum die private Geschichte Esterházy als Schriftsteller so sehr bedroht. Gerade er hat - etwa in der "Kleinen ungarischen Pornographie" oder in zahlreichen Essays - die schlampig-augenzwinkernde Verstricktheit eines jeden in das kommunistische System dargestellt. Péter Esterházy ist klar: Hätte er früher von der Rolle des eigenen Vaters gewusst, hätte er keines seiner Bücher so schreiben können, wie er es geschrieben hat.

Und hinter der Krise des Schriftstellers steht die private Tragödie. Erinnerungen werden wach: an Geburtstagsfeiern, zu denen der Vater zu spät gekommen ist - in den Dossiers des Geheimdienstagenten findet sich der Grund; an gemeinsam mit dem Vater besuchte Fußballspiele - aus den Dossiers geht hervor: Der Geheimdienst hat die Besuche gewollt und die Karten besorgt. Dazu Fragen über Fragen: Was hat die Mutter gewusst? Sind manche Sätze von Familienmitgliedern nachträglich als Anspielungen zu verstehen? Zweifellos ist "Verbesserte Ausgabe" Esterházys bislang persönlichstes Buch. Und vielleicht ist er gerade auf dieser Ebene gescheitert, wie Ilma Rakusa in der "Neuen Zürcher Zeitung" geschrieben hat. Wehleidigkeit und Selbstmitleid nehmen an manchen Stellen zweifellos überhand, wenn auch ironisch gebrochen. Aber angesichts dieser Materie überzeugt eben auch die ironische Brechung nicht so recht.

Alle haben mitgemacht

Und trotzdem ist "Verbesserte Ausgabe" ein Jahrhundertbuch. Denn aus den Mikroszenerien der Agentenberichte und vor allem aus dem Kontext, den Péter Esterházy herstellt, wird überdeutlich, was Totalitarismus bedeutet - gerade auch in der "leichten", der ungarischen Variante, wo die Distanz zum System nicht gleich lebensbedrohend war. Doch so war auch das Mitmachen leichter - man hat ja niemandem direkt geschadet, so das Argument. Péter Esterházys Buch zeigt die Beschädigungen, die das heimliche Belauschen ausgelöst hat, quasi unter einem Vergrößerungsglas. Und die Schwierigkeit der Aufarbeitung der Vergangenheit in Ungarn: "Die Kádár-Ära lief (bis auf kleine Widerständchen und Angeekeltheiten) mit unserem Einverständnis ab." Deutlich wird dabei: "die Zerbrechlichkeit des Menschen. Ich glaube, jeder kann zum Spitzel werden." Klare Worte findet der Katholik Esterházy für das Verhalten seiner Kirche, die die Untersuchung ihrer Vergangenheit verweigert.

"Verbesserte Ausgabe" setzt eine gewisse Kenntnis des Esterházyschen Werkes voraus. Sie ist ein Schlüsselwerk, um nicht nur Ungarn, sondern die Grundzüge aller postkommunistischen Gesellschaften zu verstehen. Eine atemberaubende Lektüre, notwendig zum Verständnis des 20. Jahrhunderts.

verbesserte ausgabe

Von Péter Esterházy

Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki. Berlin Verlag, Berlin 2003

374 Seiten, geb., e 22,70

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