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Meine persönliche Tour d'Horizon des ersten Halbjahres

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Der alte Farkas hat - als das Fernsehen noch mit Leitungswasser kochte - alle Monate eine „Bilanz des Monats” gezogen. Mir ist heute danach, eine „Bilanz des Halbjahres” vorzulegen. Im Juni, werden Sie fragen? Natürlich, denn in unserer Republik gehen die Jalousien Anfang Juli herunter und werden erst Ende August wieder hochgezogen -die große Siesta beginnt, die große Hitze (laut Jörg Mauthe) bricht aus. Herr und Frau Mundl, Mandl und Weibl, stehen aus dem Liegestuhl nur auf, um zum Eiskasten oder unter die Dusche zu gehen. „Geh di brausn” ist der meistgehörte Spruch der Monate sieben und acht im Kalender.

Also ziehen wir - wenn schon nicht alle an einem Strick, so doch wenigstens - Bilanz! Um es gleich vorwegzunehmen, gar so schlecht wie gestern, Haider und morgen behauptet wird, war sie nicht. Erschütterungen ja, aber was ist das schon gegen das Erdbeben von Los Angeles? Noch

dazu war's recht lustig, und es gab viele Gründe zu lachen und amüsiert zu sein, besonders wenn man bedenkt, daß manches, was aussichtslos schien, zum Besseren gewendet werden konnte. Die Regierungsparteien scheinen mit Umbau und Neuanfang wieder Tritt gefaßt zu haben, der Verkünder der Dritten Republik (Drittes Reich klingt halt gar so schiach) wird einsehen müssen, daß die Mehrzahl der Bürger mit der Zweiten ganz zufrieden ist. Am Stephansplatz sprudelt ein neuer, schöner Born und Beinhold Stecher spielt in Tirol mit großem Erfolg das alte Volksstück vom „guten Hirten”. Der Kampf um Wien (nicht nur der von Turrini) geht über die Bühne, die Republik feiert den Fünfziger und bald darauf das Millennium. Wer macht uns das nach? In wenigen Monaten von 50 auf 1000. Diese Schubkraft hat uns wohl niemand zugetraut.

Das Burgtheater gedachte in einer „Matinee” (um vier Uhr Nachmittag) der Wiedereröffnung, 1945 im

Ronacher. Ich war dabei - als Ehrenmitglied gehört man zum Haus, ob das allen paßt oder nicht, und es war schön, noch einmal mit all den lieben, vertrauten Kollegen auf einer Bühne zu stehen. Die Holzmeister, die Konradi, die Pluhar und die Speiser, die Jesserer und mein liebes Beimpolderl,

die Orth, die Lukan und und und, die Herren Reyer, Schweiger, Bissmeier, Steinhauer, Peter der Matic, Michl der Heitau, ja, es war schön, aber gar oft wird der Verein nicht mehr zusammentreten.

Die Staatsoper ehrte die Verfemten und Ioan Holender berührte nicht nur Tabu-Sphären, sondern auch die Herzen. Die SPÖ gedachte des Tags der Arbeit am 1. Mai, und vielleicht hat einer der Kapazunder überlegt, ob die Partei nicht doch wieder ein Presseorgan ä la AZ brauchte. Wirtschaftlich geht's ganz gut, und wenn es gelingt, dem rechten und linken Radikalismus Zügel anzulegen, dann bleibt eigentlich nur noch, das politische Klima zu verbessern, die verbalen Brunnenvergifter, die so gern mit Blausäure arbeiten, zu decouvrieren -so sauber sind die Saubermänner ja nicht - und die sogenannte Streitkultur zu entkrampfen.

Man kann einen Ehrenmann nicht poltern lassen, weil er einem Prozeß-fonds eines linken Scheißblattes 1.000

Schilling (für unsere Nachbarn: lächerliche 150 DM) gespendet hat. So viel verbraucht die „Aula”-Redak-tion im Halbjahr an Häuslpapier. Und wer zahlt das? Wie schreibt der kluge Hubertus Czernin? Die politische Moral endet an der blauen Linie. Das muß sich ändern, findet der Bilanz-zieher. Weiters? Höhere Benzinpreise, ÖKO-Steuer und - na, das ist was! - Geschäftsessen kann man nur noch zu 50 Prozent absetzen. Ich werd' es dertragen, daß ich von dem, was zwei Paar Wurschtln, zwei Brot und zwei Pfefferoni beim Würschtlmann am Schwarzenbergplatz kosten, nur mehr die Hälfte abschreiben kann. So, und jetzt fahr' ich auf zehn Tage in die USA. Vortragsreise, österreichische Literatur zum 50. Geburtstag der Republik. Gesponsert von der AUA, der Delta-Air und ein paar Privaten in Amerika. Ich sag' das nur, damit nicht einer meinen kann, die Aktion kostet den Steuerzahler Geld. Nicht einmal 1.000 Schilling, die einer leicht an einem Vormittag im Konsum ausgibt.

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