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Meine Militärxeit

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Siebzehn Jahre war ich alt, hochaufgeschossen und unterernährt.

Im Mai wurde ich eingezogen und allein im Kasernenhof vom Unteroffizier abgerichtet.

Meine Einkleidung war schnell vollzogen.

Ich war in einem Samtrock, mit einer Lavallire-Krawatte und fliegenden Künstlerlocken in die Kaserne gekommen.

Auf dem Samtrock Schuppen. — Einen liegenden Kragen hatte ich auch.

Das erste war, daß man mir die Haare schnitt, bis auf die Haut. — Die Ohren lagen frei und standen weg.

Dann gab man mir eine Hose, die reichte mir bis ober die Knöchel. — Als ich schüchtern einwenden wollte, daß sie etwas zu kurz wäre, erstickte der Rechnungsunteroffizier mit einem energischen .Die Hosen passen!“ mein Vorhaben.

Dann bekam ich eine Bluse. — Ehe ich sie noch am Leibe hatte, erfuhr ich, daß sie „paßte“, und schon stülpte man mir eine Mütze auf, die mir über die Augen ging. — Auch sie „paßte“!.

So stand ich nun da als k. k. Jäger des 17. Jägerbataillons in Brünn.

Meine Kameraden heulten vor Vergnügen über meinen Anblick — weil sie schon vergessen hatten, daß es ihnen bei ihrer Einkleidung ebenso ergangen.

Mir war sehr mies.

Nach einigen Tagen änderte sich das Bild. — Mit jedem Tage wurde ich mehr und mehr Soldat, ich hörte auf, mit den Händen zu reden, bei „Rechts oder Links schaut!“ flogen meine Augen nach Vorschrift mit hörbarem Ruck, die Gewehrgriffe klopfte ich mit Empfindung, und so kam denn nach und nach, in verhältnismäßig kurzer Zeit, der Tag heran, da man mich in die Kompanie einteilte und als ausgebildeten Soldaten anerkannte.

Auf dem Exerzierplatz ertönte das Kommando: „Entwickelte Linie!“ — Ich als der längste am rechten Flügel im ersten Glied hatte einen Zugsführer neben mir, der mir ungefähr bis zur Hüfte reichte.

Wenn „Rechts richt't euchl“ kommandiert wurde, starrte ich ins Leere.

Wir marschierten also in entwickelter Linie. — Plötzlich fühle ich mich so allein, wage nicht, rechts oder links zu blicken, da schreit mein Hauptmann: „Herr Oberleutnant! — Der Opernsänger macht, was er will!“ —

Ich hatte das Kommando „Halt!“ überhört, weil ich meinen eigenen Gedanken nachgegangen war, und schlich beschämt in meine Abteilung, begleitet von dem „Habtacht-Grinsen“ der Kameraden. — Dort machte man mich auf das Furchtbare aufmerksam, wohlwollend und nachsichtig, aber nicht ohne die liebevolle Bemerkung, daß man mich einsperren würde, bis ich schwarz werde, wenn dergleichen noch einmal vorkomme.

Allmählich wurde aus dem Rekrutenein strammer Unteroffizier, ich bekam selbst Rekruten zur Abrichtung und wurde Zimmerkommandant.

Es gab Rekrutenexerzieren vor dem Bataillonschef.

Alles ging schief. — Bei den Doppelreihen sprangen die Leute einander ins Gesicht, und der Herr Bataillonskommandant suchte uns zu überzeugen, daß dies kein Militär, sondern ein Sauhaufen wäre, von dem jeder einzelne den Tod durch den Strang verdiene.

Als Belohnung für all die Schmach wurde von dem Bataillonskommandanten — Zimmervisite angesagt. —

Was eine Zimmervisite ist, kann nur der erfassen, der selbst Soldat war oder ist.

Zimmervisite ist furchtbar! — Heute noch, nach so vielen Jahren, wenn ich schwere Träume habe, sehe ich mich als Zimmerkommandant und warte auf die Zimmervisite.

Zimmervisite ist... aber was brauche ich noch weiter zu sagen! — Wer sie kennt, versteht mich, und wer sie nicht kennt, wird mich nie begreifen.

Grundbedingung bei der theoretischen Ausbildung des Soldaten ist, daß jeder einzelne Mann den Namen seiner Vorgesetzten kennt, und zwar von Seiner Majestät, dem obersten Kriegsherrn, angefangen, bis zum letzten Patrouillenführer und Kameradschaftskommandanten.

Sehr schwere Namen gab es da zu behalten.

Wir hatten durchwegs böhmische. Rekruten, einzelne darunter von einer Beschränktheit, die zum Selbstmord reizte.

Zamazal hieß er. — Das Wort an sich ist schon niederschmetternd.

Es heißt zu deutsch: „der Schmutzigmachende“.

Zamazal lächelte gewöhnlich still vor sich hin. — Als er einige Male liebevoll angehaucht wurde, wurde er verstört — und später, wenn man ihn nur ansprach, erschrak er heftig.

Zamazal war mein Damoklesschwert.

Sonntagmorgen. — Jeder steht vor seinem Bett, alles ist vorschriftsmäßig im Koffer — das Zahnbürstel, das zu allem benutzt wird, nur nicht zum Zähneputzen — die Kleider auf dem Brett. — Hochklopfenden Herzens noch ein schnelles: „Zamazal, wie heißt unser Herr Hauptmann?“ —

„Ottokar Hauska Edler von Zbrani-kow“, tönte es prompt zurück.

„Habt acht!“ — ruft die Tagcharge.

Strammes Zusammenschlagen der Absätze, Hinaufreißen der rechten Hand an die Mütze und energische Meldung als Zimmerkommandant.

Hinter dem Herrn Oberstleutnant die Suite: Hauptmann, Oberleutnant, die Leutnants, der Kadett, der Ober Jäger, der Rechnungsunteroffizier, die Tagcharge und die Inspektion.

Der Herr Oberstleutnant blickt scharf im Zimmer herum, alles wölbt die Schultern zurück, preßt die Hände .an die Hosennaht und starrt dem hohen Vorgesetzten mit hervorquellenden Basedow-Augen in die seinen.

Das muß man so machen.

Zamazal steht vor seinem Bett, die Blicke des Bataillonskommandanten fallen auf ihn .

Er hat den Kopf zur Seite geneigt — und lächelt.

Der Herr Oberstleutnant sieht ihn an — mir bleibt das Herz stehen — er tritt vor ihn hin und fragt: „Wie heiße ich?“

Zamazal erschrickt heftig. — Kurze Pause. — Ich fühle den Dunkelarrest in allen Gliedern.

„Sie haassens... Sie haassens...“ Und mit einer großen Armbewegung stößt Zamazal aufgebracht hervor — in böhmischer Sprache: „Verflixt, ich hab gewußt, wie der Kerl heißt, und jetzt hab ich's vergessen.“ — Große Pause.

Ich sehe mich meine Tage im Arrest beschließen. —

„Unteroffizier!“

„Zu Befehl, Herr Oberstleutnant!“ —

„Das, was ich da gestern sah und heute hörte, ist kein Militär, das sind Lohen-grine. — Lauter Lohengrine. —

Der Mann weiß nicht, wie ich heiße. — Der Mann macht dramatische Armbewegungen, wenn er mit mir redet.

Ich habe eine Versammlung von bewaffneten Opernsängern, aber keine Soldaten. Was haben Sie mir zu antworten?“ —

Ich fasse mir ein Herz, schlage die Absätze zusammen, reiße die Hand an die Mütze und melde gehorsamst: „Herr Oberstleutnant, der Mann ist ein Trottel!“ —

Der Oberstleutnant dreht sich auf dem Absatz herum und geht aus dem Zimmer. — Hinter ihm der Hauptmann, der Oberleutnant, die Leutnants, der Kadett, der Oberjäger, der Rechnungsunteroffizier, die Tagcharge und die Inspektion.

Ich war allein — allein mit meinen Lieben.

Alle standen noch „Habt acht“ vor ihren Betten. —

Zamazal auch. Ich trat vor ihn hin, ich wollte ihn töten. Er blickte mich verstört an, er merkte offenbar die Absicht. Ich tötete ihn nicht, und da ich doch etwas sagen mußte, so sagte ich: „Rindvieh!“

Ich wurde nicht eingesperrt. — Mein guter Hauptmann setzte mir auseinander, welche Folgen es haben könnte, wenn ein Heer von Lohengrinen, wie der Herr Oberstleutnat so richtig bemerkte, an den Feind käme, und stellte mir in Aussicht, daß ich eingesperrt werden würde, bis ich schwarz werde, wenn sich das nicht ändere.

Dann sagte er mir: „Sie haben Glück gehabt. — Die Meldung, daß der Mann ein Trottel ist, hat Sie gerettet.“

Zamazal wurde in die Küche kommandiert.

Sein Name wies ihn auf diesen Platz.

Es wurde Dezember, man machte mich zur Aufsichtscharge, in der Unteroffiziersbildungsschule. Man erkannte mein pädagogisches Talent und machte mich zum Lehrer.

Ich trug Trompetensignale vor.

Gewöhnlich werden die Signale gepfiffen, und die Mannschaft muß sie nachpfeifen. Da kommt es aber oft zu Komplikationen. Wenn ein Mann pfeifen soll, schneiden die andern Gesichter und bringen ihn so zum Lachen.

Ich war Sänger, also sang ich ihnen die Signale vor: „Tadaradatataratatadah!“ — usw.

Während ich vortrage, kritzelt der Jäger Krupitza immerfort in seinem Notizbuch. Ich bin empört, daß man den interessanten Ausführungen meines Vortrages so wenig Aufmerksamkeit schenkt, und schmettere: „Krupitza, was schreiben Sie da, wenn ich vortrage?“

„Herr Unterjäger, ich meld' g'horsamst, ich schreib' mir die Signale auf.“

„Ja, Krupitza, sind Sie denn ein Symphoniker, daß Sie die Töne zu Papier bringen können?“ —

Ich nehme sein Buch in die Hand und finde gewissenhaft eingetragen: „Tada-rada-tataratatadah!“ —

Als ich ihn das Signal wiederholen ließ, sang er den Radetzkymarsch. —

Im Juni nächsten Jahres stand ich im Garnisonspital vor der Superarbitrie-rungskommission.

Ich war frei vom Militär, versetzt zum Landsturm ohne Waffe. Es hieß des Kaisers Rock ausziehen und wieder in den Samtrock schlüpfen. Er war mir viel zu klein geworden.

Ich wußte mir keinen Rat; ganz mittellos stand ich da und mußte meinen Hauptmann bitten, einstweilen meine Uniform weitertragen zu dürfen, was er mir gerne gestattete.

Recht traurig ging ich in den Krautmarkt hinab, verfolgt von dem quälenden Gedanken: Was jetzt anfangen? — Da begegnete mir Herr V. v. S. — ein Bekannter meines Hauptmannes, ein eifriger Weidmann, vor dem ich als Soldat öfter gesungen hatte, wenn der Jagdverein seine Unterhaltungsabende abhielt.

Er fragte mich, warum ich, der sonst so Frohe, so niedergeschlagen wäre?

Ich klagte ihm meine Not. Er stellte mir hundert Gulden zur Verfügung. Ich konnte es nicht glauben, es war ein Wunder — ich weigerte mich, das Geld anzunehmen, doch er drängte es mir auf.

Ich dankte tausendmal und versprach, ihm die Summe, sobald ich nur könne, bei Heller und Pfennig zurückzuzahlen.

Dann zog ich die Uniform aus, kaufte mir einen neuen Samtrock, ließ mir lange Haare wachsen und ging zum Theater. —

So schloß meine Militärzeit.

Sie war kurz, aber mir unvergeßlich. Dankbaren Herzens gedenke ich ihrer, sie hat einen gesunden, tüchtigen Menschen aus mir gemacht und hat mir viel fürs Leben mitgegeben. Ich hatte warmherzige, liebenswürdige Vorgesetzte, denen ich das beste Andenken bewahre.

Das Gefühl der Zugehörigkeit zu meinem 17. Jägerbataillon habe ich nie verloren.

Und sogar die geliehenen hundert Gulden habe ich schon mit Dank zurückgegeben. \

Meinem ehemaligen Regimentsarzt überreichte ich später ein Bild von mir als Othello, mit der Widmung: „Herrn Oberstabsarzt S. zur Erinnerung an den Rekruten des 17. Jägerbataillons, der zum Feldherrn der venezianischen Flotte avanciert ist.“

Aus dem Buch „Meine sämtlichen Werke“, Piper-Verlag, München.

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