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Meister der Töne und des Wortes

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Audi in guten Zeiten gibt es magere Konzerte, Revuen des Durdischnitts, vom Glanz des Hauses stärker belebt als von !der eigenen Leistung. Nur daß sie in guten Zeiten eben versdimerzbar sind, künstlerisch und kommerziell in der Spesenrechnung aufgehen. Erst wenn sie überhand nehmen und die „großen Abende” selten werden, überlasten sie die Spesen und das Wort von der Krise wird zum Schlagwort. Das Publikum hat ein untrügliches Gefühl für die seelische Substanz der Musik, vermerkt deren Verdünnung, die Veräußerlichung des Kunstbetriebes auf der Debetseite und bleibt fern. Gebt ihm das große Erlebnis und der größte Saal faßt die Menge nicht, wie kritisch auch die Zeit und wie knapp das Geld i ei!

So war fes bei Yehudi Menuhin, Sem Meister, der es wagen durfte, die drei großen B, die Violinkonzerte von Bach, Beethoven und Brahms hintereinander zu spielen, ein Programm, das wohl jeder andere v e r spielt hätte, denn es verlangt unendlich mehr als einen Star: begnadete Gestaltungskraft und eine reiche Künstler- eele. Sie offenbarte sich bei Menuhin in vollem Ausschwingen, ohne daß sein Spiel sich je vom Gesamtwert isolierte. Der Verzicht auf jede, auch gestische Inszene, die ruhige, auch in den Pausen dem Dirigenten zugewandte Haltung, sein absoluter Dienst am Meisterwerk, offenbarten seine eigene Meisterschaft nicht minder als die gleichsam sonnenbeschienene Klarheit seiner Passagen und doppelgriffigen Stellen von unbeirrbarer Sicherheit. OttoAckermann vollendete durch die formal und dynamisch bis ins Letzte sinnvolle Tönung des Orchesters (Symphoniker) das große Erlebnis des Abends. Im Gedränge des Publikums mußte die Polizei Ordnung machen. Krise? Wo?

Das mag auch der Dirigent Eugen jochum gefragt haben, als ihm aus dem vollbesetzten Saal der herzliche Wiener Beifall entgegentönte. Seine sympathische, leise an Franz Schalk erinnernde Erscheinung, von Pose fern und von musikantischer Ursprünglichkeit belebt, entfaltete ihr großes kirnst, lerisches Format in einer prachtvollen Wiedergabe der Oberonouverture und der Eroica sowie in der Uraufführung des stilistisch nicht ganz einheitlichen Klavierkonzerts von Frau S. C. Eckhardt-Gramatte, dessen Solopart die Komponistin selbst spielte. Das Werk hat Kraft, persönliches Profil und ausdruckstarke Stellen. Durch geschlossene kontrapunkdiche Formen (Fugen) sucht die Autorin der etwas dünnen Substanz Halt zu geben, was teilweise auch gelingt, im allgemeinen jedoch der romantischen Grundhaltung widerstrebt. Frau Gramattž spielte ihren eigenen Klavierpart sehr männlich und errang sich Beifall und Zuneigung der Hörer.

Leere Sitzreihen zeigten sich dagegen im Konzert des Dirigenten und Komponisten Zoltan Fekete, der alle seine Kompositionen verbrannt haben soll bis auf eine symphonische Dichtung „Kaukasus”, die er uns vorführte, und darin wir einen Sonnenaufgang und wilde Kämpfe der dort wohnenden sechzig verschiedenen Völkerschaften erlebten. Das Blech hatte viel zu tun. Musikantischer Schwung, Temperament und eine bemerkenswerte, vom Rhythmischen her inspi- riete Begabung erwiesen sich, auch die Kraft zur Gestaltung fehlt nicht. Hingegen fehlt — was die Wiedergabe von Debussys „La mer” erhärtete —, die letzte Rundung, die Steigerung ins Transzendentale, die Vergeistigung.

Wir sind Pessimisten des Wortes, und unser Mißtrauen steigt, je voller es tönt. Mehr als einmal ist die Erneuerung des Geistes im pathetischen Wort vertont und selten genug leuchtet aus dem Dschungel der Reden und Schriften ein Licht auf, das nicht nur funkelt, sondern wärmt. Eine wahrhaft zeitgemäße Feier in diesem Sinne war die Brüderversammlung des Wiener Oratoriums, das eine Erneuerung katholischen Lebens nicht sosehr in erbaulichen Betrachtungen als in der selbstverständlichen und gewissenhaften Erfüllung der kleinen Dinge der Liebe sieht, die unbedankt und unbekannt bleiben, und oft schwerer zu vollbringen sind als eine große Tat, die aber die Ordnung, die Grundlage alles Großen bilden. Vom gleichgültigen Sichtreibenlassen wieder zur Selbsttätigkeit und von ihr zur Selbständigkeit und zum Vcrantwortungswillen zu führen, weniger ideell als praktisch, ist die Emeuerungsaufgabe des Wiener Oratoriums, und die phrasenlosen Berichte über das erste Arbeitsjahr offenbarten überzeugend den neuen Geist in seinen Wirkungen. Er manifestierte sich im völligen Verzicht auf alle rhetorischen und stimmungsmäßigen Mittel, sogar auf die der religiösen Kunst. Weltliche Musik umrahmte die geistliche Stunde.

Im schroffen Gegensatz zu dieser stand eine andere Veranstaltung, die von der Wirkung des Wortes her den Geist zu erobern suchte, aber im Pathos und mehr noch in der Verworrenheit des eigenen Wollens steckenblieb. Wir meinen den Vortragsabend der Frau Willy Rivrel- B e H o b e r g, der unter der etwas marktmäßigen Devise „Krieg oder Frieden” eine geistige Auseinandersetzung versprach, die er auf ganz anderer Eben , allerdings negativ, erfüllte. Im Grunde blieb es ein unerquickliche Mischung dichterischer und religiöser Gedanken, die eine Synthese nur im rein Stimmungsmäßigen suchte und daher nicht fand. Der positive und ethische Kern lag in der klangschönen, wirkungsvollen Wiedergabe einiger Gedichte von Trakl und Ver- haeren; doch war dieser Kern kaum zugänglich durch das ungenießbare Drumherum von Inszene und Dekor. Das jedesmal von Beethovenscher Musik begleitete Auftreten der Künstlerin, die Verdunklung des Saales, die wohl gepflegte, doch allzu vordringlich betonte Sprechkultur, das überhandnehmende, zuweilen die Grenze des Lächerlichen streifende Pathos schufen erbarmungslose Trennungslinien, und vollends die Einbeziehung eines katholischen Andachtsliedes (Jesus, dir leb’ ich) in eine von katholischer Andacht völlig unberührte Angelegenheit, brach ebenso wie die geradezu kitschige Intonation des „Freude, schöner Götterfunken” unmittelbar nach Franzisci Sonnengesang alle Brücken zu den wenigen Zuhörern entzwei. Das Wort war zu voll.

Vielleicht hat keine Generation die Tragik des Wortes sosehr erlebt ab die heutige. Seine Wirkung ist verpufft, seine Glaubwürdigkeit in stärksten Zweifel gezogen. Die Welt der Worte ist untergegangen. Man merkt es in den Parlamenten wie in den Theatern. Doch eben dieses entthronte Wort wird wie einst zur Frohbotschaft, wenn es, seiner Eitelkeit entkleidet, in schmuckloser Demut dem Geiste dient, der es an den Anfang gestellt hat und an das Ende stellen wird.

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