6641214-1957_46_15.jpg
Digital In Arbeit

„Meine Augen sind müde“

Werbung
Werbung
Werbung

„Meine Augen sind müde", schrieb der Maler Fritz Hundertwasser auf seinen Prospekt. In großen roten Lettern' sind die Worte gedruckt und leuchten von den Plakatwänden an der Straße und auf den Stadtbahnhaltestellen. Drei große Photos sind auf dem Plakat: zwei davon zeigen den heute 29jährigen Maler Hundertwasser (einmal mit nackter Brust, auf dem Weg eines südlichen Parks liegend, einmal im verdrückten Hemd, beide Male mit kurzem, struppigem Bart); das dritte, viel kleinere, ist die Wiedergabe eines seiner Bilder.

Es hat seine Wirkung getan. Die Galerie Sankt Stephan, die derzeit 50 Bilder von Hundertwasser ausstellt, hat wohl nur selten so viele Besucher gehabt wie diesmal. Ob sie alle der Bilder Hundertwassers wegen kommen? Die jungen Akademiejahrgänge und die kunstbeflissenen Backfische mit der Pferdeschwanzfrisur? Wohl kaum. Das Plakat ist ungewöhnlich und verspricht weitere Sensationen.

Nicht nur die Vorderseite des Prospekts mit ihren Photos verweist zuerst auf die Person Hundertwassers und nur in zweiter Linie auf seine Malerei. Auch die Rückseite tut es. Ihr Text, der bereits heftige Kontroversen und eine Distanzierung des Leiters der Galerie St. Stephan hervorrief, ist sehr persönlich gehalten. Neben einem schönen Gedicht Hundertwassers und einem Katalog der ausgestellten Bilder steht sein Bekenntnis: Halbgedachtes und Gedachtes, das noch nicht Gedanke wurde, noch nicht zum Wort gekommen ist, Empfundenes, dem noch die letzte Formulierung fehlt. Und dann stehen da kurze, provozierende, apodiktische Aeußerungen. Ich glaube, man soll sie nicht tragisch nehmen.

Die persönliche Form der Präsentierung der Ausstellung Hundertwasser und all der Trubel 41m sie und die (wohl gar nicht unbeabsichtigten) Kontroversen haben es mit sich gebracht, daß hier über andere Dinge als sonst in einem Kunstreferat gesprochen wird; sie mögen auch eine persönliche Stellungnahme des Kunstkritikers rechtfertigen (dessen Augen nach vielen Jahren des Ausstellungsbesuches wahrlich müde geworden sind und nur noch aus der selten gewordenen Begegnung mit Kunst die Kraft beziehen, weiter auf all das hinzuschauen, was da gezeigt wird .

Ich liebe den Kunstbetrieb nicht. — So vieles drängt sich vor das Bild der Kunst. — Viele fürchten, mit ihren Arbeiten nicht zum Zug zu kommen, wenn sie nicht mittun bei diesem Betrieb. So drängen sie sich in die Lokalspalten der Zeitungen und versuchen, um sich die Atmosphäre eines Filmstars zu verbreiten Diese Atmosphäre ist der Inbegriff des

Scheins. Tun die Künstler das, so huldigen sie dem Bedürfnis ihrer Zeit, das immer zuerst ein Bedürfnis nach Sensation und Indiskretion ist. So stellen sie sich gegen ihr eigenes Werk, das der Zeit und ihren Bedürfnissen nicht huldigt und schmeichelt (wenn es sich um Kunst handelt).

Da ist Salvador Dali, zwirbelt sich seinen Schnurrbart, macht Hokuspokus, denkt sich surrealen Schmuck aus, hat allerhand Einfälle, Gespür und Geschmack, aber das Ganze ist nichts wert, er verdient viel Geld damit, sonst ist nichts dran. Kein Grund, sich über so etwas aufzuregen, wirklich;nicht, andere Dinge sind Anlaß genug, sich aufzuregen. Aber das Ganze reicht nicht über die Sphäre des Amüsierbetriebes, des Jahrmarkts, der Unterhaltung hinaus. Und wäre es Kunst, müßte es über diese Sphäre hinausragen.

Da tritt Hundertwasser auf, auch er hat allerhand Einfälle, naiv und raffiniert wie ein Kind, im Grunde sympathisch, die Leute amüsieren sich und zahlen ihren Obolus. Und doch werde ich das Gefühl nicht los, daß er sich selbst für sich selbst mißbraucht mit all seinen Reklameeinfällen.

Denn wenn ein Künstler sich mit viel Tamtam vor seinem Bild aufbaut, entsteht der Verdacht, daß das Bild allein zuwenig ist, daß der persönliche Einsatz des Künstlers notwendig ist, das, was dem Bilde fehlt, sozusagen nachträglich noch hinzuzufügen; mit der Zurschaustellung des Ich die Lücken des Bildes zu füllen.

Ist das Bild aber gut, so verdeckt es der Künstler, der sich davorstellt, unnötig.

Wenn jemand nach Afrika geht, dort zu forschen, um was sollte es ihm gehen: um den pompösen Titel „Großwildjäger“, um die Anerkennung von Kindern und Affen oder um die wissenschaftliche Leistung? Auch wenn das wissenschaftliche Ergebnis nicht sogleich die Anerkennung findet, die es verdient: di Anerkennung von Kindern und Affen wird auf die Dauer das Bild der Leistung nur trüben.

Hundertwasser malt, so glaube ich, sehr gute, poetische Bilder, deren Namen schon Dichtung sind. Es ist schade, daß hier nicht näher über sie gesprochen werden konnte. Wenn ihm daran liegt, daß seine Bilder bleiben sollen, und zwar länger bleiben, als ein Menschenleben währt auf der Welt (und ich hoffe sehr, daß ihm ernsthaft daran liegt), dann wird er selbst leiser werden müssen. Der Künstler muß schweigen lernen — damit die Stimme seines Werkes wachse.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung